1860-Verteidiger Verlaat im AZ-Interview: "Du merkst, wie wenig es braucht, um glücklich zu sein"

München - AZ-Interview mit Jesper Verlaat: Der 26-jährige Niederländer wechselte im vergangenen Sommer von Waldhof Mannheim zum TSV 1860 und gilt als Sechzigs Königstransfer.
AZ: Herr Verlaat, wenn man sich Ihre Instagramvideos mit Ihrer Mutter im Auto anschaut, fragt man sich: Wann haben Sie sich gegen eine Karriere als Entertainer entschieden - und für den Fußball?
JESPER VERLAAT: Meine Mama und ich lieben diese Nummer, das ist voll unser Ding. Wir haben schon überlegt, noch irgendwas anderes einzubauen. Wir haben schon ein sehr gutes Band, das muss man sagen. Mit meinem Papa (Ex-Bundesligaprofi Frank Verlaat, d. Red.) spreche ich über Fußball, mit meiner Mama auch über das restliche Leben (lacht)

Lassen Sie uns mit Fußball und Ihrem Abenteuer 1860 beginnen: Wie würden Sie das letzte Halbjahr, das erste im Löwen-Trikot, beschreiben?
Wir hatten einen perfekten Start. Am Ende mussten wir erkennen: Wir sind zu allem im Stande, zu einer tollen Rekord-Serie, aber leider auch zu einer schlechten. Für mich war das Schönste in der Hinrunde eher die ganze Zeitspanne, in der wir konstant Punkte geholt haben. Persönlich waren meine Treffer (Siegtor gegen Oldenburg, Last-Minute-Ausgleich gegen Köln, d. Red.) natürlich Highlights. Trifft man als Verteidiger, hat man Blut geleckt.
Verlaat über Sechzigs Herbstblues: "Das war schon seltsam"
Sie haben mit sportlicher Leistung und Ihrem Wesen als holländische Frohnatur die Löwenherzen im Sturm erobert.
Es ist sehr gut gelaufen für mich. Meine Follower bei Instagram sind von 8.000 auf 13.000 gestiegen, seitdem ich ein Löwe bin. (lacht) Meine Art ist aber keine Einbahnstraße. Das beruht schon auf Gegenseitigkeit: Wenn ich merke, dass Leute reserviert sind, bin ich auch nicht so offen. Die Löwen haben mich sehr gut aufgenommen. Und manchmal ergibt sich sowas auch aus dem Nichts. Zum Beispiel auf dem Oktoberfest, als ich die Gelegenheit hatte, mit OB Dieter Reiter zu sprechen. Davor hatten wir einen super Lauf, deswegen konnten wir die Wiesn auch genießen.
Wie können Sie sich den folgenden, herbstlichen Einbruch bis hin zur jüngsten, frostigen Negativ-Serie von nur einem Punkt aus vier Spielen vor der Winterpause erklären?
Das war schon seltsam. Da gewinnst du 2:0 in Osnabrück, schlägst mit einer starken Leistung Wiesbaden und verlierst dann in Bayreuth und zuhause gegen Saarbrücken, ein Spiel, das du nie verlieren darfst. Das Ende war auch bitter: Hätten wir das Tor gegen Essen nicht in letzter Minute gefressen, wären wir Dritter, dann würde die Tabelle besser aussehen.
Ist Sechzig der frühe Erfolg zu Kopf gestiegen?
Das denke ich nicht. Ob man deshalb einen Schritt weniger läuft? Keiner von uns gibt doch absichtlich nur 90 Prozent. Wenn man das Spiel bei Freiburg II nimmt (0:2, d. Red.): Du hast manchmal solche Spiele, in denen du nicht in die Zweikämpfe kommst. Du kommst einfach nicht ins Spiel. Aber man darf das nicht nur auf den Kopf schieben. Schlechte Phasen hatte jedes Team mal, außer Elversberg. Abschütteln, ausblenden und abschalten war jetzt ganz wichtig. Die WM-Pause kam für uns genau zur richtigen Zeit.
Verlaat erzählt: So will Köllner der Mannschaft neue Impulse geben
Wie haben Sie Trainer Michael Köllner am Ende erlebt? Er stand teils stark in der Kritik.
Michael Köllner weiß genau, was er will. Er führte zuletzt viele Einzelgespräche mit uns. Es ist ein guter Austausch. Er ist weder nervös noch aufgeregt. Er hat immer einen klaren Matchplan. Ich muss mich jetzt in den nächsten Wochen auf mich konzentrieren und schauen, dass ich wieder meine beste Leistung auf den Platz bringe.
Hat sich Köllner etwas einfallen lassen, um der Mannschaft neue Impulse zu geben?
Vor einigen Tagen haben wir angefangen, eine neue Methode auszuprobieren. Wir setzen uns vor jedem Training in die Kabine und haben zehn Minuten Zeit. Wir machen das Licht aus und jeder soll einfach in sich gehen. Einfach mal die Gedanken fließen lassen, ganz in Ruhe - ohne Musik, Handy aus. Einfach mal für sich sein. Nur Spieler und Trainer. Es machen alle mit. Ich mag das, ich kenne es ja, weil ich selbst meditiere. Man muss das annehmen, sich darauf einlassen. Es kann zu einer neuen Konstante im Kopf werden.
Welche Gedanken schossen Ihnen dabei als erstes in den Kopf?
Meine Gedanken vermischen sich da: Mal sind es Momente aus dem Vietnam-Urlaub: Ich war neun, zehn Tage alleine auf einem Backpacker-Trip und musste dabei auch lernen, mit mir ganz alleine klarzukommen. Dann sind es aber auch Gedanken über die Ziele. Der Weg ist das Ziel. Wir alle wissen, worauf wir hinarbeiten.

