Interview

Sven Hannawald: "Eine höhere Macht entscheidet über den Tournee-Sieg"

Vor 20 Jahren gewann Sven Hannawald als letzter Deutscher die Vierschanzentournee. In der AZ spricht er über den Wunsch nach einem Nachfolger, die D-Mark als Preisgeld - und die Tücken der Tournee.
von  Thomas Becker
Höhere Mächte im Spiel? Wenn es nach Sven Hannawald, dem letzten deutschen Gewinner der Vierschanzentournee geht, entscheiden diese Mächte über den Gesamtsieg.
Höhere Mächte im Spiel? Wenn es nach Sven Hannawald, dem letzten deutschen Gewinner der Vierschanzentournee geht, entscheiden diese Mächte über den Gesamtsieg. © imago images/ActionPictures

AZ-Interview mit Sven Hannawald: Der 47-Jährige ist der letzte Deutsche, der - 2001/02 - die Vierschanzentournee gewann. Er war der erste Skispringer, der bei einer Tournee alle vier Einzelbewerbe für sich entschied. Er arbeitet jetzt als Experte für den TV-Sender ARD.

AZ: Herr Hannawald, es dürfte wenig Städte geben, die Sie öfter besucht haben als Oberstdorf. Auf dem Weg müssten Sie doch jeden Maulwurfshügel mit Vornamen kennen.
SVEN HANNAWALD: Ich habe ja jetzt eine andere Reiseroute, weil ich aus München komme. Früher gab's dieses zähe Geeiere am Bodensee. Die Strecke hat dich angezipft, aber du wusstest, es hat ja was Gutes, weil du zur Tournee fährst. Meine Erste war, glaube ich, 1992/93. Ich bin immer gern nach Oberstdorf gefahren. Mittlerweile ist es gut ausgebaut und einfacher zu fahren.

Sven Hannwald: "Vor Ort hat man ein ganz anderes Empfinden"

Im vergangenen Jahr mussten Sie aus dem Studio kommentieren, nun sind Sie wieder vor Ort. Tut gut, oder?
Das macht schon extrem viel aus. Ich bin froh, dass wir frische Luft kriegen, weil man da ein ganz anderes Empfinden hat, was das Wetter angeht. So kann ich meine Erfahrungen mit einbringen. Im Studio bin ich in dieser Hinsicht gefühlt blind. Da muss ich rumtelefonieren, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was der Stand ist.

Glaubt man dem Wetterbericht, könnten die Bedingungen interessant werden. . .
Schon, aber für jeden Einzelnen gilt es, bei sich zu bleiben. Das ist das Grundrezept. Die Tournee kannst du nicht gewinnen wollen, sondern du musst erst mal deine Voraussetzungen bringen, und dann entscheidet eine höhere Macht, ob es sein soll oder nicht. Alle, die auf Biegen und Brechen etwas wollen, werden knallhart scheitern. Man muss sich so ein bisschen der Tournee hingeben - und hoffen, dass sie es in diesem Jahr gut mit einem meint.

Hannawald: "Du musst einen Sprung haben, der passt"

Hatten Sie eine Lieblingsschanze?
Oberstdorf hat für uns diesen heimischen Charakter - und statistisch auch die meisten deutschen Siege. Aber ich bin heute noch froh, schüttele jedem Österreicher die Hand und sage Danke, dass sie in Innsbruck die Schanze fertig gekriegt haben, weil die mir wie auf den Leib geschneidert war.

Schauen wir auf die Favoriten: Wem liegt welche Schanze?
Mittlerweile kann sich jeder auf die verschiedenen Schanzen einstellen. Da fliegt nirgendwo einer weg. Du musst deinen Sprung haben, der muss passen. Klar hast du in Garmisch eine höhere Flugbahn, musst in Bischofshofen schauen, dass du drüber kommst, im Hang Höhe gewinnst.

Hannawald: "Ich sehe Kobayashi etwas weiter vorne"

Vergleichen Sie doch mal den Sprungstil von Geiger und Kobayashi!
Kobayashi springt ähnlich wie ich früher: eher schnell, oben alles mitnehmen und unten im Hang davon profitieren. Springer wie Karl, die größer gewachsen sind, haben einen enormen Punch am Tisch, dadurch eine etwas andere Flugkurve.

