Die Löwen in der Krise: "1860? Traurig"
München - Peter Neururer ist eine Kult-Figur des Deutschen Fußballs. Der 59-Jährige ist einer der erfahrensten Trainer im deutschen Profifußball. Zuletzt trainierte er den VfL Bochum, für den TV-Sender Sport1 arbeitet er als Experte. In der AZ spricht er über die Löwen-Krise.
AZ: Peter Neururer, wo erreichen wir Sie? Wir hätten gerne Ihre Einschätzung zu einem abstiegsbedrohten Traditionsklub der Zweiten Liga...
NEURURER: Ich war gerade golfen. Welchen? Sechzig? Ich wurde erst zu St. Pauli gefragt. Da herrscht blanke Angst.
Lassen Sie uns über 1860 sprechen.
Die Lage ist dramatisch. Verein und Umfeld haben etwas ganz anderes erwartet. Jetzt geht es nur noch darum, den größten Schaden zu verhindern – den Abstieg. Das wäre der worst case überhaupt. In so eklatanter Abstiegsgefahr sind die Löwen zum ersten Mal. Traurig.
Wie kommt’s, dass die Löwen jetzt am anderen Tabellenende stehen, als sie eigentlich geplant hatten?
Sechzig war oben anzusiedeln. Ricardo Moniz hat die Meisterschaft angekündigt. Das holt dich ein. Erstens schon, wenn es sich nicht entsprechend entwickelt. Zweitens motiviert das die Gegner unglaublich. Nach dem unglücklichen Saisonstart haben die Dinge ihren Lauf genommen.
...und die Löwen wären nicht die Löwen, wenn es auch neben dem Platz brennen würde. Zuletzt gab’s eine Twitter-Nachricht von Investor-Statthalter Noor Basha, dass er mögliche Widersacher in einer Sekunde vernichten könne.
Darüber kann man entweder schmunzeln oder nicht, je nachdem, wie man zu 1860 steht. Ich hege zu einem solchen Traditionsverein große Sympathie. Da wird das Schmunzeln zu einer Grimasse. Es kommen von den Löwen immer nur diese kuriosen Geschichten. Das hat eine negative Wirkung. Auf das Publikum, auf die anderen Vereine. Nur leider keine Wirkung auf diejenigen, die in diesem Verein das Sagen haben. Denn die kriegen es nicht geregelt.
Was müsste denn passieren, damit sich das ändert?
Da steht mir kein Urteil zu. Ich bin nicht derjenige, der mit dem Rezeptbuch herumläuft und den Sechzigern erzählt, was sie zu machen haben. Außerdem habe ich noch einen Vertrag beim VfL Bochum (lacht). Aber grundsätzlich ist es schön, wenn Vereine Investoren haben und mit Leuten arbeiten, die Kompetenzen haben.
Geschäftsführer Markus Rejek appellierte kürzlich alle Beteiligten, sich zurückzunehmen.
Absolut richtig. Es ist das Wichtigste überhaupt, persönliche Interessen hinten anzustellen.
Verspekuliert hat man sich auch bei der Kaderplanung: Sportchef Gerhard Poschner sollte den Umbruch einläuten. In der laufenden Saison wurden 33 Spieler unter drei Trainern eingesetzt.
Egal, wo ich Trainer war: Ich hatte immer einen Kader mit 17 Spielern, 18 maximal. Eine vernünftige Planung. Über 30 Spieler einzusetzen? Da kann was nicht stimmen. Man darf nicht immer alles mit Pech beschreiben. Mir ist die Selbstkritik da nicht groß genug.
Im Winter hat Poschner versucht, durch drei Neuzugänge etwas nachzubessern, die bislang nicht überzeugten.
Ich habe irgendwann einmal gesagt: Wenn man Winter-Transfers tätigt, muss man im Sommer Fehler gemacht haben. Es sei denn, es sind plötzlich zwei, drei Leistungsträger ausgefallen. Der einzige Hoffnungsträger ist Top-Torjäger Rubin Okotie, der jetzt vier Wochen ausfällt.
In die Saison mit einem Stoßstürmer zu gehen, ist ein bisschen wenig. Der kann noch so gut sein, der kann ja mal ausfallen. Was ist dann? Man konnte sehen, dass Okotie am Ende der Hinrunde nicht fit war.
Ein weiteres Problem: Erst zwei Heimsiege. Liegt’s an der Allianz Arena?
Dass die Löwen dort nicht ihr absolutes Zuhause haben, weiß jeder. Als Spieler hilft es immens, in einem eigenen Stadion zu spielen – in einem gut besetzten. Und nicht einem, das zu zwei Dritteln leer ist.
Wäre der Abstieg womöglich heilsam? Und eine Heimkehr ins Grünwalder Stadion?
Absolut nicht. Ein Abstieg kann nie heilsam sein. Die Löwen sind eine Riesen-Nummer in Deutschland. Ich hoffe, dass sie es gebacken kriegen.