Ski-Ikone Aksel Lund Svindal: "Manchmal fühlt man sich wie ein moderner Gladiator"

München - Der 38-jährige Norweger gehört zu den erfolgreichsten Skirennläufern der Gegenwart. Der Allrounder gewann zweimal den Gesamtweltcup, fünf Weltmeisterschaften und zwei olympische Goldmedaillen.
AZ: Herr Svindal, wenn Sie jetzt gerade aus dem Fenster schauen und sehen, wie es in München schneit: Was macht das mit einem Menschen wie Ihnen, der die schönsten Momente seines bisherigen Lebens gefrorenem Wasser zu verdanken hat?
AKSEL LUND SVINDAL: (lacht) Das ist sehr schön zu sehen und es fühlt sich unglaublich gut an. Der Winter ist ja generell dunkel - und mit Schnee ist eben alles viel heller und lebendiger. In Oslo hat es heuer leider noch gar nicht geschneit. Man weiß ja, dass es aufgrund des Klimawandels immer mehr in diese Richtung geht, dass es leider immer weniger Schnee gibt.

Verletzungen immer noch mit Auswirkung
Wie geht es Ihrem Knie, kann der vielleicht beste Abfahrer aller Zeiten aktuell überhaupt noch auf Skiern stehen?
In den letzten Jahren konnte ich wegen meines Knies eigentlich kaum skifahren. Jetzt geht es langsam wieder. Aber als Pensionist gehe ich es eher gemütlich an, wenn die Pisten perfekt präpariert sind und das Licht auch noch gut ist, dann denke ich immer noch, dass ich perfekt fahren kann. Aber dann wird das Licht schlechter oder es wird eisig, da spürst du sofort, dass sich das Knie meldet, dass es doch gar nicht so einfach ist. Dann fährst du sofort unruhig. Das ist der Unterschied: Wenn du Rennen fährst, bist du auf alles vorbereitet, auch wenn die Bedingungen richtig schlecht sind, gibst du trotzdem Vollgas.
Der Film ("Aksel") über Sie beginnt mit dem Anfang vom Ende Ihrer Karriere, nämlich mit der komplizierten Knie-Operation nach dem schlimmen Sturz beim Weltcup in Kitzbühel 2016. Die Ärzte erklärten Ihnen damals, dass Sie im schlimmsten Fall nie mehr Rennen fahren können. Dennoch wirken Sie in diesem Moment im Krankenhaus nie bedrückt oder so, als ob Sie gar mit Ihrem Schicksal hadern würden. Sind Sie ein notorischer Optimist?
Na ja, wenn man aus der Narkose aufwacht, ist man ja wie besoffen. Da kann es schon sein, dass man erst mal ziemlich gut drauf ist. (lacht) Aber Spaß beiseite, es war damals ja bereits meine zweite OP nach dem Sturz. Nach der ersten bin ich zurückgekommen und direkt dreimal aufs Podest gefahren. Die Geschwindigkeit hat gepasst, aber ich hatte brutale Schmerzen. Deshalb war die zweite Operation nötig. Ich wusste also, was mich erwartet, und bin dieses Risiko ganz bewusst eingegangen. Außerdem bin ich grundsätzlich ein ziemlich pragmatischer Mensch. Ich frage immer: "Was sind die Fakten, welche Möglichkeiten habe ich" und dann - zack - mache ich das!
Dieser nüchterne, strategische Ansatz hat Sie zu einem der erfolgreichsten Skirennläufer der Geschichte gemacht. Dabei sagen Sie selbst, dass andere, wie zum Beispiel Ihr Freund und ehemaliger Teamkollege Kjetil Jansrud, eigentlich begabtere Skifahrer sind als Sie.
Das stimmt. Wenn bei Kjetil an einem Tag alles passt, wenn er - wie man sagt - im Flow ist, dann kann ich ihn nicht schlagen. Aber wenn es bei ihm nicht ganz perfekt läuft und bei mir auch nicht, dann habe ich bessere Chancen, weil ich der ausgeglichenere Fahrer bin. Wir Athleten sind einfach brutal unterschiedlich, das liegt sicher an der Technik, aber noch mehr an der Persönlichkeit.
Ist dieses analytische Denken nicht ein Widerspruch zu dem enormen Risiko, das sie eingehen, wenn Sie mit teilweise über 120 km/h die Piste hinunterbrettern?
Eigentlich nicht. Aber ich kann das gerne erklären.
Svindal: "Ich denke da sehr pragmatisch"
Bitte.
Ich bin in meiner Karriere zweimal sehr schlimm gestürzt, einmal in Beaver Creek 2007 und dann in Kitzbühel 2016, und beide Male waren es jeweils Phasen, in denen ich zuvor sehr gut gefahren bin, wo ich teilweise sogar deutlich mehr als 50 Prozent meiner Rennen gewonnen habe. Damals bin ich bewusst mehr Risiko eingegangen, aber das mache ich eben nur, wenn es sich auch für mich lohnt. Wenn ich so gut bin, dass ich weiß, wenn ich jetzt mehr Gas gebe, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ich das Rennen gewinne. Wenn ich aber nur um einen Platz in den Top-10 kämpfe, nehme ich das Risiko nicht in Kauf, weil es sich für mich nicht auszahlt. Da denke ich also ebenfalls sehr pragmatisch.

