Thomas Dreßen: Verrückt und historisch
Ein bisschen sah es dann doch so aus, als wüsste Thomas Dreßen nicht recht, wie ihm geschah. Da stand er nun, rechts von ihm der Weltmeister, links von ihm der Olympiasieger, und als die deutsche Nationalhymne am Zielraum der "Olympiabakken" im norwegischen Kvitfjell erklang, da sang er sichtlich bewegt und konzentriert mit. Erster! Zum zweiten Mal nach seinem Triumph im Januar auf der Streif in Kitzbühel hatte er eine Abfahrt gewonnen.
Eine "verrückte Saison" sei das, sagte Dreßen am Fuße jener Strecke, wo er zwölf Monate zuvor mit Rang sechs sein bis dahin bestes Ergebnis im Weltcup erreicht hatte, und wo vor 24 Jahren Markus Wasmeier im Super G zum ersten seiner zwei Olympiasiege gefahren war.
Verrückte Saison? Auf jeden Fall eine historische: Dreßen ist schließlich der erste deutsche Abfahrer, dem in einem Winter zwei Weltcup-Siege in der Königsdisziplin gelangen.
"Es freut mich brutal", sagte Dreßen, "dass es jetzt nach Kitzbühel nochmal geklappt hat." Nach dem Sieg in Kvitfjell kann jetzt keiner mehr behaupten, dass jener auf der Streif nur ein Geschenk des Himmels war.
Die Konkurrenz würde das ohnehin nicht mehr tun. "Sein Sieg ist kein Zufall, weil er einer der besten Abfahrer der Welt ist", sagte Aksel Lund Svindal (Norwegen), Olympiasieger und Dritter hinter Weltmeister Beat Feuz (Schweiz) über den jungen Deutschen.
Dreßen ist eine Ausnahmeerscheinung, wie sie dem deutschen alpinen Ski-Rennsport selten widerfuhr. Sein Erfolg in Kvitfjell war erst der achte Abfahrtssieg eines Deutschen im Weltcup seit 1967 - zwei Siege haben außerdem Wasmeier (Wengen und Garmisch) und Sepp Ferstl (beide in Kitzbühel), je einen Franz Vogler und Max Rauffer. Dreßen ist nun zudem Dritter im Abfahrtsweltcup, und wenn es so bliebe: So etwas ist einem Deutschen nie gelungen.
Dreßen wirkt bisweilen, als könne er das alles noch gar nicht fassen. Stolz sei er, dass "ich da mit dem Beat und dem Aksel auf dem Podium gestanden habe", sagte er. Die beiden Größen, die beim Weltcup-Finale ab dem kommenden Mittwoch im schwedischen Are noch um den Gesamtsieg in der Abfahrtswertung kämpfen, "sind Heroes für mich", betonte Dreßen erneut, Feuz und Svindal seien Vorbilder - "auch menschlich".
Dreßen ist allerdings auch schon selbstbewusst genug zu betonen, dass er jederzeit um den Sieg mitfahren kann, wenn bei ihm alles passt. Nein, wiederholte er am Samstag, den Sieg setze er sich "nie zum Ziel", ihm gehe es immer nur darum, seine bestmögliche Leistung zu bringen, denn: "Das ist das Einzige, was ich beeinflussen kann." Und dennoch: "Ich hätte mit vielem gerechnet", sagte Dreßen über seine Saison, "aber nicht, dass es so gut läuft."
Dreßen war ja in diesem Winter auch Dritter in Beaver Creek/USA und sehr guter Fünfter bei Olympia in Pyeongchang gewesen. Und am Sonntag, beim Super-G in Kvitfjell, belegte er beim Sieg von Kjetil Jansrud (Norwegen) Rang acht - so gut war er nie in der zweitschnellsten alpinen Disziplin. Andreas Sander (Ennepetal) wurde ebenfalls starker Zehnter, Josef Ferstl (Hammer) nur 24. In der Abfahrt hatten Sander und Ferstl die Plätze 31 und 25 belegt.
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