Siege zu verschenken
Eine Woche nach dem Sündenfall von Hockenheim bildet sich in der Formel 1 eine Mehrheit für eine Abschaffung des Stallorder-Verbots. Nur Vettel, der davon profitieren könnte, will davon nichts wissen.
BUDAPEST Jean Todt ist gar nicht erst nach Budapest gekommen. Stattdessen ist der Boss des Motorsport-Weltverbandes FIA nach Finnland gefahren, zur Rallye-WM. „Ich möchte jetzt nicht über die Formel 1 reden“, hat er noch über die finnische Zeitung „Turun Sanomat“ ausrichten lassen. Noch deutlicher kann man einer unvermeidlichen Konfrontation nicht aus dem Weg gehen.
In den nächsten Wochen aber muss Todt sich mit dem leidigen Thema Stallorder beschäftigen – ob er nun will oder nicht. Zu präsent ist noch der Sündenfall von Hockenheim vom letzten Sonntag. Ferrari-Pilot Felipe Massa hatte nach heftigem Drängen seines Chefs via – live im TV übertragenem – Boxenfunk, seinen Teamkollegen Fernando Alonso vorbei gelassen und dem Spanier so den Sieg geschenkt. Seitdem beherrscht eine rege Debatte um die Stallorder die Formel 1.
In Budapest, wo am Sonntag das nächste Rennen stattfindet (14 Uhr, RTL und Sky live), hat sich dabei eine breite Front für die Abschaffung des Stallorder-Verbots gebildet. „Was Leute in ihrem Team machen, obliegt ihnen“, wurde etwa Bernie Ecclestone, in der Formel 1 der Boss der Bosse, von „motorsport-magazin.com“ zitiert. „Das ist ein Unsinn, der aufgehoben werden muss“, sagte Ex-Teamchef Eddie Jordan der BBC.
Ein ganz besonderer Fall ist freilich Flavio Briatore. Der italienische Lebemann soll vor fast zwei Jahren seinen damaligen Fahrer Nelsinho Piquet angestiftet haben, absichtlich gegen eine Mauer zu fahren, damit dessen Teamkollege Fernando Alonso das Rennen gewinnen könnte. Briatore wurde für diese schlimmste Form von Stallorder aus der Formel 1 gejagt. Dies hindert ihn aber nicht daran, seit ein paar Monaten immer wieder auf Einladung von Ecclestone oder Ferrari in den Fahrerlagern aufzutauchen – und Politik zu machen. „Ferrari hat nichts falsch gemacht“, erklärte Briatore nun. Eine weitere Strafe durch den FIA-Weltrat für die Scuderia erwarte er nicht: „Der Vorsitzende ist Jean Todt, der Barrichello einst anwies, Schumacher überholen zu lassen, also können wir uns alle entspannen.“
Die alten Allianzen halten. Auch Rekordweltmeister Michael Schumacher gehört zur Fraktion der Stallorder-Verfechter. Und so scheint es gut möglich, dass Todt in den kommenden Wochen die Stallorder wieder zulassen wird – und so dafür sorgt, dass die Rennställe ihren Lieblingsfahrern Siege schenken können.
Auch Sebastian Vettel könnte von der Regelung profitieren. Es ist kein Geheimnis, dass sein Rennstallbesitzer, Österreichs Brausemilliardär Didi Mateschitz, Vettel als Weltmeister lieber wäre als Mark Webber. Vettels Teamkollege gilt als schwerer vermarktbar, seine Karriere wurde auch nicht von Anfang an von Red Bull gefördert.
Doch Vettel denkt gar nicht daran, sich Siege schenken zu lassen. Genauso wie die McLaren-Piloten Jenson Button und Lewis Hamilton sagt er: „Über so einen Sieg wäre ich nicht glücklich. Wir wissen genau, wann wir stolz sein dürfen“, meinte er. Wehren würde er sich aber wohl auch nicht gegen geschenkte Siege.
fil