Haben Sie auch über das bestens harmonierende Duo Verlaat/Morgalla nachgedacht?
Wenn Leo und ich als bestes Abwehrduo der Liga bezeichnet werden, ist das schon schmeichelhaft. Wir ergänzen uns gut, wir wissen, wie der Mitspieler agiert, auch wenn er einen Ticken schneller ist als ich. Er hat diese Gier, dieses Ackernwollen. Ich mache auch gerne Späßchen mit ihm. Das Potenzial ist bei ihm da, das weiß jeder. Aber ich mach' ihm jetzt keinen Druck, da kriegt er schon genug von außen. Extra-Lob von mir braucht er nicht. Er braucht jemanden neben sich, der ihn als gleichberechtigt ansieht und das mache ich. Wir sind auf einem Level.
"Wer würde sich nicht freuen, Kapitän zu sein für eine solche Mannschaft?"
Und was ist mit Ihrer Zukunft: Bleiben Sie nur bei Aufstieg? 1860 könnte auch einen neuen Kapitän gebrauchten, falls Stefan Lex aufhört.
Gute Frage, da ist noch weit hin und ich habe Vertrag. Wir haben noch nicht mal die Hinrunde fertig. Wir haben klare Ziele als Verein. Wir haben auch noch andere Spieler, die lange genug hier waren. Wer würde sich nicht freuen, Kapitän zu sein für eine solche Mannschaft? Aber wie gesagt, ich bin erstmal froh, dass ich mich gut reingefunden habe.
Wie steht's um Winter-Neuzugänge, was denken Sie?
(Pressesprecher Rainer Kmeth erklärt dazu: Fragen zu Themen, die die Geschäftsführung und sportliche Leitung betreffen, beantworten unsere Spieler grundsätzlich nicht.)
Dann lassen Sie uns über Ihre Asien-Reise sprechen: Was haben Sie dabei gelernt?
Ich realisiere immer wieder, was für ein unglaublicher Trip das war. In der Coronakrise hab' ich mir gedacht: Ich bin jeden Winter in Holland, jeden Sommer in Portugal. Ich will mehr von der Welt sehen! Bangkok fand ich sehr touristisch, aber ich habe eine andere Erfahrung gesucht. Ich war in der Halong-Bay, habe Schlangenwein getrunken und Bauchschmerzen davon bekommen. Ich war bei Leuten zuhause, die haben sich ein ganz einfaches Haus selbst gebaut, nebenan steht ihr eigenes Reisfeld. Da steht ein Sack voll Reis, der ist 15, 20 Kilo schwer und sie essen am Morgen, zu Mittag und am Abend immer Reis. Sie haben eine ganz andere Kultur, sie schmatzen, machen ihr Essen auf einem kleinen Feuer über dem Boden. Total zurück zu den Wurzeln, eine ganz andere Welt. Du merkst, wie wenig es braucht, um glücklich zu sein.
TSV 1860: Jesper Verlaat findet die Jägerrolle gut
Viele Löwen würde der Aufstieg glücklich machen. Sie sind wieder in der Rolle des Jägers. Gefällt die Ihnen besser?
Jäger zu sein, finde ich gut. Das hat uns mental hellwach gehalten. Es ist ja noch nichts passiert. Platz sechs ist keine angenehme Situation. Jetzt gilt es, stark aus einer Winterpause zu kommen, die in dieser Form noch keiner hatte.
Wie wichtig wird das Duell am 14. Januar mit Ihrem Ex-Verein, bei Waldhof Mannheim für eine erfolgreiche Jagd der Löwen?
Das wird für mich etwas ganz Besonderes, aber es geht nur um drei Punkte. Wir wissen, dass sie mit die heimstärkste Mannschaft sind. Keine Ahnung, wie mich die Fans empfangen. Am Ende wird es an den letzten vier, fünf Spieltagen vor Saisonende sowieso noch mal vogelwild. Das ist in der Dritten Liga immer so. Wir sind zu allem in der Lage, haben bewiesen, dass wir nach Niederlagen auch wieder aufstehen. Wir haben alles in der eigenen Hand.
Sollten Sie es tatsächlich schaffen, kommen dann die Haare ab?
Nein, auf gar keinen Fall! Meine Haare sind mein Markenzeichen, die sind heilig. Das geht nicht. Da würde ich ja vier Jahre brauchen, bis die wieder so sind.