Die besten Löwen aller Zeiten

Die AZ schildert die bewegendsten Episoden aus 150 Jahren TSV 1860 und fängt gleich mal mit der erfreulichsten an: Mit den goldenen Sechzigern und ihren Erfolgsgeheimnissen – Wein und Eigelb
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Pokalsieger 1964: Rudi Brunnenmeier mit der alten DFB-Trophäe. daneben Spielausschusschef Deckert (mitte) und DFB-Boss Gössmann.
az Pokalsieger 1964: Rudi Brunnenmeier mit der alten DFB-Trophäe. daneben Spielausschusschef Deckert (mitte) und DFB-Boss Gössmann.

Die AZ schildert die bewegendsten Episoden aus 150 Jahren TSV 1860 und fängt gleich mal mit der erfreulichsten an: Mit den goldenen Sechzigern und ihren Erfolgsgeheimnissen – Wein und Eigelb

MÜNCHEN Ohne den Berti wäre alles anders gekommen. Kein Pokalsieg 1964, kein Wembley 1965 und vielleicht auch nicht der aus diesen Erfolgen erwachsene Geist, um 1966 Meister zu werden.

Denn an jenem regnerischen Mittwochabend im Juni 1964, da lag 1860 lange null-eins hinten, im Pokal-Halbfinale bei Altona 93. Eine peinliche Darbietung in der Hamburger Adolf-Jäger-Kampfbahn, bis fünf Minuten vor Ende Berti Kraus, der Rechtsaußen, noch den Ausgleich schoss. Verlängerung, der Regionalligist ging völlig ein, Luttrop, Brunnenmeier, Küppers trafen zum 4:1. Zehn Tage später gewannen die Löwen in Stuttgart dann den DFB-Pokal. Zwei-null gegen die Frankfurter Eintracht.

Manni Wagner war auch dabei. Logisch. Denn Manni Wagner war immer dabei. Ein gelernter Werkzeugmacher aus Obersendling, der heute mit seiner Jugendliebe und Frau Karin in Germering lebt. Und einer der wenigen, der die Ehre hatte, in den beiden großen Kathedralen des Fußballs spielen zu dürfen, den welt- schönsten Stadien überhaupt. In Wembley und in Giesing.

Es war eine schöne und dann auch eine schlimme Zeit für die Sechzger in den Sechziger Jahren, aber erst einmal war es eine glorreiche.

1954, in Bern war gerade ein Wunder geschehen, kam Wagner mit 15 zu den Löwen. Es war es ein beschwerlicher Weg. Eine Schinderei, von Sendling aus mit dem Radl rüber zum Training an der Grünwalder. Am Tierpark vorbei, Siebenbrunn, und den Harlachinger Berg hoch. Aber es waren Qualen, die sich lohnten. Denn elf Jahre später stand Wagner mit den Löwen vor Europas Gipfel.

Luxemburg, Porto, Warschau, alles kein Problem, mühelos zogen die Löwen 1965 im Europacup der Pokalsieger ins Halbfinale ein. Dann aber ging es gegen den AC Turin, und da verlor Sechzig im Stadio Comunale erst 0:2.

„Was dann passiert ist“, sagt Manni Wagner, „werd’ ich meiner Lebtag’ nicht vergessen. Das irrste Spiel meines Lebens.“ Denn beim Rückspiel in Giesing drehten die Löwen das Spiel. Angetrieben von 40000 entfesselten Zuschauern im Sechzger führten sie schon 3:0, zweimal Luttrop, einmal Heiß. Lancioni verkürzte noch, und es war das Glück der Löwen, dass die Uefa die Auswärtstorregel erst drei Monate später einführen sollte. So gab es noch ein Entscheidungsspiel, in Zürich.

Mit vielen blauen Fans. Die AZ organisierte damals 107 Sonderbusse, Abfahrt Theresienwiese, für 22,50 Mark inklusive Freibier und Brotzeit fuhren 5000 Fans in die Schweiz, wo sie im Letzigrund zwei Löwen-Tore sahen durch Rebele und Luttrop und keines der Turiner.

Sechzig fuhr zum Finale nach Wembley. Gegen West Ham, auch diesmal brachte die AZ 4000 Fans mit Fliegern und Bussen nach England – West Ham gewann 2:0, aber die Löwen gehörten zu Europas Besten und waren im Jahr darauf auch in Deutschland auch die Allerbesten. Bei der einzigen Meisterschaft.

Aber warum waren die Löwen damals überhaupt so gut? „Wir sind über die Jahre zammg’wachsen“, sagt Manni Wagner, „wir hatten die richtige Mischung aus Technikern und Kämpfern.“ Vor allem aber hatten sie den richtigen Trainer. Max Merkel.

„Auch wenn er hart war und oft beleidigend“, sagt Wagner, „Merkel war weiter als die anderen Trainer. Und er hatte drei Erfolgsgeheimnisse.“

Zum einen das Trainingslager. Wartaweil am Ammersee oder Deininger Weiher. „Das hat kaum eine Mannschaft gemacht“, sagt Wagner, „immer Mittwoch bis Samstag. Rausgekommen bist nicht, da warst dem Koller nah’. Aber es hat zammgeschweißt.“

Zum anderen die Schuhtricks: Bei Eis und Schnee, lange vor der Ära der Rasenheizungen, spielten die Löwen mit Nägeln, die aus den Stollen ragten. „Da hatten wir Halt“, sagt Wagner. Und das fiel nicht auf bei der Kontrolle durch den Schiri? „Nein“, sagt Wagner, „Merkel hat den Zeugwart immer eine Paste draufschmieren lassen. Da hast die Nägel nicht gesehen.“

Und natürlich das Doping. Legal und eigenwillig. „Ein Glas Rotwein mit Eigelb und Traubenzucker“, sagt Wagner, „das haben uns die Bayern später nachgemacht.“ Ach ja, meine Güte, die Bayern. Stimmt. Die gab’s ja auch.

Aber die spielten in einer anderen Liga. In der Regionalliga, dem Vorläufer zur 2. Liga, und während 1860 zwischen Turin und West Ham in der Bundesliga so nebenbei den HSV 4:1 abfieselte, zitterten die Bayern um den Bundesliga-Aufstieg, nach einem 1:2 beim FSV Frankfurt. Mit einer ganz jungen Mannschaft, wo die Spieler Beckenbauer hießen, Maier, Müller oder so ähnlich. Erst am letzten Spieltag sicherten sie sich den Platz für die Aufstiegsrunde. Mit einem Sieg gegen Pforzheim.

Pforzheim. Wembley. Zwischen Rot und Blau lagen Welten. Und die liegen da heute noch. Nur anders. Inzwischen chartert die AZ Maschinen zum Champions-League-Finale der Bayern nach Madrid.

Wagner ist mittlerweile 71, und er sagt, dass er es wohl nicht mehr erleben wird, dass die Löwen wieder einmal in einem Europapokal-Endspiel stehen, geschweige denn Meister werden.

Seine beiden Söhne Christian und Stefan vielleicht genauso wenig wie die Kindeskinder von deren Ururenkel. Man soll ja nicht unken. Aber der Gipfel Europas liegt inzwischen weit weg von Giesing. Weiter noch als der Harlachinger Berg von Germering.

Florian Kinast

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