1860-Legende Stefan Schneider: "Ein Sechzger war ich eh schon immer, jetzt bin ich es wirklich"

München - AZ-Interview mit Stefan Schneider: Fast 30 Jahre lang war der ehemalige Radio-Moderator als Stadionsprecher die "Stimme der Löwen", ehe er, der weiter als Stadionsprecher beim EHC Red Bull München tätig ist, vor einem Jahr überraschend bei den Sechzgern aufhörte. Am Donnerstag wird er 60.
AZ: Herr Schneider, auch wenn der Anblick was anderes vermuten lässt, Ihre Geburtsurkunde stellt mit unnachgiebiger Härte fest: Stefan Schneider, die langjährige Stimme der Löwen, der Stadionsprecher des EHC Red Bull München, wird 60 Jahre alt. Wie begegnen Sie dieser ehrfurchtsgebietenden Zahl?
STEFAN SCHNEIDER: Mit einer ausgeprägten Grundgelassenheit. Beim Vierzger ist mir nichts passiert, beim Fuffzger auch nicht - und ich bin mir sehr sicher, der Sechzger wird mir auch nichts antun. Außerdem: Ein Sechzger bin ich ja fast von Geburt an - jetzt bin ich es halt wirklich. Alles gut also. Ich gehe mit ein paar ganz engen Freunden essen, die Leute kann man an zwei Händen abzählen. Der Tag geht wirklich vollkommen unspektakulär über die Bühne.
Stefan Schneider: Die Oma erweckte die Liebe zum Kochen
Sie schwingen nicht mal selber den Kochlöffel? Ihre Kochkünste sind ziemlich legendär.
Nein, an dem Tag lasse ich mich mal bekochen. Aber Sie haben schon recht, kochen gehört sicher zu meinen Leidenschaften. Das hat wohl meine Oma in mir entfacht, ich habe ihr als Kind beim Kochen gerne geholfen und ich war immer fasziniert, was sie wieder gezaubert hat. Später habe ich dann den Gourmetkoch Eckart Witzigmann und seinen Sohn kennengelernt und über die beiden dann wiederum den Hans Haas vom Tantris. Da durfte ich dann in der Küche mithelfen, mich an den Gerichten ausprobieren. Einer meiner gehütetsten Schätze ist eine Koch-Jacke, die mir der Haas dann mal geschenkt hat, da steht drauf: Stefan Schneider, Tantris München. Die bedeutet mir wirklich sehr, sehr viel.
Stefan Schneider war auch beim FC Bayern, entschied sich aber für 1860
Die Oma war also für die Leidenschaft zum Essen verantwortlich. Der Opa für eine andere...
Absolut! Meine Liebe zu den Löwen! Er war glühender Sechzig-Fan und auch ich bin es geworden. Ich war zwar als kleiner Bua auch mal bei den Bayern, aber die haben gewonnen, während die Löwen verloren haben, als ich das erste Mal dabei war. Da war mir klar: Die Blauen, die brauchen eher meine Unterstützung. Anders als heute der Zeitgeist ist, wo man immer den Platz an der Sonne haben will, sich umgehend auf die Siegerseite schlägt, gehört mein Herz eben den Underdogs. Die Stimmung, die Leidenschaft, die Fans das hat bei Sechzig einfach gleich mehr bei mir gezündet. Da war es um mich geschehen. Die Löwen, die sind eben mehr als nur ein Verein. Wer fragen muss, wie man das meint, der hat die Löwen nicht verstanden - und wird es wohl auch nie. Ich kann auch sagen: Ich hab bei den Löwen das Verlieren gelernt, wie man es vielleicht woanders nicht kann.
Löwen-Spiele waren für den kleinen Schneider Stefan also immer ein echtes Erlebnis?
Ja, schon das ganze Drumherum, wenn man damals mit der Tram, der 25, den Giesinger Berg hochgefahren ist aufs Stadion zu. Ich hing an den Trittbrettern, in der Hand die Löwen-Fahne und den dicken Schal um den Hals. Und dann ging es ins Grünwalder. Ich war immer ein Stehplatz-Fan. Ich stand im Block J.
