17 Minuten Horror: Lehrbuben, arrogante
MÜNCHEN - 1860 trumpft gegen Wehen auf, geht 3:0 in Führung – und spielt am Ende nur Remis. Drei Gegentore in einer bitteren Viertelstunde bringen die Löwen um die Früchte ihrer Arbeit. Beda: "Wir müssen jetzt lernen - aber schnell."
Oftmals wirkt Benny Lauth eher emotionslos. Was gestern in der Allianz Arena passiert ist, war jedoch auch für den sonst so gelassenen 1860-Torjäger zu viel. 3:3 nur hatten die Löwen gegen Wehen Wiesbaden gespielt, obwohl sie bereits 3:0 geführt hatten. Nach dem Abpfiff lief Lauth demonstrativ Richtung Spielertunnel. Er riss sich – angestachelt vom gellenden Pfeifkonzert aus der Nordkurve – noch auf dem Rasen der Allianz Arena frustriert das Trikot mit der Nummer 11 vom Körper und fluchte laut: „Oh, Mann!“ Lauth war gereizt. Schwer sogar.
Erst als ein paar Minuten vergangen waren und das Löwen-Rudel auf Höhe der Mittellinie langsam den obligatorischen Kreis bildete, kam Lauth, der mit seinem sechsten Saisontreffer zum 1:0 traf und Holebas’ 3:0 wunderschön vorbereitet hatte, kopfschüttelnd dazu. Schließlich wollte der 1860-Rückkehrer am Ende nicht noch eine Geldstrafe bezahlen. Strafe genug, dass die desolate Hintermannschaft gestern dem gesamten Team die Siegprämie geraubt hatte. Nach einer klaren 3:0-Führung erlebten die 19 200 Fans in Fröttmaning den 17-Minuten-Horror: Am Ende stand ein ernüchterndes 3:3 auf der Stadion-Großleinwand. „Das ist eine Katastrophe“, schimpfte Abwehr-Boss Gregg Berhalter und ergänzte enttäuscht: „Normalerweise musst du so ein Spiel 5:0 gewinnen. Ich habe keine Antworten darauf, wie das passieren konnte.“
Auch Mittelfeldspieler Mathieu Beda war schlecht gelaunt. „Heute? Das war ein großer Scheiß. Wenn du daheim so klar führst und am Schluss nur einen Punkt kriegst, dann ist das nix. Wir müssen jetzt lernen – aber schnell.“ Und Beda zweifelte sogar die Zweitliga-Tauglichkeit seiner Kollegen an: „Wenn du Profi bist, musst du das Spiel 3:0 gewinnen.“ Über wen sich der Franzose ärgerte, wollte er freilich nicht verraten. Und Torwart Philipp Tschauner, der zuvor in dieser Saison noch nie drei Tore in einem Spiel kassiert hatte, vermutet sogar eine alte Löwen-Krankheit dahinter – vor allem nach sportlichen Triumphen wie dem 1:0 in Rostock: „Vielleicht war bei dem ein oder anderen Überheblichkeit dabei. Was heute passiert ist, war beschämend.“
Giesinger Lehrbuben, arrogante. Erst hatten die Blauen die schwachen Wehener in alle Einzelteile zerlegt und eine verdiente 3:0-Führung heraus geschossen. Vor allem Timo Gebharts 2:0 war eine tolle Einzelleistung. Doch nach gut einer Stunde hatten die Löwen das Fußballspielen komplett eingestellt. Die 1860-Abwehr, zuvor mit nur elf Gegentoren die beste des bezahlten Fußballs in Deutschlands, verweigerte die Arbeit. Beim 1:3 durch Bakary Diakite (73.) dilettierten Benjamin Schwarz und Sven Bender genauso wie beim 2:3 von Sanibal Orahovac (82.). Ein Gegentor, bei dem allerdings auch Tschauner nicht die beste Figur abgab. Das finale 3:3 durch Benjamin Siegert, ein sehenswerter Schuss aus 25-Metern in der 90. Minute, war dann ein Stich mitten ins Löwen-Herz.
Trainer Marco Kurz war fassungslos: „Was die Mannschaft da abgeliefert hat, das ist nicht zu verstehen. Wir waren überheblich, pomadig und sind dafür bestraft worden.“ Und dann kam der Trainer oben auf dem Podest des Presseraumes der Arena doch noch zu eíner späten Erkenntnis: „Das war heute kein Punktverlust, das fühlt sich an wie eine hohe Niederlage.“ Da wollte ihm gestern freilich keiner widersprechen. Zumal es 1860 als Tabellen-Achter wieder einmal verpasste, sich an die Aufstiegsplätze heranzupirschen. Irgendwie typisch Sechzig. Oliver Griss