"Serena verdient einen Oscar"
NEW YORK Nach dem letzten Höhenflug in dieser grandiosen Saison zog es sie erst mal in die Tiefe. Die Siegerin der US Open 2012, die Spielerin des Jahres, die Beste ihrer Generation. Und somit keine andere als jene fabelhafte Serena Williams, der auf dem Boden der Arthur Ashe-Arena nach dem verwandelten Matchball selbst irgendwie die ganze Tenniswelt zu Füßen lag: „Es ist verrückt, es ist irre. Welch ein Tag”, sagte die überwältigte Amerikanerin nach einem US Open-Krimi gegen die Weißrussin Victoria Asarenka, bei dem sie ein ganz besonderes Centre Court-Spektakel und nervenzehrendes Entertainment bis zum Schluss-Punkt lieferte.
Auf dem Weg zu ihrem 15. Grand Slam-Titel kämpfte sich Williams in einem turbulenten Finish und im besten Frauenendspiel der letzten anderthalb Jahrzehnte vom 3:5-Rückstand im dritten Satz noch zum 6:2, 2:6, 7:5-Erfolg zurück – perfekt war damit ein magisches Triple der Wuchtbrumme, die nach Siegen in Wimbledon und bei den Olympischen Spielen nun auch zum vierten Mal ihren Heim-Grand Slam gewann. „Dafür hätte Serena eigentlich einen Oscar verdient”, sagte Mutter Oracene Price, „dieses Mädchen bringt mich immer wieder zum Staunen”.
Nicht nur sie, sondern auch den Tennis-Wanderzirkus. Dort hinterlässt die Kalifornierin mit dem harten Punch und den coolen Sprüchen immer markantere Spuren. „Mit 30 Jahren ist sie auf der Höhe ihres Könnens”, sagte US-Größe Billie Jean King. Auch Martina Navratilova, eine der erfolgreichsten Grand Slam-Spielerinnen aller Zeiten, verneigte sich vor der bulligen Fighterin: „Sie spielt Tennis von einem anderen Planeten”, sagte sie und fügte augenzwinkernd hinzu, „und jetzt überholt sie auch noch Chris Evert und mich in den Bestenlisten. Das gefällt mir gar nicht.”
Tatsächlich hat sie nun alle aktiv spielenden Gegnerinnen mit einem Portfolio von 15 Major-Pokalen weit abgehängt und bewegt sich, kaum für möglich gehalten, schon auf Navratilovas Marke von 18 Einzelsiegen zu. Auch, weil ihr Hunger auf große Centre Court-Momente noch längst nicht gestillt ist: „Ich stoppe noch lange nicht, ich fühle mich so frisch wie nie. Es ist eine große Zeit in meinem Leben, und die will ich nutzen.”
Wer wollte da widersprechen – nach einem Abend, an dem die Trophäensammlerin diesen Entfesselungsakt in höchster Not hingelegt hatte. Und an dem sie punktgenau nur auf ihre Aufgabe gegen die starke Asarenka fixiert war und nichts mit Blackouts oder anderen Wirrungen im Sinn hatte. Vor drei Jahren war sie gegen Kim Clijsters wegen Tiraden gegen eine Linienrichterin disqualifiziert worden, vor einem Jahr beschimpfte sie bei der Niederlage im Endspiel gegen Samantha Stosur die Schiedsrichterin Eva Asderaki („Du bist hässlich von innen”), doch nun war das Drama rein sportlicher Natur. Ein trotziges Aufbäumen, als eigentlich schon alles zu spät war, als sie, die haushohe Favoritin bei 3:5 und 30:30 nur noch zwei Punkte vom Knockout entfernt war.
„Ich hatte, ganz ehrlich, schon die Verliererinnen-Ansprache im Kopf”, sagte sie später. „Nichts auf der Welt”, so Williams, „kann dir diese Augenblicke ersetzen. Die Augenblicke nach so einem Sieg.”
Mag der Computer sie am Montag in seiner seltsamen Arithmetik auch als Nummer vier führen – Serena Williams ist die wirkliche, nicht nur gefühlte Nummer eins im Frauentennis. In drei verschiedenen Jahrzehnten hat sie nun in Flushing Meadows gesiegt: 1999 zum ersten Mal, als die große Williams-Familiensaga ihren Anfang nahm. Dann 2002 und 2008. Und nun noch einmal mit 30 Jahren – und nach einer lebensbedrohlichen Lungenembolie, die sie 2010 und 2011 für fast ein Jahr außer Gefecht setzte und auch bei den US Open 2010 zur Zuschauerin verdammte. „Hätte ich damals noch was auf einen vierten Sieg gesetzt?”, fragte sie sich und gab sich die Antwort, „nein, dafür wäre mir mein Geld zu lieb gewesen.”
Später, als der Grand Slam-Sieg langsam ins Bewusstsein einsank, sprach Serena noch einmal über ihre Karriere, über die Achterbahnfahrten, über die Rückkehr nach den Krankheiten. „Ein Champion”, sagte sie, „wird nicht über seine Siege definiert. Sondern ob er aufstand, als er gefallen war.”
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