Die Genannten sind die bislang konstantesten Springer, korrekt?
Auf jeden Fall. Kobayashi hat es trotz des positiven Corona-Tests und der Disqualifikation wegen des Anzugs geschafft, an Karl dran zu bleiben, ihn teilweise zu übertrumpfen. Für mich ist er ein bisschen mehr Favorit, was für Karl nicht schlecht sein muss. Ich weiß, dass Karl sich in alle Schanzen gut rein arbeiten kann, was er in Engelberg gezeigt hat. Und ich hoffe, dass es langsam so weit ist, dass ich endlich einen Nachfolger bekomme.

Sven Hannawald, ehemaliger Skispringer, freut sich schon auf die Vierschanzentournee und ist gespannt auf den Sieger...
Sven Hannawald, ehemaliger Skispringer, freut sich schon auf die Vierschanzentournee und ist gespannt auf den Sieger... © Angelika Warmuth/dpa

Hannawald: "Man lässt den Wettkampf an der Schanze" 

Sie sagten: "Wenn ein Deutscher gewinnt, dann der Karl."
Markus Eisenbichler in Top-Form springt auch komplett mit, aber er ist mir zu instabil. Es kann aber sein, dass er morgen aufwacht, es hat Klick gemacht, er weiß genau, was er tut - und gewinnt die Tournee. Nach den Ergebnissen von Engelberg gehe ich nicht davon aus. Da ging er mit Problemen anders um als Geiger. Der fängt am Freitag normal an, arbeitet sich innerhalb von wenigen Sprüngen so hin, dass er samstags gewinnt und sonntags Zweiter wird. Das ist der Unterschied. Er bleibt ruhig. Und Eisenbichler sagt: ‚Ich versteh' die Schanze nicht. Die spricht nicht mit mir.' Irgendwann ist er an einem Punkt, wo es ihn richtig anzipft, dann gibt er noch einen drüber, denkt sich ‚Sekt oder Selters' - so was geht in die Hose, und dann verpasst du den zweiten Durchgang.

Es ist eine sehr spezielle Ausgangslage, dass er mit Konkurrent Geiger das Zimmer teilt. Mit wem waren Sie damals auf dem Zimmer?
Lange mit dem Martin (Schmitt, d. Red.), bis es einen allgemeinen Zimmerwechsel gab. Das hat trotz Konkurrenzsituation gut funktioniert. Man lässt den Wettkampf irgendwo an der Schanze. Und lässt den anderen weitestgehend in seiner Welt. Wobei: Ich war schon eher der Akkurate, hab' immer aufgeräumt, Martin dagegen kam aus der Generation, die alles hat fallenlassen. Irgendwann waren die Haufen so groß, dass es auch mal hektisch wurde, wenn die Abfahrt zur nächsten Schanze anstand.

Mehr Preisgeld als je zuvor

Noch ein Wort zum Geld: So viel Preisgeld gab's noch nie.
Gott sei Dank. Ich schätze mal, dass das 70-jährige Jubiläum mit eine Rolle spielt. Aber die Diskussion ist nicht neu. Bei der neu gegründeten Raw-Air-Wettkampfserie gab es mehr Preisgeld als bei der Tournee - das kann nicht sein. Jetzt geht es in die richtige Richtung. 100.000 Schweizer Franken für den Gesamtsieg finde ich sensationell - ich bin gespannt, wer den Scheck auf der Bank einlösen darf. Wobei: Wenn's Kobayashi wird, wird's eine Weile dauern, bis er zur Bank kommt.

Wie viel gab es damals?
Ich glaube, 25.000 D-Mark pro Sieg, 50.000 für den Gesamtsieg plus ein Auto. Bei mir war dann der Wechsel von D-Mark zu Euro: In Oberstdorf habe ich noch D-Mark bekommen, ab Garmisch gab's Euro.

Hannawald: "In Timbuktu braucht man nicht anfangen"

Den Skispringerinnen wird die große Bühne Vierschanzentournee wieder vorenthalten. Wann ändert sich das?
Ich würde mich freuen, wenn es Möglichkeiten gibt. Denn Skispringen ist Tournee. Es wäre schön, wenn sie die gleichen Orte bekommen würden, aber ich weiß nicht, ob das logistisch möglich ist. Wenn nicht, sollten es immerhin zwei deutsche und zwei österreichische Orte sein. In Timbuktu braucht man nicht anzufangen. Wobei wir mit dem Thema Flutlicht schon jetzt alle Springen in den Nachmittag ziehen: Garmisch bekommt Licht, Innsbruck auch. In den nächsten ein, zwei Jahren werden wir alle Springen um 16.30 Uhr haben, so dass vormittags Luft wäre. Mal sehen, ob's was wird.

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