Interview

Tennis-Legende Bollettieri: "Ich denke oft an Boris"

In der AZ spricht US-Trainer-Guru Nick Bollettieri über Boris Beckers Großzügigkeit, seinen "Sohn" Tommy Haas, was Alexander Zverev besser machen muss - und das Geheimnis seiner ewigen Fitness.
von  Thomas Becker
Auch noch mit 89 absolut fit: Nick Bollettieri.
Auch noch mit 89 absolut fit: Nick Bollettieri. © imago/ZUMA Press

München - Das AZ-Interview mit Nick Bollettieri: Der US-Amerikaner (89) ist die Trainer-Legende im Tennis, formte unter anderem Andre Agassi, Jim Courier, Monica Seles und Marija Scharapowa zu Weltstars.

AZ: Mister Bolletieri, wie geht's Ihnen? Inwiefern beeinträchtigt die Corona-Pandemie Ihre Arbeit auf dem Tennisplatz?
NICK BOLLETIERI: Corona beeinträchtigt einfach alles. Aber die Akademie-Programme für unsere Tennisschüler laufen weiter, es können derzeit nur keine Tagesgäste auf die Anlage kommen - und die Profis, die von der Tour kommen, können leider auch nicht rein.

Haben Sie keine Angst vor dem Virus? Mit Ihren 89 Jahren gehören Sie ja schon zur sogenannten Risikogruppe.
Ach wissen Sie, wenn man wie ich schon so oft aus einem Flugzeug gesprungen ist ... (Bolletieri war als junger Mann Fallschirmspringer in der US Army, Anm. d. Red.). Es passiert das, was passieren soll.

Nick Bollettieri: Tennistrainer seit 1956

Sie sind Tennistrainer seit 1956. Wie hat sich Tennis in dieser langen Zeit verändert?
Nun, erst mal ein paar Zahlen: Früher gab es mit Jimmy Arias, Andre Agassi und Michael Chang Spieler, die oft nur 1,78m oder 1,80m groß waren. Pete Sampras war mit 1,85m schon ein Riese. Heutzutage ist das Spiel viel physischer. Bei den Männern dürfte die Durchschnittsgröße bei 1,90m oder 1,93m liegen. Und die Frauen sind auch groß! Was nicht heißt, dass jemand Kleines es nicht schaffen kann, aber alle sind halt viel größer als früher. Und sie verbringen sehr viel mehr Zeit mit der Arbeit an körperlicher Fitness.

Diese Drills sind ja Ihre Kernkompetenz, neben dem Job als Motivator.
Erinnern Sie sich, was Richard Williams (der Vater von Venus und Serena, d. Red.) seinen beiden Töchtern sagte: 'Renn' nach jedem Ball!' Die Tochter: 'Aber Daddy, der Ball ist doch im Aus.' Richard: 'Du rennst nach jedem einzelnen Ball! Vom allerersten Ball an, den du im Training schlägst. Wenn du das tust, wirst du Bälle erreichen, von denen du nie geglaubt hast, dass du sie erreichen kannst!'

Der 89-Jährige trainierte einst Boris Becker.
Der 89-Jährige trainierte einst Boris Becker. © imago/Waldmüller

Schauen wir nach Deutschland: Wie würden Sie Alexander Zverev trainieren?
Er muss mental stärker werden, wenn es nicht ganz so gut läuft. Ich würde ihm Videos von seinem Training zeigen - ohne dass er weiß, dass er aufgenommen wird. Und Videos von seinen Spielen. Er würde wahrscheinlich sagen: 'Das bin doch nicht ich!' Doch die Kamera lügt nicht. Aber er hat viel, was ihn unter die Besten der Welt bringen kann.

Gibt es noch Hoffnung für Angelique Kerber auf eine Rückkehr in die Weltspitze?
Sie hat die Fähigkeit zurückzukommen. Heutzutage muss man versuchen, im Spiel die allererste Gelegenheit zu nutzen. Sabine Lisicki kann das, auch Laura Siegemund ist eine Gute.

Ist Boris Becker ein guter Trainer?
Boris, mein Mann! Hören Sie ihm zu! Er sagte mal über mich: 'Nick steht nah bei dir, sieht die kleinen Dinge, gibt einen kurzen Tipp - und ist wieder weg. Mich haben die meisten Coaches totgelabert. Je mehr du als Trainer redest, desto mehr musst du deinem Schüler beibringen.' Ich denke oft an Boris. Er war wunderbar und immer sehr großzügig zu seinem Staff. Ist er ein guter Trainer? Kommt drauf an, mit wem er arbeitet. Er hat sicherlich das Wissen, aber: Gott gab mir die Fähigkeit zu wissen, dass alle Menschen grundverschieden sind. Also: Lerne zuerst den Menschen kennen - und erst dann lehre ihn das Spiel!