Verrückte Geschichte: So wurde Schneider zum Stadionsprecher des TSV 1860
Und plötzlich wurde aus Block J der Platz als Stadionsprecher. Wie kam es?
Eine verrückte Geschichte. Es war 1992, ich war ja schon Stadionsprecher beim Münchner Eishockey, und hatte im Radio meine eigene Sendung. Und den Löwen hat das wohl gefallen. Ich war gerade im Urlaub auf Fuerteventura, als ich an der Rezeption angehalten wurde und mir der Concierge sagte, dass am Abend ein R-Gespräch für mich kommen würde. Handys gab es ja noch nicht. Ich wartete also auf den Anruf, es war mein Chef vom Radio. Der sagte: "Stefan, du bist jetzt der Stadionsprecher der Löwen! Die finden dich gut und dann haben wir gleich eine Kooperation geschlossen." Ich war ziemlich sprachlos, sagte nur, das geht nicht, die spielen am Samstag und ich bin hier auf Fuerteventura. Da meinte er nur: "Nicht mehr lange, auf dich wartet ein Propeller-Flugzeug." Das brachte mich nach Teneriffa. Von dort im Flieger nach Madrid. Weiterfliegen nach München, da stand dann ein Auto, das mich ins Grünwalder brachte - 30 Minuten vor Spielbeginn. Man drückte mir ein Mikro in die Hand, Zeit zum Üben war nicht. Und ich bin raus. Ich kann Ihnen versichern, den Tag und das Gefühl vergesse ich nie.
Gegen wen ging es?
Uerdingen! Ich hatte schon viel Respekt vor der Aufgabe, aber als ich dann rausging und Servus sagte, habe ich unter der Anzeigentafel ganz viele Leute gesehen, die ich vom Eishockey, von Hedos her kannte. Damals gab es ja riesige Überschneidungen der Fanszene. Da wusste ich: Das läuft. Es war für mich ein Traum diesen Job zu machen. Ich habe wirklich meinen Traum gelebt und bin unglaublich dankbar für all das, was ich da erleben durfte, mit meinen Sechzgern.
Das Rampensau-Gen, das musst du schon in dir haben, sonst kannst den Job nicht machen - und vor allem nicht so lange.
Ein Job, den nicht jeder kann.
Nein, das Rampensau-Gen, das musst du schon in dir haben, sonst kannst den Job nicht machen - und vor allem nicht so lange. Ich habe es fast dreißig Jahre gemacht. Bei Wind und Wetter. Und ich habe nie ein Spiel krank gefehlt. Nicht eines. Einmal ging es mir richtig schlecht, ich hatte 40 Fieber und habe dann meinen damaligen Kollegen vom Radio gefragt, ob einer für mich einspringen könnte. Ich konnte gar nicht so schnell schauen, wie sie alle nach links, rechts, nach hinten verschwunden sind. Für so eine Aufgabe muss man eben schon auch geboren sein.
Die Löwen waren auch immer ein gewisser Chaos-Klub. Haben Sie irgendeine Ahnung, wie viele Trainer und Präsidenten Sie in Ihren fast 30 Jahren als Stadionsprecher der Löwen er- und überlebt haben?
Ganz ehrlich?
Bitte, ja.
Nein (lacht), 20, 30 Trainer müssen es mindestens gewesen sein. Und Präsidenten gab es auch nicht gerade wenige in der Zeit. Dinge und Menschen kommen und gehen. Es gibt ja nicht gerade wenige in der Fanszene, die gesagt haben, die einzige Konstante bei den Löwen war der Stadionsprecher. Und deswegen bin ich auch froh, dass wir in Sebastian Schäch einen so guten Nachfolger haben.
Stefan Schneider: "Ich habe mich nie instrumentalisieren lassen"
Wie hält man es so lange aus?
