Interview

Ski-Ikone Ertl-Renz über den Dürr-Aufschwung: "Lena merkt, dass sie mitfahren kann"

Nach den zwei dritten Plätzen von Levi bewertet Martina Ertl-Renz im AZ-Interview den überraschenden Aufschwung bei Lena Dürr: "Sie hat nie die Energie und den Ehrgeiz verloren."
von  Thomas Becker
"Mutigere Fahrweise" - das macht bei Deutschlands Ski-Nummer eins Lena Dürr laut Ertl-Renz gerade den Unterschied.
"Mutigere Fahrweise" - das macht bei Deutschlands Ski-Nummer eins Lena Dürr laut Ertl-Renz gerade den Unterschied. © picture alliance/dpa/Lehtikuva

AZ: Frau Ertl-Renz, am Wochenende hat Lena Dürr in Levi - abgesehen von einem Sieg in einem Parallelslalom 2013 - ihre ersten beiden Podestplätze im Slalom eingefahren, nach 170 Weltcuprennen in fast 14 Jahren. Eine Erlösung, oder?
MARTINA ERTL-RENZ: Ich habe beide Rennen gesehen, alle vier Durchgänge. Eine Werbung für den deutschen Skisport! Allen voran mit der Lena, aber auch die Teamleistung mit vier Fahrerinnen in den Punkte-Rängen war supercool. Ich habe mich für die Lena sehr gefreut, weil sie lange gekämpft hat, einen beschwerlichen Weg gehen musste, aber nie die Energie und den Ehrgeiz verloren hat, da dran zu bleiben. Deswegen freue ich mich besonders, dass das auch mal belohnt wird.

Wie erklären Sie sich diesen späten Durchbruch in die absolute Weltspitze? Nur die beiden Seriensiegerinnen Petra Vlhova und Mikaela Shiffrin waren in Levi noch schneller.
Mit ihrer mittlerweile mutigeren Fahrweise, die sie nun an den Tag legt. Weil Lena merkt, dass dies jetzt alles funktioniert, dass sie da mitfahren kann. Ich glaube, dass die vergangene Saison, die sie als Gesamt-Sechste im Slalom abgeschlossen hat, ihr das Selbstbewusstsein gegeben hat. Aber dass es jetzt bei den ersten zwei Rennen so gut funktioniert, finde ich voll cool.

"Ich weiß, wie schwer das ist"

Und das an zwei Tagen in Folge!
Großartig, dass sie nach dem ersten dritten Platz am Samstag den Fokus beibehalten konnte! Ich weiß, wie schwer das ist. Wenn man nach acht Jahren zum ersten Mal wieder auf dem Podium steht, fällt der ganze Druck ab, Tränen fließen, viele Emotionen, Trainer und Teamkollegen gratulieren - aber am nächsten Tag genauso fokussiert zu sein und das noch mal so runter zu bringen: wahnsinnig cool! Fast noch die stärkere Leistung als beim ersten Mal.

Sie haben die gute Teamleistung angesprochen. Mit Startnummer 60 fuhr die junge Emma Aicher auf Platz 14 und hat damit schon die halbe Olympia-Norm erfüllt.
Die ist gerade erst 18 geworden. Ich kenne sie, weil sie in der vergangenen Saison im Nachwuchslehrgang war, bei dem ich ab und zu für den DSV auch dabei bin. Da kam sie gerade ganz frisch aus Schweden, sprach noch gar nicht so gut deutsch. Meine Tochter und ich sind ein paar Mal mit ihr Lift gefahren, sie hat einen Bruder, der so alt ist wie mein Sohn. Bewundernswert, dass dieses junge Mädel von zu Hause weggeht, dann kam die Corona-Zeit. . . Sie geht aufs Berchtesgadener Ski-Gymnasium, ist aber eine Weile von einer Familie in Lenggries aufgenommen worden, deren Töchter ebenfalls im Kader sind. In dem Mädel steckt viel Potenzial.

Zurück zu Lena Dürr: Mit 30 noch mal diesen Biss zu entwickeln, ist bemerkenswert, oder?
Sie war zeitweise gar nicht mehr im DSV-Kader, hat sich dann selber mit einem anderen Team vorbereitet und sich offenbar selbst ziemlich gut weiterentwickelt, hat Dinge angenommen - und dazugelernt. Sie hat halt diese Leidenschaft für den Skisport, sonst macht man das nicht so lang. Immer wieder quälen im Sommer, und diese ewigen Niederlagen sind ja auch psychisch anstrengend. Aber auch für den DSV ist es eine Belohnung, weil sie nicht aufgegeben haben.

"Man versucht, an jeder Stellschraube zu drehen"

Arbeitet sie mit einem Mentaltrainer?
Weiß ich nicht, kann ich mir aber vorstellen. Man versucht ja, an jeder Stellschraube zu drehen.

Wie haben Sie es in Ihrer Karriere gehalten?
In den ersten Jahren hatte ich das nicht gebraucht. Da kamen die Erfolge, da lief es als junge, unbeschwerte Sportlerin. Aber als es mal nicht mehr so lief und ich schlaflose Nächte hatte, habe ich mir zwei Mal dann doch Unterstützung geholt - und dank der habe ich bei Olympia in Salt Lake City meine Medaille geholt, nach einer wirklich schwierigen Saison.

Wie lief das Mentaltraining damals ab?
Der Coach hat ganz trocken festgestellt: "Du kannst das. Die Leistungen sind da. Aber du findest die Schublade nicht, die du öffnen musst, um deine Leistung abzurufen." Mir hat das geholfen. Im Skisport ist die Psyche extrem wichtig. Viele sind im Training superschnell und bringen es im Rennen dann nicht runter. Mikaela Shiffrin arbeitet auch mit einem Mentaltrainer. Die hat auch einen Druck: den des Gewinnens. Wenn du schon 70 Siege hast, willst du den nächsten ja auch erringen.

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