Tommy Haas kam schon als Elfjähriger zu Ihnen, ging nochmal zurück nach Deutschland, um mit 13 erneut zu kommen - und auch länger zu bleiben.
Tommy war wie ein Sohn für mich. Wir sind auch heute noch sehr eng miteinander. Auch die Zeit mit Michael Stich habe ich sehr genossen.

Auch für Tommy Haas (l.) war Bollettieri zeitweise verantwortlich.
Auch für Tommy Haas (l.) war Bollettieri zeitweise verantwortlich. © imago/Thomas Exler

Wenn Sie den perfekten Spieler basteln könnten: Wer würde den Aufschlag liefern, wer den Return, wer den Volley, wer Vor- und Rückhand?
Schwierig. Sampras war sicher ein fantastischer Aufschläger, Agassi der beste Rückschläger, Nadal hat die beste Vorhand, aber die beste Technik in jedem Aspekt des Spiels hat Djokovic. Bei den Frauen wird es schwierig werden, nochmal eine Serena zu bekommen. Ihre Bewegung zum Ball hat sie so unfassbar stark gemacht.

Serena Williams: Die Beste aller Zeiten? 

Ist Sie die Beste aller Zeiten?
Dem kann man kaum widersprechen. Sie können sich da aus dem Fenster lehnen, aber ich muss ein bisschen höflich sein: Serena ist sicher eine der Besten, aber es gab ja auch eine Steffi Graf.

Was war Ihr schönster Moment auf dem Tennisplatz und was Ihr schlimmster?
Als Andre in Wimbledon gewann. Und der schlimmste Moment war der in Andres Box, als ich für Andre und Jim Courier gleichzeitig arbeitete. Der andere große Fehler von meinen vielen Fehlern war, dass ich Andre einen Brief schrieb statt zu ihm nach Las Vegas zu fahren, um ihm zu sagen, dass wir uns trennen werden.

Haben Sie noch Kontakt zu Agassi?
Auch das bleibt privat.

Okay. Aber dafür müssen Sie uns Folgendes verraten: Woran erkennt Nick Bolletieri, dass er da gerade ein großes Talent vor der Nase hat?
Man muss die Erwartungen seiner Schützlinge kennen, muss sie als Mensch kennen, muss ihre Eltern und deren Erwartungen kennen - und dann erst an Bewegung und Technik arbeiten. 99 von 100 sollten erst mal für ein paar Jahre ans College gehen. Tausend sind auf der Tour, aber nur die Top 85 der Welt verdienen Geld.

Ein Blick zurück: Warum gibt es heute - abgesehen von Nick Kyrgios - keine Typen mehr wie John McEnroe oder Jimmy Connors?
McEnroe und Connors konnten dich mental zerstören. Die Psyche ist auch heute noch wichtig, aber du kannst dir keine Schwäche mehr erlauben, wenn du zu den Besten der Welt gehören willst. Und das ist auch teuer: Viele talentierte Spieler werden nie die Chance haben, zu zeigen können, was sie alles draufhaben - weil sie es sich finanziell nicht leisten können. Manche Top-Spieler haben heute einen Ernährungsberater, einen Fitnesstrainer, einen Motivator, einen Koch - es ist verrückt!

Gibt es einen Satz oder ein Mantra, das alles über Tennis sagt?
Tennis ist ein einsamer Sport. Es ist ich oder du. Deine Psyche spielt eine wichtige Rolle. Du brauchst schon so einige Waffen, um zu den Besten zu gehören. Nur ab und zu ziemlich gut zu spielen, langt längst nicht mehr.

Erst 2014 wurden Sie in die Tennis Hall of Fame aufgenommen - eine späte Genugtuung?
McEnroe hat mich immer runtergemacht, aber bei der Ehrung zur Hall of Fame sagte er: ‚Dieser Mann hat das Spiel geprägt.' Wenn du ein Kompliment von Big John McEnroe bekommst: Baby, das ist groß!

Einen Tipp müssen Sie uns geben: Wie schafft man es, mit 89 noch so fit zu sein wie Sie?
Ich will, dass Sie mir jetzt gut zuhören: Heiraten Sie acht Mal, dann müssen Sie Alimente zahlen - das hält jung, Baby!

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