"Dann haben sie mir die Klamotten vom Leib gerissen!"

Karsten Wettberg wird 70. Hier verrät der „König von Giesing“, wie es zum Interview in Unterhose kam, warum ihm Seehofer im Job half und wieviel Liegestütze er heute täglich macht.
AZ: Herr Wettberg, würden Sie mit 70 noch ein Interview in Unterhosen geben, so wie Sie dies im Sommer 1991 gemacht haben?
KARSTEN WETTBERG (lacht): Damals konnte ich gar nicht anders. Das war quasi unausweichlich. Wir hatten gerade den Aufstieg geschafft, die Fans sind auf den Rasen gestürmt, dann haben mir die Klamotten vom Leib gerissen! Und dann stand plötzlich der Edgar Endres vor mir und wollte ein Interview fürs Radio. Was hätte ich tun sollen? Aber die Knecht hat sich danach furchtbar aufgeregt.
Lilo Knecht, die damalige 1860-Präsidentin.
Genau. Das hat der Dame überhaupt nicht gefallen. Aber mir war’s wurscht. Und sonst war sie ja ganz nett, die Frau Präsidentin. Die hat mir immer Schokolade geschenkt und nach Siegen auf der Arbeit angerufen und mir gesagt: „Herr Wettberg, Sie sind ein Engel!“
Haben Sie damals nie daran gedacht, Ihren Beruf bei der Post aufzugeben und nur noch als Trainer zu arbeiten?
Wenn die Privatisierung der Post ein bisschen früher gekommen wäre, hätte ich es vielleicht gemacht. Aber ob das meine Frau mitgemacht hätte? Ich war schon fast 50, als ich bei 1860 angefangen habe – meine Gisela hätte es wohl nicht so gut gefunden, wenn ich nach meiner Zeit bei den Löwen ein Vagabunden-Leben angefangen hätte. Und ich hatte einen sicheren Beruf, war zuletzt Post-Oberamtsrat. Und obwohl ich gearbeitet, mich ehrenamtlich in der Gewerkschaft engagiert und immer Mannschaften trainiert habe, war ich jeden Tag auch zu Hause.
Wie haben Sie das all die Jahre zeitlich hinbekommen?
Während der Zeit bei Sechzig war ich der einzige Postler, der zwei Tage unbezahlten Urlaub in der Woche hatte. So konnten wir vier bis fünf Mal die Woche nachmittags und zwei Mal vormittags trainieren. Damals hat mir der Horst Seehofer sehr geholfen.
Wie das?
Ich kannte ihn gut aus meiner Zeit in Ingolstadt, Horst war damals Staatssekretär im Arbeitsministerium und ist dann mit mir nach Bonn zum Postminister – und dann haben wir das geklärt. Ich musste mich aber selbst versichern.
Der Sozialdemokrat Wettberg hat sich also von einem CSUler helfen lassen. Hatten Sie keine Berührungsängste?
Ach, iwo. Es ging um die gute Sache. Dadurch, dass ich die zwei Tage auch morgens nach München bin, habe ich dann das ganze Drama um den Rudi Brunnenmeier miterlebt.
Die Sturm-Ikone des TSV 1860, den damals schon Alkoholproblem plagten.
Genau. Er stand in der Früh schon vor der Wirtschaft, meist nicht allein. Da hat der mich dann immer angefleht: „Geh, Wetti, sag’ am Schmitz (damals 1860-Geschäftsführer, die Red.), dass ich dringend an Job brauch.“ Mittags hatten sie ihn meistens schon rausgeworfen aus der Wirtschaft, weil er so gepöbelt hat. Mit dem Rudi ist es später leider schlimm zu Ende gegangen.
Sie stehen auch jetzt mit 70 immer noch an der Seitenlinie, trainieren seit 2009 den Bayernligisten Seligenporten. Immer noch kein Ende absehbar?
Vielleicht höre ich nächstes Jahr auf – und scoute nur noch für 1860. Aber das sind ganz vorsichtige Gedankengänge. Mein Ehrgeiz auf Erfolge ist ungebrochen.
Welche Ziele haben Sie denn sportlich noch?
Ich würde mit Seligenporten gerne den Aufstieg in die neue Regionalliga schaffen. Derzeit stehen wir einen Platz unterm Strich, aber ich hab’ Schwierigkeiten, eine ganze Mannschaft zusammenzubringen. Wenn weniger Spieler verletzt wären, dann wären wir stark genug für Platz fünf.
Toben Sie an der Seitenlinie noch so rum wie früher? Zertrümmern Sie noch Regenschirme, so wie Sie es einmal nach einem Spiel gemacht haben?
(lacht) Ich hatt’ damals bei 1860 halt grad einen in der Hand.
Laufen Sie noch wie früher im Grünwalder die Seitenlinie hoch und runter?
Das geht ja gar nicht mehr. Seit es die Coaching-Zonen gibt, dürfen wir ja kaum mehr was machen. Stattdessen muss ich mich bei jeder Kleinigkeit von irgendeinem 17-jährigen Schiedsrichter belehren lassen. Letztens musste ich auf die Tribüne. Das hat 50 Euro Strafe gekostet – und 150 Euro Gebühren. Aber wenn ich mir anschaue, was der Tuchel in Mainz oder der Klopp in Dortmund an der Seitenlinie veranstalten, dann bin ich harmlos.
Führen Sie denn den Spielern auch jetzt mit 70 noch die Übungen selber vor?
Ganz selten. Bis vor ein paar Jahren hab’ ich noch im Kreis mitgespielt. Aber das geht nicht mehr, irgendwann besteht die Gefahr, sich lächerlich zu machen. Das sind ja alles junge Spieler, die meisten beim Club, Fürth oder Ingolstadt ausgebildet.
Aber selbst Sport zu betreiben, das geht grundsätzlich noch?
Klar! Die Bandscheibe macht mir hin und wieder zu schaffen, aber ich fühle mich fit, mach’ jeden Tag 150 Liegestütze und fahr’ viel mit dem Rennrad.