Der Trend im Abfahrts-Weltcup geht schon seit vielen Jahren zu schneller, höher, weiter - und vor allem spektakulärer. Oft wird beklagt, dass die Streckenführungen immer halsbrecherischer ausgelegt werden. Fühlt man sich als Athlet da manchmal nicht wie ein moderner Gladiator?
Ja, manchmal fühlt man sich wirklich wie ein moderner Gladiator: Da gibt es bei einem Rennen vielleicht einen neuen Sprung oder das Wetter ist miserabel und es wird trotzdem gefahren. Aber generell betreiben wir nun mal einen Sport, bei dem man einfach nicht alles unter Kontrolle haben kann - und der ja auch spektakulär sein soll. Andererseits: Die Athleten und das Material werden immer besser, aber man muss Wege finden, so dass die Rennen spektakulär bleiben, ohne dass alles immer gefährlicher wird. Ein Vorbild wäre die Formel 1. Auch da wird alles immer schneller und schneller, aber dann beschließen sie dort ein Reglement, damit die Autos nicht zu gefährlich werden. Bei uns könnte man zum Beispiel brutal viel über die Rennanzüge machen, denn die sind nicht mal einen Millimeter dick - nur für die Aerodynamik gemacht und nicht für die Sicherheit. Da muss etwas passieren. Aus Sicherheitsgründen wäre ich am liebsten meine Rennen in Jeans gefahren (lacht), die ist deutlich dicker als der Anzug und damit rutscht man auch weniger auf dem Schnee.
Über Dreßen: "Er wirkt sehr geduldig"
Deutschlands größte Abfahrts-Hoffnung Thomas Dreßen hat eine ganz ähnliche Verletzungshistorie wie Sie, sich in diesem Jahr einer weiteren OP unterziehen müssen - und es ist aktuell noch völlig offen, wann und wie er in diesem Olympia-Winter zurückkommt. Können Sie ihm Mut machen?
Ich habe ihn in Salzburg bei der Premiere meines Films getroffen und ich habe gemerkt, wie emotional berührt er von den Szenen war, denn er kennt diese Situationen ja sehr gut. Aber Thomas wirkt auf mich sehr geduldig. Er hat einen langfristigen Plan und er glaubt auch an diesen Plan. Natürlich will er so schnell wie möglich wieder zurück in den Weltcup, aber er will jetzt den richtigen Schritt machen. Ich drücke ihm auf jeden Fall die Daumen, dass er möglichst schnell zurückkommt. Denn es ist schade für ihn, aber vor allem auch schade für unseren Sport insgesamt.
Wie meinen Sie das?
Aktuell hat Deutschland wieder ein richtig gutes Speed-Team und wenn Thomas wieder dabei wäre, wäre es noch stärker. Ich finde es auch cool, wie Romed Baumann und Andreas Sander sich entwickelt haben. Sie sind jetzt nicht mehr die jüngsten (35 und 32, Anm. d. Red.), aber sie haben in den letzten zehn Jahren fleißig gearbeitet und wurden dann dafür bei der WM heuer belohnt (zweimal Silber, Anm. d. Red.).