„Solche Typen gibt es nicht mehr“
Alphatiere unter sich: Wie Stefan Effenberg, der Ex-Cheffe, erinnert sich, wie er und Oliver Kahn die Bayern zum Triumph führten.
AZ: Herr Effenberg, versetzen wir uns zurück: Mailand, der 23. Mai 2001, das Champions-League-Bankett des FC Bayern nach dem Finaltriumph. Sie waren der Kapitän der Mannschaft. Oliver Kahn hielt drei Elfmeter. Erinnern Sie sich noch, was Sie in dieser Nacht geredet haben?
STEFAN EFFENBERG: Während des Elferschießens habe ich gedacht: Der Typ kommt vom anderen Stern, das war ja unmenschlich, wie er die gut geschossenen Elfmeter rausgetaucht hat. Später saß ich mit Olli und seinem Vater zusammen an einem Tisch. wir haben uns angeschaut, brauchten keine großen Worte. Wir wussten: Wir sind am Ziel. Wir haben geschafft, was es 25 Jahre nicht gegeben hat. Über ein Vierteljahrhundert haben die verschiedensten Bayern-Mannschaften versucht, diesen Pott wieder zu holen - und was da für Spieler dabei waren! Wir haben drei Jahre gebraucht.
Drei Jahre, weil Sie 1998 zu Bayern kamen. Da war Kahn schon vier Jahre in München.
Und von Anfang an hatten wir beide dieses Ziel, den Pott. Wir wussten beide, dass wir mit dieser Mannschaft nicht mehr so viel Zeit hatten.
In der ersten Saison hat es fast geklappt. Barcelona, 1999.
Es hat ein paar Tage gedauert bis wir nach diesem Drama der letzten Minuten wieder zu uns gekommen sind. Aber dann haben Olli und ich uns geschworen: Wir sind nicht am Ende des Weges, dieses Erlebnis ist die pure Motivation für uns. Wir wussten: Wir packen das!
Wie hoch ist der Anteil am Champions-League-Sieg 2001 von Franz Beckenbauer?
Sie meinen wegen seiner Bankettrede in Lyon?
Richtig, als er nach dem 0:3 in der Zwischenrunde von Altherren-Fußball sprach, von Uwe-Seeler-Traditionself?
Schwer zu sagen. Aber an diesem Abend sind wir alle nach Ende der Rede wortlos aufgestanden und auf die Zimmer gegangen. Ohne zu essen. Am nächsten Tag habe ich zu Ottmar Hitzfeld gesagt: ,Ich muss mal mit der Mannschaft sprechen, ohne Trainer.' Dann habe ich Ihnen erklärt: ,So nicht! Mit uns nicht!' Ich habe das Funkeln in ihren Augen gesehen.
Sie haben gesprochen, nicht Oliver Kahn.
Ich war der Kapitän, er der Vize-Kapitän. aber ich habe das nicht so gesehen. Wir waren immer auf einer Stufe. Wir waren die Bosse - ein perfektes Duo. Und unser Glück war: Wir hatten eine perfekte Mannschaft.
Als Hitzfeld 1998 anfing, war Thomas Helmer Kapitän, ein Jahr später wurde er abgesetzt, Sie der Nachfolger. Es gab nie ein Machtgerangel zwischen Ihnen und Kahn, zwischen den zwei Alphatieren?
Nein, wir sind respektvoll miteinander umgegangen. Wir waren dafür verantwortlich, dass es läuft in der Mannschaft. In der Hierarchie waren wir beide oben, jeder Spieler wusste, wo er hingehört. Und auch für die Gegner war das gut. Die wussten: Oh, da kommen der Kahn und der Effenberg! Vorsicht!
Und wenn es mit den Medien Ärger gab, sind Sie auf Konfrontation gegangen.
Wir haben uns nichts gefallen lassen, was den Erfolg des Teams gefährdet hätte. Wir wollten den Druck von den jüngeren Spielern wegnehmen und sind, wenn es angebracht war, zur Pressekonferenz gegangen. Damit die anderen Ruhe haben.
Als Sie Kahn kennengelernt haben, wie sind Sie ihm begegnet?
Olli ist erst mal ein eher zurückhaltender Mensch, er wartet ab, bis er sich öffnet. Das kam mir entgegen, weil ich auch so bin. Man muss sich ein wenig verschließen, dann bist du auch authentischer, wenn's ernst wird. Wenn er ein Kasper gewesen wäre, hätte er nicht diese Erfolge, dieses Standing gehabt. Es kann nicht jeder so ein Typ sein wie der Brazzo (Hasan Salihamidzic, d.Red. ), der immer lustig ist und mit jedem gut Freund ist - ohne dass ich das böse meine. Es hat ein bisschen gedauert, aber dann hat Olli sich geöffnet und wir haben uns ab und zu auch privat getroffen.
Heute auch noch?
Nein, aber das wäre schön. Er hat ja bald mehr Zeit, dann will ich mich mit ihm treffen.
Sie haben Ihre Karriere 2004 beendet. Was würden Sie ihm raten?
Er soll so leben, wie er noch nie gelebt hat. Den Kopf frei kriegen, Abstand bekommen. Wenn du 20 Jahre auf diesem Niveau warst, musst du das alles erstmal verarbeiten. Ich habe einen Rat und eine Bitte an ihn: ,Olli, nimm eine Auszeit! Aber bleibe dem Fußball verbunden'.
Wird er. Als Kollege von Ihnen. Sie arbeiten für Premiere und die Internet-Plattform "www.feelfootball.com". Ab Herbst soll Kahn fürs ZDF Spiele der Nationalmannschaft als Experte begleiten.
Ja, wunderbar. Er wird sehen, dass diese Tätigkeit auf der anderen Seite Spaß macht. Vielleicht arbeiten wir auch auf dem Gebiet bald mal wieder zusammen.
Abschließend eine Frage. Okay, die schwierigste, kaum zu beantworten: Wer kann Kahn als Kapitän ersetzen?
Puh, das ist echt schwer. Mit Olli und Ottmar verliert Bayern zwei ganz große Persönlichkeiten. Es wird eine der größten Aufgaben von Jürgen Klinsmann, den richtigen zu finden. Vielleicht van Bommel oder Lucio - ich weiß es nicht. Solche Typen wie Kahn gibt's nicht mehr viele. Das ist leider so.
Interview: Patrick Strasser