Sechzig stirbt nie!

Pleiten, Pech und Präsidenten: Die Geschichte des TSV 1860 München ist eine Geschichte des Leidens. Sportlicher Misserfolg paarte sich oft mit der Inkompetenz der Vereins-Bosse. Die aktuelle Situation des Kult-Vereins ist das Resultat der Entwicklung.
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Das Leben der Sechzig-Fans ist Leiden.
Camay Sungu Das Leben der Sechzig-Fans ist Leiden.

MÜNCHEN - Pleiten, Pech und Präsidenten: Die Geschichte des TSV 1860 München ist eine Geschichte des Leidens. Sportlicher Misserfolg paarte sich oft mit der Inkompetenz der Vereins-Bosse. Die aktuelle Situation des Kult-Vereins ist das Resultat der Entwicklung.

Beim Schwarz Adi war es 1848 ja schon klar. Der Gründer des Münchner Turnvereins, dem späteren TSV von 1860. Schwarz war ein Mime, der Theater spielte. Was gut passte. Denn was viele seiner 27 Nachfolger als Vereinspräsidenten inszenierten, war ein einzigartiges Schauspiel. Bis heute, bis zur sagenhaften Posse um den Herrn Schwarzer, den der Vorstand noch letzte Woche als Heilsbringer feierte. Bevor der Deal nun doch platzte.

Der Komödienstadl von Giesing, von humorlosen Kritikern auch Trauerspiel genannt, seit Jahrzehnten ein beliebter Dauerbrenner auf der deutschen Fußballbühne, in wechselnden Hauptrollen mit vielen Darstellern. Kabarettreife Selbstdarsteller, von denen manche besser ins Kaschperltheater gepasst hätten.

Ein Löwen-Boss kam direkt aus dem Dschungel von Venezuela

Dabei ist es ja grundfalsch, den Sechzger als Menschenschlag zu sehen, dessen Dunstradius um den Wettersteinplatz kreist, maximal bis zum Pilsstüberl an der Silberhornstraße. Welterfahren und weitgereist war etwa Adalbert Wetzel. Er war als junger Abenteurer im Dschungel von Venezuela von einem Indio halb abgestochen worden, aber Nehmerqualitäten brauchte er auch ab 1952, als Löwen-Boss.

Unter seiner Führung feierte Sechzig die großen Erfolge. Pokalsieger ’64, Europacupfinale ’65, Meister ’66, allerdings hatte Wetzel schon da die Vereinskasse leer gewirtschaftet.

Und als sich die Schulden auf 975 000 Mark aufgetürmt hatten, sagte der Schmidbauer Toni, der Chef der Turnabteilung, den berühmten Satz: „Dann legen wir noch 25000 Mark drauf, die Millionen können wir uns leichter merken.“ Später wären sie froh gewesen, wäre es nur eine Million gewesen.

Sogar im Bundestag lachten sie sich über die Sechzger kaputt

Unter Nachfolger Franz Sackmann (1969 – 1974), Staatssekretär im bayerischen Wirtschaftsministerium, wuchsen die Schulden auf vier Millionen Mark. Dann kam sein CSU-Parteispezl Erich Riedl, und der trieb die Löwen endgültig ins Elend. Dank acht Millionen Mark Miese bekamen die Löwen 1982 keine Lizenz mehr und mussten in die Bayernliga zwangsabsteigen. Und wenn Riedl in jener Zeit im Bundestag als CSU-Haushaltsexperte über Finanzen sprach, kam es schon vor, dass Herbert Wehner höhnisch skandierte: „Sechzig! Sechzig!“ Über die Löwen lachten sie sich sogar im Parlament kaputt.

Amüsant war es auch, als später Karl Heckl 1988, beim Rücktritt nach vier Jahren als Löwen-Präse, sagte: „Ich bin der einzige Mensch, der bei Sechzig zum Millionär wurde. Vorher war ich Milliardär.“ Heckl. Bauunternehmer, Lebemann, bunter Paradiesvogel, anders als seine farblose Nachfolgerin Lilo Knecht. Manche nannten sie „Miss Klimmzug“, weil sie aus der Turnabteilung kam. Für den Wildmoser war sie nur das „Dearndl“.

Karl-Heinz Wildmoser. Kaum war er 1992 im Amt, schafften die Löwen den Durchmarsch, von der Bayern- in die Bundesliga, und 2000 spielten sie fast in der Champions League. Wildmoser war der Herrscher über Sechzig. Gerne klagte er über die Bürde des Amtes („I hob koa Lebensqualität“), gerierte sich aber vor allem wie ein absolutistischer Fürst, der Widerspruch niederbügelte. Denn bei Kritik an ihm wurde er saurer als die Essigsoß’ vom Wurschtsalat in seiner Wirtschaft in Hinterbrühl.

Wildmoser schaffte den Aufstieg - danach stürzte er ab

Wildmoser sah sich als Architekt einer großen Zukunft, mit dem Bau der Allianz Arena, doch dann kam die Schmiergeldaffäre um den Heinzi, seinen Buben, und dann die bittere Erkenntnis, dass dieser Event-Tempel mit seinen VIP-Seats und Business-Lounges spätestens nach dem Abstieg in die 2. Liga 2004 eine Nummer zu groß war für den Löwen. Und dass die Arena einfach nicht passt zu Sechzig. Weil sie im einem umgebauten Stadion in Giesing weitaus besser aufgehoben gewesen wären als in diesem in Fröttmaning.

Wildmoser war bei seinen Auftritten immerhin oft ein Spektakel, das Publikum jubelte ihm zu oder buhte ihn aus. Nach seinem Abgang 2004 kamen nur noch glücklose Laiendarsteller, die kaum noch interessierten. Karl Auer, der Fleischhändler aus Holzkirchen, der sich zwar mit Rinderhüften, Schweineschultern und Kalbshaxn auskannte, aber nicht mit der Löwenseele, danach Alfred Lehner, Albrecht von Linde und nun Rainer Beeck, den manche nach der Investorenposse schon als Sargnagel des Vereins sehen.

Doch umbringen wird Sechzig nichts, das schafft nicht einmal Beeck. Sechzig wird wie in der klassischen griechischen Tragödie eine Katastrophe bleiben. Im Wortsinn eine „Wendung zum Niedergang“, wo sich – per definitionem – „der Zustand des tragischen Helden unausweichlich verschlechtert, was oft im spezifischen Charakter der Figur liegt, wobei der Tod des Protagonisten nicht zwangsläufig ist“. Wie treffend.

Denn sterben wird Sechzig nie. Nur leiden wird der Löwe immer. Ein Leben lang, endlos.

Florian Kinast

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