1860-Boss Günther Gorenzel: "Soll ich als Tabellenzweiter Einzelne infrage stellen?"

AZ-Interview mit Günther Gorenzel: Der 51-jährige Österreicher ist der Geschäftsführer Sport des TSV 1860.
Herr Gorenzel, zwei Gesundheitsfragen zuerst: Wie geht's der Schulter des lädierten Geschäftsführers nach dem Sturz beim Eishockey - und wie steht's um die Stimme von Trainer Michael Köllner, die nach dem 2:0 in Osnabrück nicht mehr erklingen wollte?
GÜNTHER GORENZEL: Es war ein hitziges Spiel an der Bremer Brücke, Michael ist beim Coaching immer voller Leidenschaft dabei. Er hat nach dem Spiel wirklich keinen Ton mehr herausgebracht, ist aber wieder top in Form. Meine Schulter leider nicht: Es hat drei Monate lang nach einer kompletten Lähmung der Schultermuskulatur ausgesehen, aber nach zig Untersuchungen bei Experten erholt sich der Nerv. 100 Prozent wird es nicht mehr werden, aber Verträge kann ich noch unterschreiben. Ich werde den Eishockeyschläger wohl an den Nagel hängen - besser, als mit über 50 noch mal anzugreifen.
Gorenzel: "Mit dem Gesamtergebnis absolut zufrieden"
Sie sind kürzlich 51 geworden, Glückwunsch an dieser Stelle. Ihre persönliche 50+1-Regel?
(lacht und überlegt) Meine 50+1-Regel? Gesundheit das ist das Wichtigste. Im letzten Jahr hat man gesehen, wie schnell es gehen kann: Meine Frau hatte einen Autounfall, mein Crash auf dem Eis - ich bin einfach froh, wenn wir gesund sind.
Damit zu den kleinen Löwen-Problemchen: Beim Osnabrück-Spiel haben Sie Köllner und das Team öffentlich in Schutz genommen und wollten "keine Kritik zulassen".
Wenn uns vor Saisonauftakt einer gesagt hätte, dass wir nach zwölf Spielen 26 Punkte auf dem Konto haben, hätte das - glaube ich - jeder, der es mit 1860 gut meint, unterschrieben. Von daher muss man mit dem Gesamtergebnis absolut zufrieden sein.
Zuletzt folgte ein Abwärtstrend.
Das habe ich gar nicht bestritten. Durch unsere Serie von fünf Siegen aus fünf Spielen haben wir die Latte sehr hoch gelegt. Dabei war völlig klar, dass du nicht fast 40 Spiele lang so durch die Liga braust, dass irgendwann eine gewisse Delle in der Leistungsentwicklung kommt. Die Gegner haben sich besser auf uns eingestellt und wir haben unsere Limits nicht erreicht, weil der Fokus nicht der gleiche war wie im ersten Viertel der Meisterschaft. Gerade dies musst du dann konsequent wieder einfordern.
Wer darf sich von Ihren Aussagen angesprochen fühlen?
Inhaltsbezogener Kritik müssen wir uns stellen. Das machen wir Tag für Tag. Sie ist ja förderlich für den Gesamtprozess. Sobald es an Einzelpersonen festgemacht wird, muss ich einschreiten. Soll ich als Tabellen-Zweiter grundsätzlich Einzelne infrage stellen?
Gorenzel: Mit den Neuzugängen "sehr zufrieden"
Was fordern Sie vom Löwen-Kosmos?
Das Entscheidende, was Meisterteams ausmacht: Du musst den Fokus im Hier und Jetzt behalten. Das ist umso schwerer mit einer hohen Erwartungshaltung und in einer Medienstadt. Es wurde schon viel zu viel davon gesprochen, was im Mai ist. Wenn du den Fokus zu weit nach vorne richtest, fehlen dir ein paar Prozente. Das kannst du dir in dieser Liga nicht leisten. Was das Umfeld macht, kann ich nicht beeinflussen, wir selbst müssen uns aber an unseren Slogan erinnern: "Ein Team, ein Weg!" Ruhe und Vertrauen helfen dabei. Wenn wir erfolgreich sein wollen, brauchen wir den Fokus im Moment - und dies fordere ich von allen ein!
Den Grundstein haben Sie vor Saisonbeginn gelegt: Früh wie nie hatten Sie neun Neulöwen beisammen. Zwischenfazit?
Wir sind sehr zufrieden. Auch die ersten Spiele waren kein Selbstläufer, aber wir haben viele Matches gewonnen durch unseren breiten Kader. Dahinter steckt viel strategische Arbeit. Wir legen die Spielerprofile schon im Herbst fest - also jetzt für nächsten Sommer, für den wir zweigleisig planen. Im Winter nehmen wir teils schon Kontakt auf. Einige Beispiele: Fynn Lakenmacher haben wir schon vor einem Jahr angesprochen. Auch Meris Skenderovic, Tim Rieder und Albion Vrenezi haben wir früh kontaktiert. Es ist eine Illusion zu glauben, im Mai bei einem Spielerberater anzurufen und zu sagen: "Ich hätt' gern diesen Spieler!"
