1860: Der TSV Baustelle

Noch gar nicht lange her, da ernannten sich die Löwen zum Aufstiegskandidaten. Und heute?Der Klub steckt im Zweitliga-Mittelmaß – und keiner weiß genau, warum. Eine Spurensuche
MÜNCHEN Klar, Ewald Lienen wusste, warum er am Mittwochabend nach der unnötigen 0:2-Pleite in Karlsruhe zu den Fans an den Zaun ging und ihnen im bitterkalten Wildpark Trost zu sprach: Der Trainer schämte sich – für sich und seine Mannschaft.
Die Löwen sind dort angekommen, wo sie selbst eigentlich nie hinwollten: Sie sind Tabellenzehnter, stecken also im Mittelmaß der Zweiten Liga. Zu schlecht für den Aufstieg, zu gut für den Abstieg.
„Es reicht noch nicht für ganz oben“, gab Kapitän Benny Lauth am Tag nach der Pleite zu. „Uns fehlt die Souveränität von Augsburg, sich keinen Ausrutscher zu leisten.“
Woran hapert’s bei 1860? Es gibt etliche Baustellen, die es zu schließen gilt.
QUALITÄT UND MENTALITÄT
Zwölf Punkte fehlen den Blauen nach dem 22. Spieltag schon auf den Relegationsplatz zur Bundesliga, den derzeit Augsburg belegt. Für einen Verein, der sich im Jahr des 150-jährigen Bestehens selbst zum Aufstiegskandidaten ernannt hat, ist das ein blamables Zwischenzeugnis.
Dabei hat Manager Miki Stevic vor der Saison insgesamt 13 neue Spieler geholt, u. a. Alexander Ludwig oder Gabor Kiraly. Eine qualitative Verbesserung im Vergleich zum Vorjahr ist dauerhaft kaum erkennbar. Stevic verteidigt in der AZ seine Einkäufe: „Von der Qualität haben wir auch eine Super-Truppe. Aber es fehlt an der Mentalität.“ Der Manager droht nun: „In Zukunft werden wir nur noch Spieler aufstellen, die sich für den Verein quälen.“ Solche Sätze klingen vertraut. Und sollte ihr Inhalt nicht eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein?
HIERARCHIE
Wenn 1860 – wie jetzt in Karlsruhe zum zwölften Mal – in Rückstand geraten ist, hat die Mannschaft in dieser Saison nie gewonnen. In solchen Momenten wird deutlich, dass es in der Löwen-Elf an Spielern fehlt, die das Zepter an sich reißen. Allenfalls Gabor Kiraly taugt zum Alpha-Tier. Aber der steht weit hinten allein im Tor.
Dass Kapitän Benny Lauth bei Lienen nicht immer gesetzt ist und in Karlsruhe wieder mal auf der Bank landete, mag als Beleg für eine flache Hierarchie gelten. „Ich hätte gerne gespielt“, bemerkte der formschwache Lauth, „aber der Trainer hat mir gesagt, dass wir drei Spiele in einer Woche hätten.“ Seltsam.
TRAINER
Beredt und sehr menschlich. So kommt Ewald Lienen (56) bei Fans und Spielern durchaus gut an. Doch sportlich tritt der Klub mit dem erfahrenen Coach (früher u. a. in Köln und Hannover) weiter auf der Stelle. Lienen muss sich mitunter Kritik an seinen Auswechslungen und Aufstellungen gefallen lassen – wie jetzt in Karlsruhe, als er die erfolgreiche Elf, die zuvor 2:1 in Fürth gewonnen hatte, gleich auf drei Positionen änderte. Auch das Spielsystem ist nicht immer klar erkennbar. Dabei sollte mit Lienen nach den unglücklichen Engagements der unerfahreneren Vorgänger Marco Kurz und Uwe Wolf alles anders werden. Lienens Bilanz: negativ. In 24 Ligaspielen gab es acht Siege, sechs Unentschieden und zehn Niederlagen. Können die Löwen mit Lienen das Projekt Aufstieg überhaupt verwirklichen? Er sagt selbst:: „Jeder steht bei 1860 auf dem Prüfstand – die Spieler, aber auch ich.“
FANS