Titelverteidigung: Klitschko vs. Spinner

Der Weltmeister verteidigt in Moskau seinen Titel gegen Sprücheklopfer Charr, der mal ein „arabischer Hengst”, ist, mal ein „deutscher Panzer” und auch Ghandi ist vor ihm nicht sicher.
von  Matthias Kerber
Augen-Duell: Weltmeister Vitali Klitschko (l.) und sein Herausforderer Manuel Charr.
Augen-Duell: Weltmeister Vitali Klitschko (l.) und sein Herausforderer Manuel Charr. © imago

Der Weltmeister verteidigt in Moskau seinen Titel gegen Sprücheklopfer Charr, der mal ein „arabischer Hengst”, ist, mal ein „deutscher Panzer” und auch Ghandi ist vor ihm nicht sicher

MOSKAU Sie starrten sich mit mahlenden Kiefern in die Augen. Weltmeister Vitali Klitschko blickte mit seinen 2,02 Metern Körpergröße auf Herausforderer Manuel Charr (1,92 Meter) herab, der alles tat, um beim obligatorischen Augen-Duell gefährlich auszusehen. „Er hat das Herz eines Kämpfers, das wird eine Schlacht, Charr wird bis zum letzten Blutstropfen kämpfen”, schlug der 41-jährige Champion vor dem Fight am Samstag in Moskau (23 Uhr, RTL live) martialische Töne an. „Er sagt, er sei ein Löwe und er werde mich verschlingen. Nun, man nennt mich Dr. Eisenfaust, er wird sich an mir die Zähne ausbeißen.”

Charr ist ein Sprücheklopfer. Mal sieht er sich als Rocky, der Klitschko, der die Rolle des fiesen Russen-Boxers Ivan Drago (Rocky IV) einnehmen soll, vernichtet. Dann gefällt sich der gebürtige Libanese als „deutscher Panzer”, der Klitschko überrollen wird. Oder er tituliert sich als „arabischer Hengst”. Bei der Pressekonferenz in Moskau versuchte sich Charr, der in Köln lebte, dann in der berühmten Siegerpose von Wunderläufer Usain Bolt, dem Bogenschützen. Am Ende zitierte er gar den indischen Pazifisten Mahatma Gandhi. „Zuerst ignorieren sie Dich, dann lachen sie über Dich, dann bekämpfen sie Dich und am Ende gewinnst Du”, sagte Charr, der in seinen 21 Kämpfen ungeschlagen ist, aber nie einen hochkarätigen Gegner hatte. „Ich werde Klitschko ausknocken. Das wird ein historischer Tag.”

Die Mätzchen Charrs kommen nicht gut an. Fritz Sdunek, der Vitali Klitschko seit 1996 trainiert, ist vom Auftreten seines ehemaligen Schützlings genervt. „Er ist ein Träumer und ein Spinner”, sagte Sdunek, „ich habe Manuel kürzlich mal zur Seite genommen und ihm gesagt, dass er mit seinem ganzen Getue unsympathisch wird. Aber Zuhören und Reflektieren sind nicht wirklich seine Stärken. Ich habe ihn damals trainiert, weil ich Mitleid hatte.”

Der 27-jährige Charr hat ein bewegtes Leben. Sein syrischer Vater fiel 1987 im Bürgerkrieg. Die Mutter flüchtete zwei Jahre später mit fünf seiner sieben älteren Geschwistern nach Deutschland. Dort putzte er als Junge Autoscheiben an Ampeln, er stahl, er prügelte sich fast täglich. „Ich musste mich behaupten”, sagt Charr, der Angst vor der Dunkelheit und Silvester hat, das Knallen, die Finsternis erinnern ihn an die Bombennächte in Syriens Bunkern.

2007 stand Charr zusammen mit Alexander Abraham – Bruder von Weltmeister Arthur – vor Gericht. Wegen versuchten Totschlags. Charr hatte sich in Berlin rohe Eier gekauft und damit am Kudamm den Passanten Hassan B. beworfen. Es kam zum Streit mit einem der Wurf-Opfer. Bei der anschließenden Schlägerei wurde der Beworfene mit einem Messer lebensgefährlich verletzt. Charr räumte ein, zugestochen zu haben. Allerdings in Notwehr. Hassan B. habe ihn mit einer Glasscherbe bedroht und hätte fünf bis zehn Kumpane dabei gehabt. Charr habe daher in Panik zugestoßen. Das Gericht akzeptierte die Erklärung und sprach Charr frei.

Der panische Charr, das passt so gar nicht zu der Legende, die er von sich selber spinnt. Der Legende des Mannes, der „nur vor Gott Angst hat”.

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