Interview

Sebastian Vollmer: "Brady ist bei 90 Prozent besser als die meisten Spieler bei 100"

Sebastian Vollmer ist eine deutsche Football-Ikone. In der AZ spricht er exklusiv über den Wirbel um seinen früheren Teamkollegen Tom Brady, Risiken in seinem Sport – und das NFL-Spiel in München.
von  Victoria Kunzmann
Tom Brady wird mit den Tampa Bay Buccaneers in München spielen.
Tom Brady wird mit den Tampa Bay Buccaneers in München spielen. © Chris O'meara/AP/dpa

AZ: Herr Vollmer, in zwei Monaten steigt das erste Deutschlandspiel in der NFL. Sie, der einzige Deutsche, der den Super Bowl zwei Mal gewinnen konnte, sind als NFL-Botschafter oft in Deutschland. Wie nehmen Sie den aktuellen Football-Hype hier wahr?
SEBASTIAN VOLLMER: Alle sind begeistert, kommen in Trikots, auch die Businesspartner, wollen die Super-Bowl-Ringe und die Trophäe sehen. Man sieht, wie breit die Masse geworden ist. Wir haben eine Patriots-Party auf einem Boot in Düsseldorf veranstaltet. Dafür standen die Leute stundenlang im Regen an, ein Mann hat sich bis auf die Unterhose ausgezogen. Es ist Wahnsinn, was die Leute bereit sind, für diesen Sport zu machen. Ich spreche auch nicht gern von Hype, weil das klingt, als würde er erlöschen. Es ist eher eine Liebe zum Sport.

Offensive Tackle Sebastian Vollmer hat seine acht NFL-Spielzeiten bei den Patriots verbracht.
Offensive Tackle Sebastian Vollmer hat seine acht NFL-Spielzeiten bei den Patriots verbracht. © dpa

Zur neuen Saison übernimmt RTL die Berichterstattung in Deutschland von ProSiebenSat.1. Was ändert sich?
Um die Qualität des Produkts muss man sich keine Sorgen machen, ganz im Gegenteil. Ich erwarte, dass die Begeisterung weiter wächst.

"Es gibt keine Ambitionen, König Fußball abzulösen"

Ist das eine Chance, andere Zielgruppen stärker anzusprechen. Zum Beispiel Frauen?
Je breiter man es aufzieht, desto größer die Chancen, Leute für sich zu gewinnen. Football ist nicht nur für junge, männliche Charaktere, sondern für jeden. Bei uns in Amerika geht man in eine Bar oder zu jemandem nach Hause, lässt die Kinder spielen und die Erwachsenen kochen und schauen NFL. Das kenne ich so von keiner anderen Sportart.

Glauben Sie, Football kann Fußball in Deutschland eines Tages Konkurrenz machen?
Es gibt keine Ambitionen, König Fußball abzulösen. Das ist nicht Teil der Strategie, im Gegenteil. Man kann sich gegenseitig helfen: Die NFL will nach Deutschland, die Bundesliga nach Amerika. Wir wollen nicht Konkurrent zu anderen Sportarten sein, sondern unser Ding machen. Hoffentlich wird es bald noch mehr NFL-Spiele in Deutschland geben.

Was können die Fans zum ersten Deutschlandspiel im November erwarten?
Es wird laut, es wird eine Menge Events in der Stadt geben. Was genau passiert, kann ich noch nicht verraten. Auch wenn man nicht zum Spiel geht, lohnt es sich, als Fan in der Woche in München zu sein.

Drei Millionen Tickets hätten verkauft werden können. . . 
Laut Veranstalter war es nach dem Super Bowl das Event, für das sie die meisten Tickets hätten verkaufen können. Dieses Interesse, das in Deutschland vorhanden ist, ist auch in Amerika angekommen.

Viele Leute kommen vor allem wegen Superstar Tom Brady.
Man kann davon ausgehen, dass man ihn das letzte Mal auf deutschem Boden sieht. Generell weiß man nicht, wie lange er weitermacht. Klar, wir sollten alle wertschätzen, was er für den Sport getan hat. Er ist in seiner Sportart eine Legende wie Michael Jordan im Basketball oder Tiger Woods im Golf.

"Brady ist bei 90 Prozent noch besser als die meisten anderen bei 100"

All die Schlagzeilen um Bradys Privatleben, die Trennungsgerüchte von seiner Frau, Topmodel Gisele Bündchen: Muss er so etwas aushalten?
So etwas ist immer schwierig. Er hat im Kindesalter mit dem Sport angefangen und lebt für diesen Sport. In die Rolle des Superstars ist er erst hineingewachsen. Ich glaube, dass es schwer zu akzeptieren ist, dass diskutiert wird, wie man aussieht, wo man lebt, wo man Pickel hat. Man will nur seinen Sport machen. Ich glaube, dass es schwierig ist, für ihn, für Gisele und die Kinder, für die Menschen in seinem Umfeld.

Sie haben Brady mit den Tampa Bay Buccaneers als einen der Titelfavoriten genannt.
Ich glaube nicht, dass er zurückgekommen wäre, würde er persönlich nicht die Chance sehen, zu gewinnen. Warum sollte er sich das antun? Wenn er auftaucht, ist er auch All in. Und trotzdem ist er bei 90 Prozent noch besser als die meisten anderen bei 100. Aber die Saison ist lang.

