Dr. Seltsam - oder wie Ziffzer lernte, die Löwen zu lieben

Beim Traditionsverein TSV 1860 herrscht mal wieder das Chaos. Mitverantwortlich dafür ist einer, der einst als Retter kam - Geschäftsführer Stefan Ziffzer. Eine Wutrede gegen den Präsidenten und ihre Folgen.
von  Abendzeitung
Mal Macher, mal Fremdkörper und bald ganz draußen: Stefan Ziffzer in der Löwen-Geschäftsstelle
Mal Macher, mal Fremdkörper und bald ganz draußen: Stefan Ziffzer in der Löwen-Geschäftsstelle © Rauchensteiner/Augenklick

Beim Traditionsverein TSV 1860 herrscht mal wieder das Chaos. Mitverantwortlich dafür ist einer, der einst als Retter kam - Geschäftsführer Stefan Ziffzer. Eine Wutrede gegen den Präsidenten und ihre Folgen.

Als der Smalltalk sich zu lang hinzog, wurde er unruhig. „Jetzt mal zur Sache“, sagte Stefan Ziffzer, und plötzlich flog das A-Wort in einer Lautstärke durch den Speisesaal, dass selbst Ottfried Fischer am Nebentisch vom Menü abließ, um zu sehen, was sich da in der hinteren Ecke der feinen Osteria Italiana ereignete. Und als ein Löffel mit solcher Wucht im Teller landete, dass die Suppe gleich auf mehrere Personen verteilt wurde, da sorgten sich auch die auf Etikette bedachten Kellner beim Edel-Italiener in der Schellingstraße. Am Ende des Abends aber, da flehte der Geschäftsführer des TSV 1860 geradezu, man möge sich doch gemeinsam für „Münchens große Liebe“ einsetzen, die Löwen.

Eigenwillige Auftritte wie diesen im Frühjahr 2007, als sich Ziffzer über kritische Berichte echauffierte, gab es viele; übel nehmen muss man ihm das nicht, schließlich war dieser so berechnend wirkende Sanierer stets auch leidenschaftlicher Kämpfer für seine Sache – für 1860. Am Sonntag aber wollte er den Crash. Das Löwenchaos.

"Der Fisch stinkt immer vom Kopf"

Da hatten sich die müden Fußballer gerade mit einem 1:1 gegen Osnabrück in der 2. Liga gehalten, schon lederte Ziffzer in der Pressekonferenz gegen seinen Boss. „Der Fisch stinkt immer vom Kopfe, und ich sage ihnen: Unser Kopf ist der Präsident“, sagte Ziffzer über Klubchef Albrecht von Linde, dem er vorwarf, sich nicht für Manager Stefan Reuter eingesetzt zu haben. Reuter ist Ziffzers Gefolgsmann in der Geschäftsführung, er nennt ihn „den Weltmeister“. Das Präsidium aber scheint zu bezweifeln, dass der Ex-Kicker als Sportdirektor von Gewinn ist.

Und so beschloss Ziffzer seine eigene Grabesrede mit den Worten: „Dieser Präsident ist eine Schande!“ Um 16.47 Uhr, da war der Klassenerhalt genau eine Stunde geschafft, entsorgte von Linde seinen Geschäftsführer am Buffet des VIP-Raums: „Herr Ziffzer, Sie sind fristlos entlassen.“ Später sagte er noch, dass Ziffzer nie verstanden habe, „wer Koch und wer Kellner“ sei. Es ist das geschmacklose Ende einer von Beginn an bizarren Beziehung.

"Der falsche Ziffzger"

Wie passten sie nur zusammen, hier dieser liebenswerte Kultklub mit dem speziellen Blues und dem steten Hang zum Skandal, dort dieser scheinbar nüchterne Zahlenmensch, der bald auf loewenforum. de, der Online-Stimme der rustikalsten Sechzigfans, nur „Ziffzger“ hieß (obschon er hier mitschrieb, vor allem nachts, was die Häufung von Komma- und Schreibfehlern erklären könnte). „Dieser falsche Ziffzger“ also, wie sie ihn nannten, war vielen Löwen von Beginn an suspekt, weil er mit dem FC Bayern paktierte.

Der ehemalige DSF-Sanierer, der als Vertrauter Leo Kirchs einst sensationelle TV-Verträge mit den Bayern eingefädelt hatte, übertrug dem Ortsrivalen die Löwen-Anteile an der bis dahin gemeinsam geführten Stadion GmbH, dafür bekam der TSV ein Elf-Millionen- Darlehen – und vor ein paar Wochen verscherbelte Ziffzer das Rückkaufsrecht für ganze 1,2 Millionen Euro.

Ein Löwe, der mit den verhassten Bayern fragwürdige Geschäfte macht? Das kann doch kein Blauer sein! Dabei übersahen viele, dass diese Deals nicht nur im Sinne von Sechzig waren, sondern den Klub erst am Leben hielten. Doch musste er deswegen auch noch Golf spielen gehen mit Uli Hoeneß und den Bayern-Manager duzen?

Und als er dann, wiederum aus Liquiditätsgründen, eine Reihe von Talenten in die Bundesliga (!) ziehen ließ, hieß es schnell: Der Mann verhökert die Löwen-Seele.

Realisten sehen es so: Ziffzer rettete 1860 mehrfach vor der Insolvenz – wofür er, der nur seinen Job gemacht hat (das aber bestens) auch noch eine stattliche Vertragsprämie kassierte. Und viele fragen sich, was eigentlich Ziffzers Gegenspieler Albrecht von Linde bisher für 1860 geleistet hat. Am Sonntag charakterisierte der streitbare Finanzboss den umstrittenen Präsidenten als jemanden, der „sich im Keller versteckt und alle drei Tage mal mit einem Fanschal fotografieren lässt“.

Was wird nun aus 1860?

Von Linde aber killte ihn von oben herab: „Ich sehe jeden Tag am Westfriedhof Gräber von Menschen, die glaubten, unersetzlich zu sein.“ Ziffzers Ende, was wird nun aus 1860? Einen besseren Geschäftsführer haben sie bisher nicht gefunden, einen konfliktfreudigeren noch nie erlebt. Ob es ein Fehler ist, dass Ziffzer stets den präzisen Schlag sucht? „1860 ist eine Firma und sonst nichts“, so hatte er seine Finanzpolitik mal zu erläutern versucht und dafür den Hass jener Löwen-Anhänger geerntet, für die 1860 (gerade im Gegensatz zum FC Bayern) ein Bekenntnis, eine Religion ist.

Dabei hatte Ziffzer das durchtriebene Spiel bei Sechzig längst verstanden. Zum Beispiel, als er einem des Geheimnisverrats verdächtigten Blumenhändler, Sprecher des Fanbündnisses Pro 1860, seinen (nur fingierten) Rücktritt glaubhaft machte – was dieser prompt im Lokalfernsehen ausplauderte. Einmal hat Ziffzer beim AZ-Interview die Überschrift vorgeben wollen. „Schreiben Sie: Die beste Lüge ist die Wahrheit.“

Was keiner wahrhaben wollte, war die Geschichte, wie Dr. Seltsam lernte, die Löwen zu lieben. Schluss, aus, vorbei.

Gunnar Jans

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