Team Gerolsteiner als Mogelpackung - Holczer geht

Berlin (dpa) - Der deutsche Radsport taumelt in die nächste Affäre und verliert in Hans-Michael Holczer einen Anti-Doping-Verfechter.
von  Abendzeitung
Die Mannschaft des Teams Gerolsteiner bei der Präsentation im Januar.
Die Mannschaft des Teams Gerolsteiner bei der Präsentation im Januar. © dpa

Berlin (dpa) - Der deutsche Radsport taumelt in die nächste Affäre und verliert in Hans-Michael Holczer einen Anti-Doping-Verfechter.

Der zweite prominente Dopingfall durch Bernhard Kohl hat den Chef des Gerolsteiner-Teams, dessen Sponsor wie seit langem angekündigt zum Jahresende aussteigt, kapitulieren lassen. «Ich ziehe mich aus dem Profiradsport zurück. Ich passe nicht in dieses System. Der Fall Kohl hat mir meine Macht- und Hilflosigkeit erneut vorgeführt, ich kapituliere vor der kriminellen Energie», sagte der 54 Jahre alte Mathematiklehrer, dessen einstiges Radsport-Erfolgsprodukt immer mehr als Mogelpackung wahrgenommen wird.

Kohl äußerte sich erstmals öffentlich. «Ich brauche noch Zeit, um mich zu sammeln und wieder klar denken zu können», zitierte das Internetportal des ORF den Tour-de-France-Dritte. Der Niederösterreicher betonte, er werde «zeitnah und noch vor der Öffnung der B-Proben» bei einer Pressekonferenz in Wien Stellung beziehen. Weitere Erklärungen gab der 26-Jährige nicht ab.

Nach einem Bericht der französischen Sportzeitung «L'Équipe» soll Kohl laut der französischen Anti-Doping-Agentur AFLD der letzte positive Fall der nachträglichen Tour-de-France-Tests gewesen sein. Doch Holczers Entschluss steht: Das Team Gerolsteiner ist Geschichte. Durch den selbst auferlegten Kodex der Profiteams muss sich Gerolsteiner für die nächsten acht Tage aus dem Rennbetrieb zurückziehen, wird also am Samstag auch nicht die Lombardei-Rundfahrt bestreiten. Das italienische Traditionsrennen sollte das letzte große Rennen des Teams aus der Vulkaneifel sein - danach wäre ohnehin Schluss gewesen. «Selbst-Suspension - das habe ich zum Abschluss nun wirklich nicht verdient», sagte Holczer.

«Schon nach dem Fall Schumacher waren wir bei Paris-Tours alle nicht mehr motiviert», sagte Gerolsteiner-Profi Markus Fothen, der sich kommende Woche erstmals mit seinem neuen Milram-Team trifft. BDR-Präsident Rudolf Scharping fürchtet um die Zukunft des Profi- Radsports. «Das ist jetzt endgültig ein Überlebenskampf», sagte der Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer dem Magazin «Radsport».

Holczer, der trotz monatelanger Suche keinen Nachfolge-Sponsor für den Mineralwasser-Hersteller gefunden hatte, reagierte mit seinem Rückzug auf die Bekanntgabe der positiven A-Probe des Österreichers Kohl auf das Blut-Doping-Mittel CERA. Wie sein Team-Kollege Stefan Schumacher (Nürtingen) vor Wochenfrist war der Tour-de-France-Dritte und Gewinner des Bergtrikots in einem nachträglichen Test der AFLD überführt worden. Schumacher (zwei Etappensiege, zwei Tage im Gelben Trikot) und Kohl hatten bei der vergangenen Frankreich-Rundfahrt für einen ungeahnten Höhenflug des Gerolsteiner-Teams gesorgt. Nach Angaben des Österreichischen Radsportverbandes (ÖRV) hat Kohl die Öffnung der B-Probe beantragt. Zudem wolle er sich innerhalb einer Woche öffentlich äußern. «Es wird in den nächsten Tagen, spätestens in einer Woche, eine Pressekonferenz mit Bernhard geben», sagte Kohls Manager Stefan Matschiner der Nachrichtenagentur APA.

Holczer, dem von Ex-Profi und Doping-Kronzeuge Patrik Sinkewitz «Betriebsblindheit» vorgeworfen worden war, will an die Hintermänner der Dopingfälle in seinem Team heran. «Bernhard hat mich angerufen und ich habe ihm geraten, alles offen auf den Tisch zu legen. Er soll die Namen nennen. Hier findet doch eine Hexenjagd auf die Falschen statt», sagte Holczer. Auch die Auslassungen der «Gazzetta dello Sport» konnten als Seitenhieb gegen Holczer verstanden werden: «Nicht einmal der kompetenteste Trainer hätte Kohl so eine Tour zugetraut. Seit 2002 hatte er gerade mal zwei Sieg geholt, die man durchaus vergessen durfte. Aber dann fuhr er in Frankreich mit der neuen Bombe geladen und explodierte.»

Nach den Worten des Team-Managers aus Herrenberg habe Kohl am Telefon ihm gegenüber Doping geleugnet. Genauso verfährt Schumacher, der laut Bund Deutscher Radfahrer die Öffnung der B-Probe von der AFLD verlangen muss. Dazu hat er gemäß des französischen Sportrechts als im Ausland lebender Athlet eine Frist von zehn Tagen.

Schon nach dem Fall Schumacher hatte Fothen bei der Anreise zum Herbst-Klassiker Paris-Tours auf sein übliches Gerolsteiner-Jacket verzichtet: «Ich wollte mir unterwegs die Anmache ersparen.» Fothen, der wie sein Team-Kollege Fabian Wegmann in Zukunft für den einzigen verbleibenden deutschen Top-Rennstall Milram fahren wird, war am Montag erstmal «sprachlos» und fürchtet langfristig um seinen Arbeitsplatz: «Natürlich mache ich mir da Gedanken.» Der «Tiefpunkt» sei laut Fothen «wohl immer noch nicht erreicht».

Doch laut AFLD soll Kohl der letzte positive Fall unter 30 nachträglich untersuchten Proben gewesen sein, obwohl nach der WM in Varese weitere Namen hochprominenter Tour-Starter kursierten, die in den Nach-Kontrollen angeblich ebenfalls positiv auf das EPO-Nachfolge-Produkt CERA getestet worden sein sollen.

Kohl hätte während der Tour nach den Worten Fothens «mit Tränen in den Augen wie wir alle auf die Doper gewettert, die uns alles kaputtmachen». Dem Kletterspezialisten aus Kärnten drohen eine Zwei- Jahres-Sperre und die Aberkennung seiner Tour-Erfolge.

Kohl ist nach seinem Zimmer-Kollegen Schumacher und dem Italiener Leonardo Piepoli (Saunier Duval) der dritte Radprofi, dem die nachträglichen Tests der Analyse-Labors in Lausanne und Chatenay- Malabry zum Verhängnis wurden. Insgesamt wurden damit sieben Dopingfälle der Tour 2008 bekannt.

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