Und gefährlich: Trey Lance von den San Francisco 49ers, der als hoffnungsvoller Quarterback gestartet ist, hat sich im zweiten Spiel das Bein gebrochen. Sie selbst haben sich vier Mal das Bein gebrochen. Was macht es mit einem Spieler, was macht das mit dem Team?
Es ist frustrierend. Man hat die ganze Arbeit geleistet mit Trainingslager, Offseason, all den Sprints und es gab keine Chance zu spielen. Jetzt ist er das ganze Jahr raus. Vor allem mental ist das sehr belastend. In der Offseason wusste niemand, wohin es mit Ersatzmann Jimmy Garoppolo geht. Ob er entlassen wird oder bleibt. Zwei Spieltage später sieht alles anders aus. Alle Spieler haben Angst um ihren Job, das ist Teil der NFL, weil die Verträge nicht oder nur zum Teil garantiert sind. Langfristig mache ich mir keine Sorgen um ihn, aber mental ist es ein Schlag ins Gesicht.

Wer dafür Werbung für sich macht, ist Amon Ra St. Brown. Er hat in sechs Spielen in Folge mindestens einen Touchdown erzielt. Was trauen Sie ihm zu?
Alles! Amon Ra hat letzte Saison mega angefangen und macht da weiter. Von der ersten zur zweiten Spielzeit machen Spieler normalerweise den größten Sprung, weil er dann gesetzt ist. Detroit ist ein interessantes Team, das immer besser wird.

"Football ist deutlich sicherer, als er vor 30 Jahren war"

Für Amon Ra St. Brown ist es einfacher, sich Tipps zu holen als das für Sie damals war.
Ich habe mir damals Tipps bei Tom Nütten geholt (ehem. NFL-Spieler mit dt. Wurzeln, Anm. d. Red.) und von den Patriots. Amon Ra kann sich mit seinem Bruder austauschen, der schon länger in der Liga spielt. Manche Sachen kann man sich abschauen. Ich habe ein paar von Bradys Trainingsmethoden übernommen, aber nicht alle. Ich kann 250 Kilo Bankdrücken, das würde er nie anfassen.

Am letzten Spieltag musste Dane Jackson, Cornerback bei den Buffalo Bills, nach einer Kollision ins Krankenhaus. Kopfverletzungen gibt es viele, manche enden tödlich. Muss Football harmloser werden?
Football ist ein Kontaktsport, man kann den Kontakt nicht aus dem Kontaktsport herausnehmen. Es ist deutlich sicherer, als es vor 30 Jahren war und sie gefühlt versucht haben, sich gegenseitig die Köpfe abzureißen. Man muss sich im Klaren sein, dass solche Dinge passieren. Das ist im Eishockey, Boxen, Martial Arts auch so. Manchmal im Fußball, wenn zwei mit dem Kopf aneinanderstoßen. Ich weiß keinen Weg, um den Kontakt noch mehr herauszunehmen.

In den letzten zehn Jahren haben sich zehn Spieler in Folge von CTE, also von Hirnschäden umgebracht. Aaron Hernández hat zuvor zwei weitere Menschen getötet.
Das ist tragisch. Die NFL tut alles, um solche Dinge zu vermeiden. Wir sind alle reif genug, um entscheiden zu können, ob wir spielen und dieses Risiko in Kauf nehmen wollen – oder nicht. In jedem Sport, in dem es Erschütterungen gibt, kann so etwas passieren.

 "Ich war noch nie auf dem Oktoberfest und habe nie Tracht getragen"

Also muss man dieses Risiko einkalkulieren, wenn man Footballer werden will?
Ich hatte zwölf OPs, unzählige Verletzungen, ich bin und war mir der Risiken sehr bewusst. Das war auch ein Grund, weshalb ich aufgehört habe. Jeder macht Einbußen. Bei mir sind es andere physische Schmerzen. Das Extra-Gewicht hilft da nicht. Ich habe knapp 40 Kilo an Gewicht verloren. Ich gehe jeden Tag ins Fitnessstudio. Das brauche ich, um mit meinen Kindern spielen zu können.

Also haben Sie es nie bereut, dass Sie aufgehört haben?
Auf keinen Fall. Ich hatte alles erreicht. Nachdem ich gesagt habe, dass ich in Rente gehe, haben ein paar Teams angerufen und mir Angebote gemacht. Manchmal ist es schwer Nein zu sagen. Ich habe die Entscheidung nicht wegen des Geldes getroffen. Im Moment bin ich sehr erfüllt in meiner Rolle, als NFL-Botschafter in Deutschland etwas bewegen und die Liga größer machen zu können.

Nächste Woche sind Sie für ein NFL-Event auf der Wiesn. Haben Sie eine Lederhose?
Ich werde dort ausgestattet. Ich war noch nie auf dem Oktoberfest und habe nie Tracht getragen. Ich habe sie mal vorgewarnt, dass sie große und lange Größen haben sollen (lacht).

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