Indem man seine Aufgabe liebt und sich ansonsten aus all den Dingen, die da manchmal abgehen, raushält. Ich liebe die Löwen und der Verein, mir ging es nie um einzelne Personen. Natürlich gab es schwierige Zeiten, aber ich habe mich da nie instrumentalisieren lassen. Mein Job war, es die Symbiose mit den Fans zu schaffen, und das habe ich so gut gemacht, wie ich es eben konnte.
Sie prägten den legendären Spruch: "Andere gehen zur Domina, ich zum TSV 1860."
Ja, und da ich jetzt nicht mehr sehr oft im Stadion bin, ist die Domina jetzt bei mir daheim, wenn ich den Löwen am Fernseher zuschaue. Und beim Spiel gegen Saarbrücken, als Sechzig in der Nachspielzeit noch den Ausgleich kassiert hat, hat sie wieder sauber zugeschlagen und mir wehgetan (lacht).

An welche Spieler - oder Bosse - haben Sie besondere Erinnerungen?
Horst Heldt war immer einer, den ich sehr mochte. Aber auch den jetzigen Trainer Michael Köllner. Er ist ein ganz besonderer Mensch. Das hat von der ersten Sekunde an gepasst zwischen uns. Er tickt genau wie ich, er ist extrem stolz, dass er für diesen besonderen Verein arbeiten darf. Er weiß, dass dieser Klub eben mehr ist. Wir treffen uns oft, gehen essen, reden über Gott und die Welt.
In welchem Stadion der TSV 1860 spielt, ist Stefan Schneider egal
Gerade Gott spielt in seinem Leben eine große Rolle.
Ja, seine Ansichten und Gedanken sind sehr interessant und tiefgehend.
Sie sind auch keiner dieser Stadionromantiker.
Nein, gar nicht. Ich liebe den Verein, die Spieler, aber kein Stadion. Ich sage, wenn die Löwen gut spielen, dann ist die Stimmung immer grandios. Egal, in welchem Stadion. Da ist es egal, ob im Olympiastadion eine Tartanbahn zwischen Spielfeld und Fans ist, ob es im Grünwalder ist oder der Arena bei der Deponie draußen.
Die Allianz Arena.
Genau. Klar, als wir ganz abgestürzt sind, und in der Bayernliga wieder anfangen mussten, ist klar, das man gegen Buchbach nicht in der Arena spielen sollte. Da habe ich gesagt: Gesund wird man am besten daheim. Und das war eben das Grünwalder. Aber grundsätzlich ist für mich das Stadion nicht von elementarer Bedeutung. Die Löwen leben nicht vom Stadion, sondern von den Fans und dem Gefühl 1860 München.
Und trotzdem haben Sie vor einem Jahr überraschend diesen Job, den Sie lieben, aufgegeben.
Für mich war es nicht überraschend (lacht).

TSV 1860: Darum hat Stefan Schneider als Stadionsprecher aufgehört
Trotzdem: warum?
Nun, wenn man Stadionsprecher beim Eishockey und bei den Löwen ist, sind die Wochenenden schon sehr, sehr kurz. Man hat nicht mehr viel von seinem Privatleben. Je älter man wird, umso schwieriger wird es. Mir war dann klar, dass ich beides nicht auf Dauer machen kann. Und eine meiner Charaktereigenschaften ist, dass ich ein sehr, sehr loyaler Mensch bin. Ich habe beim Eishockey angefangen, die haben als Erste an mich geglaubt, und daher will ich auch beim Eishockey aufhören.
Ist das wirklich alles?
Nun, mir hat die Wertschätzung schon sehr gefallen, die mir die Verantwortlichen beim Eishockey entgegengebracht haben. Wie sehr sie sich bemüht haben, dass ich auf jeden Fall und unter allen Umständen weitermache und auch im SAP Garden, der nächstes Jahr fertig sein wird, weiter mit an Bord bin. Die Wertschätzung meiner Arbeit, aber auch mir als Person gegenüber, war wirklich enorm und das hat mir klar gesagt und mir gezeigt, wie die zu mir stehen.
Wertschätzung.
Wertschätzung, ja.