Silber für Nguyen - Das Hachinger Märchen

Der Turner Marcel Nguyen holt überraschend Mehrkampf-Silber und jubelt: „Davon habe ich als Junge geträumt – heute ist es wahr geworden!“ 
von  az
Der stolze Gewinner: Turner Marcel Nyguyen mit seiner Silbermedaille.
Der stolze Gewinner: Turner Marcel Nyguyen mit seiner Silbermedaille. © Marius Becker, dpa

Der Turner Marcel Nguyen holt überraschend Mehrkampf-Silber und jubelt: „Davon habe ich als Junge geträumt – heute ist es wahr geworden!“ Fabian Hambüchen landet nur auf Platz 15

 

LONDON - Es war seine leichteste Übung an diesem Tag. Beherzt sprang Marcel Nguyen vom TSV Unterhaching seinem Trainer Valeri Belenki in die Arme, um wenig später jeden zu umarmen, der ihm begegnete. Nguyen hatte es extrem spannend gemacht, als er als letzter Turner im Einzel-Mehrkampffinale am Boden antreten musste. Es dauerte später ein paar Sekunden, bis Nguyens Wertung, die letzte des Tages, auf dem großen Würfel unter dem Hallendach auftauchte und alles durcheinander brachte.

Nun sprang er zuerst in die Höhe und startete seine zweite Schmusetour durch das deutsche Lager. Der zweimalige Barren-Europameister hatte nicht wie erwartet Bronze gewonnen und den unkonzentriert wirkenden Fabian Hambüchen abgehängt – sondern nach einer perfekten Bodenkür hing nun sogar Silber um den Hals. „Tja, da hat wohl alles geklappt. Es ist alles aufgegangen. Ein perfekter Tag. Davon habe ich als Junge geträumt – heute ist es wahr geworden“, sagte der 24 Jahre alte Nguyen.

Mit sieben begann er in der Hachinga-Turnhalle beim TSV Unterhaching mit dem Turnen. Dem Verein, für den der gebürtige Münchner mit den vietnamesischen Wurzeln noch immer startet. Sein Abitur machte er am Isar-Sportgymnasium am Isartor. Mittlerweile lebt er in Stuttgart und turnt für das Team des KTV Straubenhardt. „Ich werde nicht ewig in Stuttgart wohnen, sondern irgendwann wieder nach München zurückkehren. Hier bin ich aufgewachsen, hier hab' ich Familie und Freunde“, sagte Nguyen vor seiner Abreise nach London zur AZ.

Angefangen hatte der Wettkampf in London mit dem letzten Platz und dem Gerät, das Nguyen am liebsten aus dem Programm streichen würde: „Pferdsprung mag er nicht. Ich muss ihn im Training Tag und Nacht zum Pferd treten. Er hat heute den Wettkampf seines Lebens gemacht“, sagte Coach Belenki. Nur der überragende Japaner Kohei Uchimura war nicht mehr einzuholen und gewann verdient Gold. Dritter wurde der Amerikaner Danell Leyva. „Wenn man plötzlich da unten steht, die Medaille um den Hals hat, dann muss man erst einmal mit der Welt klar kommen“, sagte Nguyen, der immer wieder seine Medaille in die Hand nahm und sie anschaute. „Nach dem Reck habe ich gedacht, das könnte reichen, vielleicht sogar zu Silber. Aber ich habe mich nicht verrückt gemacht. Ich dachte, entweder es reicht oder nicht.“

Auf der Tribüne der gigantischen New Greenwich Arena saßen seine Freundin, die Mama und seine Schwester. „Ich habe nur meine Freundin gesehen, sonst leider keinen“, sagte Nguyen. Eigentlich hatte man Fabian Hambüchen auf den Medaillenrängen erwartet, doch der Bronze-Medaillengewinner von Peking 2008 am Reck erwischte einen rabenschwarzen Tag, patzte sogar am Reck und wurde Fünfzehnter. Doch damit wollte sich Bundestrainer Andreas Hirsch nicht lange aufhalten. „Ich bin überwältigt. Mehrkampf ist für mich die Krönung des Turnens. Marcel hat mit der Medaille so viel für das deutsche Turnen getan.“

Nguyen erwies sich im Lärm der Greenwich Arena als nervenstarker Athlet. „Lärm macht ihm nichts aus“, erläuterte Belenki. „Er hat nicht daran geglaubt, dass er hier was gewinnt. Ich musste ihn immer wieder überzeugen. Ich habe ihn quasi zur Medaille getrieben“, scherzte Belenki und ließ sich sofort die Medaille zeigen. „Gib her!“, rief er, „ich weiß gar nicht, wie so was aussieht“, sagte Belenki.

Belenkis Zwangsmaßnahmen passen gut zu Nguyens Brust-Tattoo. „Pain is temporary, pride is forever“, steht auf dem muskulösen Körper, was soviel wie „Qualen gehen vorüber, der Ruhm bleibt für immer“ bedeutet. Um das Tattoo hatte es vor den Spielen Wirbel gegeben. Nguyen bekam schließlich die Erlaubnis, es bei Olympia zu „tragen“ und nicht zu bedecken. „Er hat viel für mich getan“, sagte Nguyen über Belenki. Bald will er „ihn zum Dank für die Tritte zum Pferd“ zum Essen einladen. Vorerst aber werden alle Feiern verschoben. Nguyen startet noch in Einzelfinals und will dort seine Medaillensammlung erweitern.

 

 

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