Seelenbalsam in Kitz

Der Schweizer Didier Defago gewinnt die Abfahrt in Kitzbühel – auch für seinen verunglückten Landsmann Albrecht. So gerät die Siegerehrung zu einem Rührstück.
von  Abendzeitung
Es ist beinahe ein freier Fall, der Didier Defago in Kitzbühel auf den Gipfel seiner Karriere führt.
Es ist beinahe ein freier Fall, der Didier Defago in Kitzbühel auf den Gipfel seiner Karriere führt. © Bongarts/Getty Images

KITZBÜHEL - Der Schweizer Didier Defago gewinnt die Abfahrt in Kitzbühel – auch für seinen verunglückten Landsmann Albrecht. So gerät die Siegerehrung zu einem Rührstück.

Unten vor ihm standen 20000 Menschen, über ihm blinkten die Sterne im Kitzbüheler Nachthimmel, doch viel sah Didier Defago nicht. Denn als sie den Schweizerpsalm spielten, die Hymne seines Landes, schloss er oft die Augen, und wenn er sie öffnete, sah er alles durch einen Tränenschleier. Bei der Siegerehrung der Streif, in einer Stunde des Triumphs, in der er an seinen Freund dachte. An Daniel Albrecht. „Ich hoffe, dieser Sieg gibt ihm Kraft“, sagte Defago. Nur bekam Albrecht den Erfolg nicht mit: Er lag knapp 100 Kilometer weiter noch immer im Koma, in der Uniklinik Innsbruck.

Es war ein Wochenende voller großer Emotionen am Hahnenkamm, denn am Tag danach siegte im Slalom Julien Lizeroux, der Franzose, dessen Bruder Yoann, ein Extremsportler, vor einem halben Jahr bei einem Base-Jump tödlich verunglückt war. Als sein Sieg feststand, schaute Lizeroux zum Himmel und schickte einen Kuss hinauf.

Es war Lizeroux' erster Weltcup-Sieg überhaupt, für Defago bereits der dritte. Und der zweite nach dem Triumph am Lauberhorn. Wengen und Kitzbühel, das Klassiker-Double in einer Woche zu gewinnen, gelang erst elf Läufern vor ihm, darunter Legenden wie Jean-Claude Killy, Karl Schranz oder Franz Klammer. „Ein Traum“, sagte Defago, der vier Jahre lang eine Ausbildung in einem Architektur-Büro machte. Nun baute er sich sein eigenes Denkmal. Am Ende einer aufwühlenden Woche, zwischen großer Freude und großer Sorge.

Denn den fürchterlichen Trainingssturz von Daniel Albrecht am Donnerstag hatten sie alle noch im Kopf, auch Defago, der wie Albrecht im Wallis aufwuchs. „Gerade im Ziel habe ich sehr stark an Dani denken müssen“, sagte der Sieger zur AZ, „natürlich ist Skifahren ein Individualsport, aber wenn du den ganzen Winter zusammen bist, kann man das nicht trennen. Der Dani ist ein großer Teil von uns, so etwas kriegst du nicht aus dem Kopf.“

Auch Urs Lehmann, Abfahrts-Weltmeister von 1993 und nun Präsident des Schweizer Skiverbandes, war bewegt. „Didier ist auf den Olymp gefahren, das war Seelenbalsam für uns.“ Lehmann erzählte von den Einzelgesprächen, die er mit seinen Läufern nach Albrechts Sturz hatte. „Ich habe jeden gefragt, ob er bereit sei, die Streif zu fahren. Alle wollten.“ Weil sie auch für ihren Dani fahren wollten.

Albrecht lag auch Sonntag noch im künstlichen Koma. Weitere Schwellungen im Gehirn oder andere Komplikationen gab es nicht, die Mediziner sind vorsichtig optimistisch. Albrechts Manager Giusep Fry: „Dani ist ein Fan der Rocky-Filme mit Sylvester Stallone. Ich bin mir sicher, er kommt wie Rocky Balboa nach einem K.o. wieder zurück.“ Und wenn er keine Rennen mehr fahren könnte? „Er würde auch neben der Piste eine neue Herausforderung finden“, sagt Fry, „wichtig ist aber nur, dass er wieder ganz gesund wird.“

Sie alle hoffen, dass es Daniel Albrecht so geht wie seinem Bruder Fabian. Auch der hatte mal eine Gehirnblutung, vor einigen Jahren, aufgrund eines Geburtsfehlers. Heute leitet er ohne Folgeschäden ein Hotel im Heimatort Fiesch.

Dort will ihn die Familie bald wieder haben. Und dort, so hoffte Defago, kann sich Albrecht am 7. Februar die Abfahrt von Val d'Isere im Fernsehen anschauen und sehen, wie sein Freund Didier WM-Gold gewinnt. Das gäbe ihm dann sicher viel Kraft, dem Rocky aus dem Wallis.

Florian Kinast

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