Der TSV 1860: Ein Verein, der gegen Rassismus und für Integration kämpft
Der Weg in die Turnhalle, leicht zu finden. Vom Eingang in der Auenstraße immer dem Licht am Ende des Gangs nach. Dem schrillen Quietschen von Schuhsohlen auf PVC-Boden. Der Musik aus dem Ghettoblaster, Linkin Park, What I’ve Done. Den Ansagen von Rashad Pekpassi.
Wenig später, zwei Räume weiter, Stille. Rashad spricht zu seiner Gruppe, die sich um ihn schart. Er erzählt von den Titeln, die die Boxer seiner Abteilung geholt haben, vom Weg, den man gehen müsse, um in der Gesellschaft anzukommen, dann sagt er: "Wenn ihr dorthin wollt, müsst ihr nur immer an euch glauben und euch immer an die Regeln halten. Dann könnt Ihr es schaffen, euch zu behaupten."
Im Boxen. Im Leben. So wie er es selbst geschafft hat. Für so ein Statement ist Pekpassi ein authentischer Absender. Dann geht es weiter. Training an den Boxsäcken, die von der Decke baumeln, 25 Kinder und Jugendliche toben sich aus, im Alter zwischen acht und 20. Buben, Mädchen. Klein, groß. Dunkel, hell oder irgendwo dazwischen. Münchner und Deutsche, Gastarbeiterkinder und Flüchtlinge. Ganz egal.
Pekpassi: "Sechzig ist eine große Familie"
So was von wurscht, in der Boxhalle des TSV 1860. Hier gehören sie alle zusammen. Hier gibt es keine Unterschiede. Hier sind sie alle Löwen. Ein Löwe wie Rashad, dem personifizierten Beispiel dafür, wie erfolgreiche Integration funktioniert. In der Gesellschaft. Und bei Sechzig. "Sechzig", sagt Rashad, "das ist eine große Familie. Hätte ich den Verein nicht, ich wüsste nicht, wo ich heute wäre. Hier ist es ganz gleich, ob einer schwarz, gelb, grün oder lila ist." Hier sind sie alle Blaue.

Pekpassi, 29, drei war er, als er mit seinen Eltern aus Togo nach München kam. Der Vater baute eine kleine Reinigungsfirma auf, die Mutter ging putzen. Im Kindergarten schauten sie ihn schräg an, weil er anders aussah. Wenn sie "Schwarzer Mann" spielten, war klar, wer den spielte, vor dem sie sich fürchteten und alle davonliefen. "Ich dachte mir da lange nichts dabei", sagt Rashad, "aber dann ging es in der Schule los, dass sie mich beschimpften, auslachten, nur wegen meiner Hautfarbe. Plötzlich war ich der Außenseiter."
Sechzig bringt Pekpassi wieder auf die richtige Bahn
Für Rashad begann eine schlechte Phase, weil er anfing, sich zu wehren – auch mit Gewalt. Er verprügelte Menschen, weil sie ihn beschimpften, diskriminierten, eben weil er Schwarzer war. Gefühlt nachvollziehbar. Eine wirkliche Lösung aber auch nicht. Das eine ergab das andere, kurzum, eine Abwärtsspirale, ein Strudel, aus dessen Sog er kaum wieder herausgekommen wäre, wie er sagt.
Hätte er nicht Halt gefunden bei Sechzig. 13 war Rashad, als er zu Ali Cukur ging, dem Mr. Boxen bei den Löwen, seit 1974 im Verein, seit 1997 Abteilungsleiter, seit Ewigkeiten engagiert in Gewaltprävention und Resozialisierung. "Der Ali war vom ersten Moment wie ein Vater", sagt er, "er hat mir gezeigt, wie ich meinen Weg gehen kann. Er hat mir Sicherheit gegeben und Selbstbewusstsein, es war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, hier angekommen zu sein. Und genau dieses Gefühl will ich jetzt auch weitergeben."
Den Kindern Vertrauen schenken, und ihnen im Mikrokosmos der Boxhalle beibringen, wie man sich draußen im Leben durchsetzt. Grundwerte zu vermitteln, Respekt, Anstand. Seit sieben Jahren ist Rashad Pekpassi nämlich selbst Trainer. 65 Jugendliche betreut er, darunter Flüchtlingskinder, teils traumatisiert und schwer zugänglich. "Wenn sie dir Geschichten erzählen, dass sie mitansehen mussten, wie Freunde und Verwandte in ihrer Heimat starben, ermordet wurden, das ist nur ganz schwer zu verkraften." Aber auch ihnen gibt er das Gefühl, akzeptiert zu werden.
Pekpassi macht Exkursionen mit seinen Box-Schülern
Natürlich gibt es auch die Macker, die mehr so auf halbstark machen, egal woher sie kommen, mehr auf Krawall gebürstet sind, die freilich kommen bei Rashad genau an den Richtigen. "Wer sich hier nicht an die Regeln hält, der bekommt einmal noch eine zweite Chance. Dann aber fliegt er raus."

Zu einer richtigen Integration gehören schließlich immer zwei dazu. Den, der integrieren, und den, der integriert werden will. Will einer nicht, haut’s auch nicht hin. Manchmal hört Rashad auch Klagen, dass die Boxhalle zu alt sei, zu muffig, der Boxring mit seinen Weichbodenmatten auf Euro-Paletten zu schäbig. Doch das Gejammer erledigt sich dann auch von selbst, wenn er mit seinen Jugendlichen wie in den letzten Jahren mal nach Ghana fährt.
Oder nach Kuba. Wenn sie die Bedingungen sehen, unter denen die Menschen dort leben und die Kinder boxen. Draußen bei Wind und Wetter, mit selbstgebastelten Handschuhen, barfuß auf Sand, im Dreck, perspektivlos. Demnächst planen Rashad Pekpassi und Ali Cukur eine Reise nach Kolumbien. Da freut man sich wieder auf den Boxring an der Auenstraße.
Pekpassi hat auch heute noch mit Rassismus zu kämpfen
Mit Rassismus hat Rashad Pekpassi freilich auch heute noch zu kämpfen, eher mehr sogar wieder in diesen Zeiten, in denen verbale Tabubrüche in Politik und Gesellschaft wieder salonfähig werden, die Grenzen über das Erträgliche hinaus verschoben werden.
Erst neulich, sagt er, wurde er auf der Wiesn von einer älteren Frau beleidigt, einfach so, nur der Farbe wegen, sinnlos, hirnlos. Momente, in denen er sich freut, abends wieder bei den Kids in der Auenstraße zu stehen, ihnen zu erklären, dass sie sich anpassen und integrieren müssen, und was sie im Ring leisten, dass ihnen das hilft, es auch draußen im Leben zu schaffen. Momente, in denen er sich freut, bei seinen Löwen sein zu dürfen. Bei seiner großen Familie.
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