„Er war ein Vorbild“
Löwen-Trainer Ewald Lienen holte Enke nach Hannover und schätzte ihn als „einen großartigen Menschen“. Benny Lauth hielt den Torwart für „sehr gefestigt“. Stevic erinnert an Geenens Tod
MÜNCHEN Der Alltag schien eingekehrt, Mittwoch an der Grünwalder Straße. Zumindest bei der Handvoll Kiebitze, die den Profis des TSV 1860 beim Training zuschauen wollten. Konnten sie nicht konnten, weil Ewald Lienen mit der Truppe zwei Stunden beim Laufen in den Isarauen war. So sprachen die Fans vor allem über die Krise der Löwen – und dass sie nächste Woche gar nicht erst nach Bielefeld fahren müssten, weil sie da eh verlieren.
Kurz ging es auch um die Nachricht vom Vorabend, die viele so schockiert hatte. „Des mit dem Enke is scho schlimm“, sagte einer, „aber du kannst in die Leut’ halt ned reinschauen.“ - „Genau, so is“, sagte darauf ein anderer. Dann ging es wieder um taktische Fehler des Trainers.
Das mit dem Enke war in Hannover, weit weg von Giesing. Zum TSV 1860 hatte der 32-Jährige nie einen Bezug, und doch gibt es einige bei den Löwen, die ihn gut kannten, die umso mehr trauern.
Vor allem Ewald Lienen. Enkes Trainer bei Hannover 96 von Sommer 2004 bis zu Lienens Rauswurf im November 2005. Lienen wirkte auch am Mittwoch noch tief bewegt und erschüttert, als er mit der Mannschaft vom Laufen kam.
„Robert war einer der großartigsten Menschen, die ich kannte“, sagte Lienen, „nicht nur als Profi ein Vorbild, sondern eben auch als Mensch.“
Weil auch Enke einer war, der aneckte, der reflektierte, der lieber gegen den Strom schwamm als sich im Einheitsbrei der Fußballprofis mittreiben zu lassen. Und so verband die beiden mehr als eine reine Trainer-Spieler-Beziehung, was sich auch im Sommer 2004 zeigte.
Damals litt Enke bereits ein Jahr lang an Depressionen.
Er spielte bei CD Teneriffa, dem Verein, den Lienen bis Januar 2003 trainiert hatte, und Enke spielte gut. Und dann kam Ewald Lienen zu Besuch.
Lienen schickte damals keinen Manager, es kam kein Spielerberater. Es kam der Trainer, um ihn nach Hannover zu holen. Um ihm zu zeigen, wie wichtig er ihm sei. Als Profi und als Mensch, dessen Verlust Lienen besonders schmerzt.
Immer wieder senkte der Löwen-Trainer am Dienstag den Kopf. „Deplatziert“ nannte er Aussagen über den „labilen“ Charakter Enkes, wie es Hannovers Präsident Martin Kind nur zwei Stunden nach dem Selbstmord gesagt hatte. Um mit leiser Stimme hinzuzufügen: „Daran sieht man wieder, wie wenig man sich mit sich und den anderen beschäftigt. Ich kann keinen Sinn in Roberts Tun sehen, aber wenn es einen Sinn haben soll, dann vielleicht, dass wir uns mehr Zeit nehmen für uns und die Mitmenschen.“ Um sie besser zu verstehen.
Um doch ein wenig in sie hineinzuschauen. Durch die Mauer, die gerade depressive Menschen oft aufbauen.
Auch Benny Lauth, der in der Saison 2007/2008 in Hannover spielte, hatte nichts von Enkes Krankheit mitbekommen. „Er war eine so starke Persönlichkeit“, sagte der Löwen-Stürmer am Dienstag, „er wirkte sehr gefestigt.“ Am Nachmittag, auf der Pressekonferenz des DFB (siehe Seite 29), sagte Manager Oliver Bierhoff: „Er hat immer ein Lächeln auf den Lippen gehabt.“
Immer ein Lächeln.
Das erinnerte Miroslav Stevic an einen alten Weggefährten, einen seiner Vorgänger. Edgar Geenen, 1860-Sportdirektor von 1997 bis 2000, der sich im September 2007 in seinem Haus in Solln aufhängte. „Nach außen hat Edgar immer viel gelacht“, sagte Stevic zur AZ, „nach innen sah es sicher anders aus.“ So wie auch bei Guido Erhard. Publikums-Idol, Aufstiegsheld 1994, einer, der wie Enke an Depressionen litt und dann, im Februar 2002, keinen Ausweg mehr sah und sich auch vor einen Zug warf. Vor einen ICE im Offenbacher Hauptbahnhof.
Guido Erhard wollte den Tod, er fand den Tod. Mit 32 Jahren. Wie Robert Enke.
Florian Kinast