Die geteilte Fußball-Stadt

Nie war die Kluft tiefer, die Trennlinie zwischen Rot und Blau deutlicher: Der FC Bayern will drei Titel. 1860 München würden schon drei Punkte mal wieder reichen. Wie die Fans dieses Gefühlskino miterleben.
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Jubelnde Bayern: die Mannschaft greift nach drei Titeln
dpa Jubelnde Bayern: die Mannschaft greift nach drei Titeln

MÜNCHEN - Nie war die Kluft tiefer, die Trennlinie zwischen Rot und Blau deutlicher: Der FC Bayern will drei Titel. 1860 München würden schon drei Punkte mal wieder reichen. Wie die Fans dieses Gefühlskino miterleben.

An dieser Stelle mal zwei Gewissensfragen, die sich auf diese Weise nur im Münchner Fußball stellen.

Darf man als gebeutelter Löwen-Fan, wenn die Lieblingsmannschaft mal wieder verloren hat und das zum vierten Mal hintereinander, kurz rüber schielen zu den Roten und deren Zauberfußball, diese herrlichen Tore mit einem sehnsüchtigen Seufzer genießen?

Und darf man als Bayern-Fan, entrückt vom grandiosen Spiel der eigenen Stars und der überschwänglichen Vorfreude auf drei Titel, mal kurz innehalten, Mitleid haben mit den geschundenen Sechzgern und ihnen insgeheim einen Sieg im nächsten Spiel wünschen?

Trennlinie zwischen Rot und Blau

So schwer es ist, richtige Antworten darauf zu finden, so deutlich markieren diese Fragen die Trennlinie zwischen Rot und Blau. Die Fußballstadt München ist geteilt, die Kluft ist so tief wie lange nicht.

Hier die Bayern, die gegen Dortmund ein 5:0-Feuerwerk abgefackelt haben. „Reif fürs Lehrbuch, von einem anderen Stern“, hat Manager Uli Hoeneß gejubelt, „Fußball zum Verlieben.“ Die Fans sind selig. „Diesen Bayern muss man echt nur huldigen“, sagt etwa die Münchner Kickbox-Weltmeisterin Christine Theiss, die als Stammgast bei Bayern hingerissen war am Sonntag auf der Tribüne: „Eine Augenweide war das, ein Riesenspaß. Ich denke, dass die Bayern jetzt drei Titel holen.“ Am Samstag den Pokal, die Woche drauf die Meisterschaft und am 14. Mai den Uefa-Pokal. Glanzlichter auf großer Bühne.

Dort die Löwen. Neun Spiele ohne Sieg. Am Sonntag setzte es eine 0:2-Klatsche in Offenbach. Ein Tiefpunkt in der Provinz. Statt drei Titeln wären den Blauen schon drei Punkte recht. „Auf der Heimfahrt von Offenbach war Totenstille im Auto“, sagt Vizepräsident Karsten Wettberg. „Ich bin einer, der sowieso schlecht verlieren kann. Und nun wirst du schon von Leuten auf 1860 angesprochen, die mit Fußball überhaupt nichts zu tun haben. Sie trösten dich. Aber Mitleid ist das Schlimmste.“

Die helle Freude in Rot

Es ist ihnen nicht zu ersparen. Selbst Sepp Maier, Bayerns Urgestein und Torwarttrainer, sagt: „Mit den Löwen habe ich Mitleid. Ich dachte wirklich, sie würden diesmal aufsteigen. Ich hoffe, dass es mit denen nicht noch weiter abwärts geht.“ Ein Roter wie Maier hat gut reden. „Ich hatte bei uns seit Jahren keinen so großen Spaß mehr beim Zuschauen“, sagt er, „in der Kabine stimmt’s einfach. Das überträgt sich auf den Platz und damit die Fans.“ Die helle Freude in Rot.

Bei den Blauen ist selbst der Blick in die Zukunft düster. „Der derzeitige Einbruch macht auch die nächste Saison schon problematisch“, sagt etwa Meisterlöwe Fredi Heiß. Todtraurig sei er. „Wenn wir irgendwann mal aufsteigen wollen, brauchen wir für unsere talentierte Jugend Vorbilder.“ Die gehen ihm ab, und am Schluss bleibt nur unverzagte Hoffnung, an die sich alle Löwen klammern: „Ich hoffe, dass ich es noch erleben darf, dass 1860 wieder in der Bundesliga spielt.“ Heiß ist 67 Jahre alt.

Wenn die Gegenwart keinen Grund zum Freuen bietet, muss die Zukunft herhalten. Und zur Not auch die Vergangenheit. Stefan Schneider, der Stadionsprecher und „ein Sechzger durch und durch“, wie er sagt, hat da eine ganz eigene Methode gegen die blaue Depression entwickelt. Schneider sagt: „Ich habe in der Hinrunde, als wir Tabellenführer waren und den Platz an der Sonne genießen konnten, jede Minute so ausgekostet, dass es mir jetzt vielleicht nicht so schlecht geht wie vielen anderen Löwen-Fans.“ Ein Euphorie-Vorrat, den die schwache Rückrunde nun kontinuierlich aufzehrt.

„Bayern? Nein, danke“

Neidisch auf die Roten mag Schneider trotzdem nicht werden. Niemals. Das ist eine Frage der Ehre. „Bayern? Nein, danke“, sagt er. „Die können hundert zu null gewinnen, das interessiert mich nicht.“

Blau oder Rot, dazwischen ist nun mal nichts in dieser geteilten Stadt. Kickboxerin Theiss, die Rote, drückt es so aus: „Die Löwen interessieren mich einfach nicht. Deshalb habe ich auch kein Mitleid mit denen.“ Den 1860-Vize Wettberg, der Gefühlsalmosen verachtet, mag so eine Einstellung Freude.

Aber so jubeln wie die Bayern, solche Tore genießen und hinterher beim Bier nochmal ins Schwärmen geraten, das würde Wettberg auch gern wieder mal.

Otti Fischer, der Fernsehstar und Überzeugungs-Blaue, kennt solche Entbehrungen: „Das ist schon Alltag. Als Löwen-Fan hat man sich an sowas schon längst gewöhnt.“ So wie die Bayern sich ans Feiern gewöhnt haben. Die nächste Meisterschaft wird die 21. in der Klubgeschichte sein. Wenn auf dem Weg dorthin aber Fußballfeste wie gegen Dortmund liegen, ist es schön, ein Bayern-Herz zu haben.

ill, og., mak, fk

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