Ewald Lienen: "Sechzig stand sich häufig selbst im Weg“

Pauli-Trainer Ewald Lienen spricht in der AZ über das Spiel am Samstag, die Lage bei seinem Ex-Verein 1860, den neuen Trainer Vitor Pereira und die Unterschiede der beiden Traditionsklubs.
Der 63-Jährige ist seit 2014 Trainer des FC St. Pauli, 2009/10 war er Coach des TSV 1860. Am Samstag treffen die beiden Klubs aufeinander.
AZ: Herr Lienen, wie wichtig war das 5:0 gegen den Karlsruher SC letzte Woche für Sie und Ihr Team, den FC St. Pauli?
EWALD LIENEN: Das 5:0 war eine schöne Momentaufnahme, allerdings war es kein Befreiungsschlag oder eine Leistungsexplosion. Wir zeigen seit Ende letzten Jahres eine positive Entwicklung, haben uns defensiv stabilisiert und setzen offensiv immer mehr Akzente.
Mussten Sie die Spieler zurück auf den Boden holen?
Wir haben keinen Anlass, abzuheben, denn wir haben noch gar nichts erreicht. Unsere Ausgangssituation hat sich verbessert, mehr aber auch nicht. Das ist der Mannschaft bewusst.
Sie haben in der laufenden Saison schwere Zeiten durchlebt, dennoch hat St. Pauli an Ihnen festgehalten. Wie kurz standen Sie vor einer Trennung?
Im Rahmen der Analyse unseres Präsidiums mit den sportlich Verantwortlichen wurde in alle Richtungen gedacht, dieser Prozess war für alle Beteiligten absolut transparent.
Am Samstag steht das Duell mit Ihrem Ex-Klub 1860 an. . .
Wir haben noch zwölf Spiele und jedes davon ist ein Endspiel. Die Löwen konnten sich etwas absetzen und haben sich zuletzt sehr heimstark gezeigt. Sie werden uns in allen Bereichen alles abverlangen. Darauf müssen wir eingestellt sein.
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Wie denken Sie an Ihre Zeit bei 1860 zurück und wie stehen Sie den Löwen nun gegenüber?
Ich hatte trotz aller Turbulenzen eine gute Zeit bei den Löwen, an die ich gerne zurückdenke. Der Verein hat eine Menge Potenzial und tolle Fans, stand sich aufgrund der häufig großen Unruhe allerdings oftmals selbst im Weg.
Wie beurteilen Sie die Verpflichtung von Trainer Vitor Pereira?
Pereira ist ein Trainer mit internationaler Erfahrung, die er unter anderem in Portugal, Griechenland und der Türkei gesammelt hat. In Deutschland hat er hingegen noch nicht gearbeitet. Von den fünf Neuzugängen spielen vier regelmäßig. Mit Ba, Gytkjaer und Amilton sind gestandene Profis mit viel Erfahrung gekommen.
Nach dem Hinspiel haben Sie die finanzkräftigen Aktivitäten des TSV 1860 auf dem Transfermarkt, etwa die Rückholaktion von Stefan Aigner, kritisiert. Ist es Ihnen nun ein Dorn im Auge, dass sich ein Konkurrent im Winter nochmal so verstärken kann?
Meine Position zum Thema habe ich damals klargemacht. Daran hat sich nichts geändert. Die Löwen haben einen großen Kader mit großer individueller Qualität, wie zum Beispiel bei den Winterneuzugängen. Zudem haben sie unter anderem mit Aigner, Olic und Boenisch erfahrene Erstligaspieler.
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Kiez-Kicker und Sechzig – das sind zwei Traditionsvereine. Was unterscheidet die Klubs?
Zum einen, dass der FC St. Pauli weiterhin ein eingetragener Verein ist und keine ausgegliederte Kapitalgesellschaft. Zum zweiten werden hier gesellschaftspolitische Positionen, die ich voll und ganz unterschreiben kann, klar vertreten und machen das Selbstverständnis dieses Vereins aus.
Wieviel Identität ist bei 1860 nach dem Einstieg von Investor Ismaik noch geblieben?
Dass sich der Klub durch den Einstieg einem Wandel unterzogen hat, ist für jeden ersichtlich. Mir steht es aber weder zu, noch sehe ich mich in der Lage dazu, eine tiefgreifende Analyse vorzunehmen.
Sie waren vor Ismaiks Wirken bei 1860, haben die Eigenheiten eines Klubbesitzers andernorts bei Olympiakos Piräus in Person von Evangelos Marinakis miterlebt. Würden Sie nochmal in einem Klub mit Investorenmodell arbeiten?
Ich bin froh, dass ich derzeit bei einem Verein arbeiten darf, in dem das höchste Gremium die Mitgliederversammlung ist und in dem wir mit Andreas Rettig große Erfahrung und Kompetenz auf der Position des Sportchefs haben.
Bei 1860 herrscht eine große Fluktuation auf allen Positionen – wen kennen Sie denn noch, mit dem Sie eine Tasse Kaffee trinken gehen würden?
Da würden mir auf Anhieb nur einige Journalisten einfallen, die damals schon da waren.