Steiert: In Deutschland zählen nur Siege

Wolfgang Steiert, der Trainer der russischen Skispringer über seinen Job, den Unterschied zum deutschen Team und seine Zukunft.
von  Abendzeitung
Trainer der russischen Skispringer: Wolfgang Steiert.
Trainer der russischen Skispringer: Wolfgang Steiert. © Minkoff/Augenklick

Wolfgang Steiert, der Trainer der russischen Skispringer über seinen Job, den Unterschied zum deutschen Team und seine Zukunft.

AZ: Ein gutes Neues noch, Herr Steiert. Silvesterfeiern fallen bei Ihnen ja wegen des Neujahrsspringens immer sehr kurz aus, konnten Sie wenigstens in Ruhe Weihnachten feiern?

WOLFGANG STEIERT: Ja. Mit meinen Sportlern.

Die Russen waren bei Ihnen?

Ja, bei mir ums Eck im Schwarzwald, da habe ich sie Heilig Abend alle in eine Pizzeria eingeladen.

Heim zu ihren Familien durften sie aber nicht?

Nein. Das wäre auch Wahnsinn gewesen, eine Katastrophe für die Tournee-Vorbereitung. Der eine wohnt in Ufa, 1200 Kilometer weg von Moskau, der andere in Nischni-Nowgorod. Bis der daheim ist, braucht der ja zweieinhalb Tage. Und außerdem, meine Springer sind zwar mental sehr stark, aber wenn sie daheim sind, dann käme wohl doch wieder die russische Seele zum Vorschein.

Und wie ist die russische Seele so?

Die gewöhnen sich einfach schnell wieder an ihre Umgebung und lassen es vielleicht nicht mehr ganz so konsequent angehen. Und das können wir uns nicht leisten. Ich merke eh, dass ich mit den russischen Sportlern anders reden muss als früher mit den deutschen.

Und wie?

Direkter und härter, als man selber oft will. Die sind das so gewohnt von ihrer Ausbildung her. Wenn man da zu weich anpackt, kann der Schuss schnell nach hinten los gehen. Die Unterschiede im ganzen System sind eh enorm, ich würde sagen, zwischen deutschem und russischem Skisprung liegen von der Entwicklung her 40 Jahre. In Deutschland denkt man viel innovativer, moderner, auch was Problembewältigung mit psychologischer Hilfe angeht. In Russland stehen dagegen an der Verbandsspitze viele alte Männer.

Das klingt nach verkrusteten Strukturen.

Man könnte es so nennen, ja. Und wenn man auch die Nachwuchsarbeit anschaut und sieht, wie professionell die Deutschen aufgestellt sind, mit welch riesigem Trainerstab, die Österreicher, Skandinavier, auch Polen, Japaner und Slowenen, dann schüttelt man schon manchmal den Kopf und sagt: „Mei o mei.“ Aber es macht dennoch unheimlich viel Spaß.

Muss es wohl, sonst hätten Sie es sicher keine fünf Jahre bisher ausgehalten.

Ich hätte mir das nicht gedacht, und viele haben mir das nicht zugetraut. Und auch wenn es nur langsam nach oben geht, es geht immerhin nach oben. Und wir haben natürlich mit Bionorica, Gazprom und adidas große Partner im Nacken, ohne die hätte ich wohl von heute auf morgen aufgehört.

Aber gerade der Gasgigant Gazsprom ist vielen zu unheimlich und zu mächtig. Auf dem Energiemarkt und auch im Sport sind die in Europa sehr aktiv, so als Sponsor von Schalke 04.

Die machen aber viele soziale, karitative Sachen. Jetzt bei der Tournee zum Beispiel. Für alle 500 Meter, die alle russischen Springer zusammen erreichen, wird ein krebskrankes russisches Kind mit seinen Eltern zu einem Schalke-Heimspiel eingeladen. Das sind so kleine Dinge, die einen freuen, wenn man merkt, dass man mit seiner Bekanntheit auch etwas Gutes tun kann.

Wie bekannt sind Sie in Russland? Sind Sie da oft drüben?

Anfangs war ich es, ja. So drei- bis viermal im Jahr. Inzwischen nicht mehr, weil auch die Sportler gesagt haben: 'Wolfgang, das bringt nix.' Dafür ist die Infrastruktur einfach zu veraltet, die haben ja kaum Schanzen dort. Darum trainieren wir immer hier in Mitteleuropa oder Skandinavien. Aber die Leute in Russland schauen jetzt auch mehr zu als früher. Biathlon, Langlauf, Eishockey, das sind immer noch die beliebtesten Sportarten, aber wir holen auf. Skispringen läuft bei denen jetzt oft bei Eurosport rauf und runter, mittlerweile haben sie auch einen eigenen Reporter dabei.

Der Zeit als deutscher Trainer trauern Sie nicht mehr hinterher?

Nein.

Sie waren lange Assistent von Reinhard Heß, der Boom ebbte aber schon ab, als Sie dann Cheftrainer wurden. Fühlten Sie sich manchmal ungerecht als Sündenbock behandelt?

Nein, ich hatte auch mit Reinhard meine Meriten. In Deutschland zählen halt nur Siege, und im Endeffekt war es der richtige Zeitpunkt, dass der DSV damals die Entscheidung traf, so hat sich diese Chance mit Russland ergeben. Was mir allein an menschlicher Erfahrung schon unheimlich viel brachte.

Gibt es wieder ein Zurück zum DSV?

Man soll nie nie sagen. Ich bin ja noch nicht so alt, dass ich in Rente gehe. Erst einmal ist unser Ziel Sochi 2014, die Olympischen Winterspiele, auf die Russland hinfiebert. Bis dahin wird noch viel passieren. Nördlich von Jekaterinenburg bauen sie gerade eine Schanze und bald auch in Nischni-Nowgorod. Dann bin ich auch einmal zweieinhalb Tage unterwegs.

Interview: Florian Kinast

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