Tränen, krankhafte Gedanken und ein Royal

Routinier Haas kämpft sich in Melbourne über fünf Sätze in Runde drei, Jungstar Sabine Lisicki scheitert.
MELBOURNE In seinem schlichten, sponsorfreien Tennisdress sieht er aus wie jene unermüdlichen Abenteurer, die jahrein, jahraus in der Zweiten Liga des Wanderzirkus um die Welt gondeln. Doch der Blick täuscht ganz gewaltig: Denn Tommy Haas, der zurzeit etwas spartanisch ausgestattete Altmeister, ist noch immer ein Mann für erstklassigen Resultate und Dramen auf der Tour. So wie am Donnerstag in der ausverkauften Margaret-Court-Arena bei den Australian Open: Über drei Stunden stand Haas in einem Achterbahn-Duell auf dem Platz, ehe sein 4:6, 6:4, 6:3, 1:6, 6:3-Sieg gegen den Serben Janko Tipsarevic feststand.
Haas presste das letzte bisschen Energie aus sich heraus, rackerte beim Fünf-Satz-Drama wie ein Schwerstarbeiter ums Weiterkommen. Erst der 0:1-Rückstand, dann die 2:1-Führung, dann der 2:2-Ausgleich – Haas gab immer wieder Vollgas, ließ sich auch nicht irritieren, als er zweimal einen Breakvorsprung wieder abgab. „Man ärgert sich wie verrückt, hat krankhafte Gedanken in der Pause. Aber dann legt man wieder los", sagte er.
Er machte seinen serienweise ausrutschenden Landsleuten vor, welche Qualitäten bei Grand Slams gefragt sind. „Es sind die kostbarsten Tage der Saison, da musst du bis zum Umfallen kämpfen", sagte der unverdrossene Münchner, der als einziger von sechs beschäftigten DTB-Profis die dritte Runde erreichte. Am Samstag kommt es zu einem Schlagermatch für Haas, vielleicht sogar zu einer Davis-Cup-Generalprobe, wenn der 31-jährige auf den französischen Tennis-Ali Jo-Wilfried Tsonga trifft. Jenen Tsonga, der 2008 als Australian-Open-Finalist zum Superstar aufgestiegen war. „Das sind die Matches, für die ich noch unterwegs bin im Tennis“, sagte Haas, „dafür schuftet man in den langen Vorbereitungswochen im Kraftraum und auf dem Trainingsplatz.“
Hätte die elf Jahre jüngere Sabine Lisicki nur ein wenig von den Vollstreckerqualitäten des alten Haudegen Haas, wäre sie mit Sicherheit noch in Melbourne im Spiel: Aber ganz anders als ihr erfahrener Profikollege brach die 20-jährige Berlinerin als hohe Favoritin im Zweikampf mit der unscheinbaren Italienerin Alberta Brianti ein, als es ums Ganze ging.
„Heute ging einfach gar nichts. Alles lief schief", sagte die deutsche Nummer eins – und weinte nach dem 6:2, 4:6, 4:6-Desaster bittere Tränen. Lisiscki hatte zuvor das Kunststück fertig gebracht, im letzten Satz keine einzige von zwölf Breakchancen zu nutzen. 70 einfache Fehler sprachen Bände, wie weit der Anspruch, bald in den erlesenen Kreis der Top Ten-Spielerinnen vorzustoßen, und die Wirklichkeit auseinanderklafften.
Apropos Traumwelten. ein Prinz war auch zu Gast beim australischen Grand-Slam-Event: Englands William. Und Tennis-Supermann Roger Federer gab bei der Abendvorstellung prompt den Gentleman. Der Schweizer schnappte sich, bevor er locker mit einem 6:2, 6:3, 6:2 über den Rumänen Victor Hanescu in die dritte Runde einzog, das Stadionmikrofon – und begrüßte den royalen Zuschauer höchstpersönlich: „Willkommen, Eure Hoheit, in der Welt des Tennis.“
Jörg Allmeroth