Sport, Soldaten und viel Sonderbares: Die WM im Militärischen Fünfkampf

NEUBIBERG - In Neubiberg findet zur Zeit die WM im Militärischen Fünfkampf statt. Die AZ hat sich dort umgeschaut - und verfolgte eigenartige Diszilpinen.
Regungslos liegt er da, mit dem Gesicht zum Boden. Dass noch Leben in dem durchtrainierten Körper steckt, sieht man erst bei genauerem hinsehen. Er ringt nach Luft, der Oberkörper hebt sich bei jedem Atemzug, er stöhnt vor Schmerz. Kameraden versuchen ihm aufzuhelfen-vergeblich. So geht es zu im Militärischen Fünfkampf, dem Sport mit den so sonderbaren Diszilpinen, dem Sport, den einst die Alliierten 1946 erfunden haben, dem Sport, bei dem die Weltbesten derzeit in Neubiberg um den WM-Titel kämpfen.
Nach einiger Zeit schafft es der belgische Soldat im schwarz-gelb-roten Trainingsanzug doch wieder auf die Beine. Soeben hat er die zweite Disziplin hinter sich gebracht: 500 Meter Hindernislauf. Die „Königsdisziplin“. Die nächsten zwei Athleten sind schon auf der Bahn. Kameraden laufen nebenher und feuern sie lautstark an. Chinesisch, Arabisch, Französisch, Spanisch, Norwegisch.
Ein Dauerfeuer unverständlicher Laute. Der militärische Grundton ist jedoch derselbe. Gelaufen wird auf einer ovalen Tartanbahn der Universität der Bundeswehr. Ein karges Gelände mit leer stehenden Baracken und ehemaligen Hangars. Zwischen dem Kopfsteinpflaster wächst Gras. Die Schilder sind von Moos befallen.
20 Hindernisse müssen überwunden werden. Tiefe Gräben, hohe Mauern, enge Löcher. „Die Weltspitze läuft das in 2:20 Minuten.“ so der österreichische Athlet Severin Faiman. Die Weltspitze, die stellt seit Jahren die Chinesische Volksarmee.
„Die haben einen Kader von 2000 Athleten, aus denen sie die besten sechs zur WM schicken. Wir hingegen haben insgesamt neun Soldaten die diesen Sport betreiben.“ beklagt sich Robert Wiesböck, Leiter der Sportfördergruppe der Bundeswehr. Trotz dieser Unterlegenheit gilt die deutsche Nationalmannschaft, Europameister 2007 und Vize-Weltmeister 2008, als Mitfavorit. Stärkster Mann: Martin Reichart. Der 28-Jährige wurde letztes Jahr Zweiter in der Einzel- und Mannschaftswertung und hält den deutschen Rekord im Hindernisschwimmen.
Aus den Lautsprechern rund um den Parcours schallen Ergebnisse und Rockmusik. Vergleichsweise schmächtige Soldaten und Betreuer aus Venezuela probieren sich an einer deutschen Bratwurst: „Muy bien!“. Hinter ihnen sind einige Fahnen durch den starken Wind vom Mast gerissen worden.
Unzählige Soldaten der Bundeswehr sind im organisatorischen Großeinsatz: Zeit nehmen, Sandgruben rechen, betreuen, verarzten, bewachen und Fahnen hissen. Um eine Fahne kümmern sich sechs Soldaten. Unter die globale Soldatenauswahl mischen sich auch einige Zivilisten. Teils interessiert, teils verwundert, teils belächelnd verfolgen sie das Geschehen.
So etwas habe man ja noch nie gesehen, meint eine Gruppe Rentner. Dann plötzlich ein Schuss, die Leute zucken zusammen. Die nächsten zwei Soldaten sind gestartet. Wieder wird geschrien und angefeuert. Vor Anstrengung verziehen die Läufer das Gesicht und jagen sich durch, über, unter den Hindernissen bis ins Ziel.
Die meisten sind gleichauf. „Es treten immer Soldaten mit ähnlicher Weltranglistenplatzierung gegeneinander an.“ erklärt der deutsche Athlet Martin Scherer. Auch 41 Soldatinnen sind am Start. Zumeist kleine, kräftige Damen in knallbunten Trainingsanzügen. Für Außenstehende eher befremdlich wirkende Erscheinungen, in einer Testosteron-geladenen Umgebung. Für die Kameraden hingegen vollwertige Mannschaftsmitglieder. An fünf Tagen stehen fünf Disziplinen an. Schießen, Hindernislauf, Hindernisschwimmen, Werfen und ein abschließender Geländelauf über 8000 Meter müssen bewältigt werden. Mit am beeindruckendsten: Das Hindernisschwimmen. Im 50-Meter-Becken des besetzten Freibads in Unterhaching sind fünf Hindernisse im Wasser aufgestellt.
Das vermeintlich schwerste ist ein Tisch, welcher einen halben Meter aus der Wasseroberfläche herausragt und überwunden werden muss. Ansonsten muss über, unter und durch Hindernisse geschwommen werden. Auch in dieser Disziplin treten zwei Soldaten im direkten Duell gegeneinander an. Der nächste Vorlauf: Ein zierlicher Inder in einer knappen Badehose steigt auf den Startblock. Sein Konkurrent: ein stattlicher Schwede im Ganzkörperschwimmanzug. Beide sind konzentriert, blicken starr Richtung Ziel. Stille um das Becken. Start! Einige hundert Zuschauer jubeln den Startern von der kleinen Tribüne zu. Es wird richtig laut. Manche haben Tröten dabei, manche schwenken Fahnen.
Mit verbissenen Gesichtern kämpfen sich die zwei durch die kräfteraubenden Hindernisse. Mannschaftskameraden filmen das Rennen. Beleibte Bundeswehrsoldaten in knappen, braunen T-Shirts und noch knapperen, blauen Shorts nehmen die Zeit. Der Schwede gewinnt, holt Luft, ballt die Faust und fängt an ohrenbetäubend zu schreien. So sieht militärischer Ehrgeiz aus. Er landet allerdings nur auf Platz 82. Bester Mann beim Schwimmen: Der deutsche Vizeweltmeister Martin Reichart.
Er meistert die 50-Meter-Strecke in 24,9 Sekunden. Der Weltrekord über 50 Meter Freistil liegt bei 20,94 Sekunden-ohne Hindernisse. „Das war supergeil!“ freut sich der Sportsoldat über den Tagessieg, bevor er von Kameraden und Betreuern, die ihn beglückwünschen wollen überrannt wird. Ein Brasilianer will mit ihm die Bademütze tauschen. Trikots gibt es ja nicht. Nach drei Disziplinen ist er Gesamtführender. Die Menge gröhlt und feiert den vorläufigen Sieg über China, während die vielen Bundeswehrler bereits mit dem Aufräumen beschäftigt sind. Unbeachtet davon Reicharts Konkurrent. Der liegt noch neben dem Becken, mit dem Gesicht zu Boden und ringt nach Luft.
So geht es zu. Im Militärischen Fünfkampf.
Mathis Broelmann