"Traumhaft, wenn das Stadion erbebt"
AZ: Herr Köstner, am Dienstag empfängt Unterhaching im Achtelfinale des DFB-Pokals Bayer Leverkusen. Da dürften bei Ihnen ganz besondere Erinnerungen hochkommen, oder?
LORENZ-GÜNTHER KÖSTNER: Ich werde heute noch darauf angesprochen. Reiner Calmund sagt immer, dass ihm sämtliche Albträume einfallen, wenn er mich sieht. Für mich sind das schöne Erinnerungen.
Für Leverkusen ging es im Mai 2000 am letzten Spieltag in Haching um die Meisterschaft. Für Ihre Mannschaft um nichts mehr. Oder wollten Sie den Bayern damals tatsächlich Nachbarschaftshilfe leisten?
Wir hatten drei Spieltage vor Schluss den Klassenerhalt schon geschafft. Aus dem Auswärtsspiel in Hamburg haben wir einen Familienausflug gemacht und 0:3 verloren. Ich habe der Mannschaft dann drei Tage frei gegeben und ihnen nur gesagt: „Alles, was Bayern München oder Leverkusen erreichen möchten, müssen sie selbst machen. Ich möchte nur, dass wir die Saison sauber zu Ende spielen.“
All die Aufregung im beschaulichen Unterhaching ist aber auch an Ihnen nicht spurlos vorübergegangen, oder?
Vor dem Spiel war nichts mehr normal im Sportpark. Da ist ja auch schon festgelegt worden, wie und wo die Meisterschale übergeben werden sollte. Und dann gab es zum Teil auch überhebliche Kommentare aus Leverkusen. Das hat meine Mannschaft heiß gemacht.
Ihre Spieler fühlten sich also nicht ernst genommen?
Es ging ja eigentlich nur noch um die Höhe des Ergebnisses. Man hatte das Gefühl, Leverkusen wollte vor den Toren von München triumphieren. Und die wussten ja auch, dass bei uns die Luft raus war.
Die Partie verlief dann aber ganz anders als erwartet.
Meine Mannschaft ist über das Kämpferische ins Spiel gekommen. Dann kamen die Zwischenergebnisse der Bayern an. Als es dort 2:0 stand und Leverkusen noch kein Tor geschossen hatte, merkte man, dass die Spieler unzufriedener wurden. Dann fiel das Eigentor, ausgerechnet durch Michael Ballack, und es kam die Sternstunde von Gerhard Tremmel. An seinen Paraden sind die Leverkusener schier verzweifelt. Ich bin dann nach dem Spiel zu Völler, Holzhäuser und Calmund hingegangen und habe gesagt: „Jungs, ihr wart doch selbst dran Schuld, ihr seid da überheblich reingegangen.“ Das wussten sie aber auch selbst.
Hat Ihnen Christoph Daum nicht leidgetan? Sie kannten ihn ja gut aus Ihrer gemeinsamen Zeit beim VfB Stuttgart.
Das wäre der größte Triumph für ihn gewesen. Man kannte ja das Theater mit Jupp Heynckes und Uli Hoeneß. Das hat vielleicht auch eine Rolle gespielt.
Hat Hoeneß Ihnen die versprochenen „Weißwürste bis zum Abwinken“ geliefert?
Da war ich am Anfang ein bisschen sauer und habe gesagt: „Er kann seine Weißwürste alleine essen.“ (lacht) Ich musste dann erfahren, dass meine halbe Mannschaft auf der Meisterfeier der Bayern war. Das war mir sehr unangenehm und dafür habe ich mich bei den Leverkusenern entschuldigt.
Was hat den Geist von Unterhaching ausgemacht?
Das Familiäre und diese Mannschaft, die einen riesigen Zusammenhalt hatte. Erst hieß es: „Was wollen die Hachinger? Die werden weniger Punkte als Tasmania Berlin holen.“ Unser Auftreten hat uns Anerkennung verschafft.
Glauben Sie, dass Unterhaching diesem alten Geist wieder neues Leben einhauchen kann?
Dass Unterhaching in die vierte Liga abgestiegen ist, hat mich schon geschmerzt. Ich hoffe, dass sie irgendwann wieder hochgehen in die Dritte Liga, damit Manni Schwabl (Hachings Präsident, d. Red.) und seine Mitarbeiter wieder vernünftiger arbeiten können.
Bei dem Pokalspiel am Dienstag darf Mr. Unterhaching ja eigentlich nicht fehlen. Werden Sie im Stadion sein?
Schwabl hat mich angerufen. Er möchte auch den ein oder anderen Spieler von damals aktivieren.
Glauben Sie an ein neues Haching-Wunder?
Man hat ja gegen Ingolstadt und Leipzig schon gesehen, was möglich ist. Aber genau deshalb wird Leverkusen Unterhaching nicht unterschätzen. Wenn die Mannschaft über sich hinauswächst und das Stadion in seinen Grundfesten erbebt, wäre das natürlich traumhaft. Ob es tatsächlich reichen wird, wage ich zu bezweifeln.
Im vergangenen Jahr mussten Sie Ihren Trainerjob bei Fortuna Düsseldorf aufgrund einer Krankheit aufgeben. Wie geht es Ihnen aktuell?
Ich litt an einer bakteriologischen Infektion, die mein ganzes Immunsystem aufgefressen hatte. Das war eine harte Zeit für mich, weil mein Körper mit 62 Jahren das erste Mal gestreikt hat. Ich kannte mich selbst nicht mehr, hatte Kopfschmerzen ohne Ende und konnte kaum noch zehn Minuten gehen. Diese Auszeit war sehr, sehr wichtig. Jetzt geht es mir wieder sehr gut und ich kann wieder angreifen.
Gibt es konkrete Pläne für eine Rückkehr auf die Trainerbank?
Nachdem Jupp Heynckes 2013 beim FC Bayern aufgehört hat, war ich der älteste Trainer im deutschen Profifußball, der noch im Amt war. Dann bin ich krank geworden. Da wird man schnell so ein bisschen abgestempelt. Da ist es dann schwer, wieder reinzukommen. Ich will aber nicht mit einer Krankheit aufhören. Wenn ich für eine Aufgabe gebraucht werde, werde ich da sein. Ich spüre die Emotion und das Feuer wieder in mir.