Morgalla-Verlängerung: "Leo mussten wir eine Perspektive aufzeigen"
Inwieweit lässt sich planen, dass ein Spieler einschlägt wie Abwehrchef Jesper Verlaat?
Bei Jesper waren mehrere Faktoren entscheidend: seine sportliche Leistungsfähigkeit, sein Entwicklungspotenzial, aber natürlich auch seine Persönlichkeit. Ihn haben viele Klubs gejagt. Wir sind froh, dass wir ihn bekommen haben, auch hier waren wir früh dran.
Der Plan mit Spielmacher Martin Kobylanski ist dagegen noch nicht aufgegangen.
Auch Martin hat seine Qualitäten schon aufblitzen lassen. Er ist wichtiger Teil des Teams und ein ganz feiner Kicker, im körperbetonten Spiel kann er wie andere auch noch zulegen.
Nächste Personale: Wie lange haben Sie an der Verlängerung von Leo Morgalla getüftelt?
Viele Leute glauben, seine Verlängerung war selbstverständlich. Das war eine Arbeit über acht Monate! Wenn wir von einem Vertrag reden: Das sind heutzutage keine drei, vier Seiten, sondern 50, 60! Du brauchst oft 10, 20 Verhandlungsrunden. Leo mussten wir eine Perspektive aufzeigen.
Karriereende von Lex? "Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen"
Auf welcher Seite steht, dass er keine Ausstiegsklausel hat?
Es ist Fakt: Sollten wir Leo irgendwann in die große Fußballwelt entlassen, muss jeder Verein mit uns eine Ablöse verhandeln. Es war für mich sehr wichtig, diese Einigung zu erzielen, denn das ist für Sechzig wirtschaftlich ein großes Faustpfand. Wir konnten ihm aufzeigen, dass er sich hier am besten entwickeln kann. Es ist Leo hoch anzurechnen, dass er auch dem Verein etwas zurückgeben will.
Lieber fünf Jahre Morgalla oder fünf Millionen Ablöse?
Dass er sich bei uns die nächsten Jahre Schritt für Schritt weiterentwickelt - denn das würde heißen, dass wir ihm die sportliche Basis bieten können.
Auch Kapitän Stefan Lex? Er hat - etwas halbherzig - sein Karriereende angekündigt.
Das habe ich ihn auch gefragt, aber ich habe den Eindruck, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Wir haben uns darauf verständigt, dass er schaut, wie es gesundheitlich ist und wir in ein paar Monaten nochmal sprechen. Stefan ist kein lauter Lautsprecher. Wenn einer leiser spricht, hat sein Wort oft mehr Gewicht.
Kurze Zwischenfrage dazu: Haben Sie seinen Vorgänger Sascha Mölders im "Sommerhaus der Stars" gesehen?
Ja, tatsächlich. Ich war schon fasziniert, auf welche Ideen die Produzenten solcher Formate kommen. Da war der ein oder andere Schmunzler dabei bei den zu lösenden Aufgaben.
1860 strebt eine Vertragsverlängerung mit Köllner an
Damit wären wir bei Trainer Köllner angelangt: Hängt seine Zukunft vom Aufstieg ab?
Zwei Dinge dazu als Basis: Wir lassen uns sicher nicht von außen treiben. Wir sprechen schon seit Sommer miteinander, auch mit den Gremien. Wir streben eine Vertragsverlängerung mit Michael an, das ist kein Geheimnis. Es gibt auch von ihm ein klares Bekenntnis. Ich fühle mich nach wie vor vollkommen bestätigt mit seiner Verpflichtung. Der Trainer ist heute der wichtigste Repräsentant eines Klubs. Er macht das hervorragend.
An dieser Stelle müssen wir Sie mit einem älteren Zitat konfrontieren: Die Bundesliga sei "nur eine Frage der Zeit". . .
Dabei bleibe ich: Für Sechzig ist es das Ziel, an alte Zeiten anzuknüpfen. Jetzt haben wir am Sonntag das Legenden-Derby gegen den FC Bayern. Sechzig hat eine glorreiche Vergangenheit, aber wir waren 18 lange Jahre nicht mehr in der Bundesliga. Wir müssen gewisse Entwicklungsschritte aufholen. Nicht von heute auf morgen, aber wir haben uns in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt, den Aufstieg zwei Mal knapp verpasst. Mein Kollege Marc Pfeifer zieht neue Sponsoren an Land. In der Stadionfrage haben wir im Verein eine gemeinsame Haltung erarbeitet, die wir demnächst - nicht öffentlich - mit der Stadt erörtern. Mein größter Antrieb ist es, mit Sechzig Schritt für Schritt an diese Zeiten anzuknüpfen. Es wäre toll, wenn wir alle miteinander den nächsten Zwischenschritt schaffen. Entscheidend wird nicht die Physis werden, oder die Taktik. Diese Dinge haben wir im Griff. Entscheidend wird sein, ob wir bis Mai unseren Fokus behalten.