Sebastian Vettels Nicht-Abschiedstour in Brasilien
Von Deutschen, die in Rente gehen, gibt es die kuriosesten Geschichten. Vom Versicherungsvertreter, der am letzten Arbeitstag noch mal zur Neuakquise quer durchs Land fährt. Vom Beamten, der noch mal Überstunden schiebt, um Formular X bearbeitet, gestempelt und abgeheftet zu übergeben. Von solchen Leuten, die bis zum letzten Moment nicht vom Arbeits-Trott lassen können und sich vor dem finalen Gong eher noch mehr reinlegen. So ist das auch bei Sebastian Vettel (35).
Abschiedsrennen in Sao Paulo
Zwei Rennen stehen für ihn noch auf seinem Terminplan: an diesem Sonntag in Sao Paulo (19 Uhr MEZ/RTL und Sky) und eine Woche später das Saisonfinale in Abu Dhabi. Dann weht seiner Formel-1-Karriere die Zielflagge, nach vier WM-Titeln und 53 Grand-Prix-Siegen.
"Natürlich war der Sport mein Leben", sagt er vor dem Brasilien-Wochenende. "Ich bin mit sieben Jahren mein erstes Rennen gefahren. Seitdem gab es jedes Jahr den Rennkalender, an den man sich irgendwie gebunden hat, der den Weg in gewisser Weise vorgegeben hat. So ging es immer von Jahr zu Jahr."
Voller Einsatz bis zum Schluss
Jetzt ist das Ende des gewohnten Rhythmus nur wenige Kurven entfernt. Eigentlich wäre nun der Moment, zu genießen, sich für seine Meriten hochleben zu lassen. Ein warmer Abschied quasi, mit guter Mine zum langsamen Aston Martin, Fan-Bädern, labenden Worte von Kollegen, Herzschmerzszenen.
Nur: Vettel ist offensichtlich nicht danach. Er, der Deutsche aus Heppenheim, verrichtet den Dienst bis zum Letzten.

"Ich denke, wir mussten ihn aus dem Büro werfen. Sonst würde er immer noch dort sein, Daten studieren, schauen, wo man Sachen ändern könnte", sagte Mike Krack "Motorsport". Vettels Teamchef bei Aston Martin fügt an: "Er ist auf keiner Abschiedstour, das versichere ich. Er will gut abschneiden. Er will uns voranbringen und seinen Anteil beitragen, dass wir die Saison auf dem bestmöglichen Platz zu Ende bringen."
Schicksalsstrecke in der Metropole
Nun also Sao Paulo. Die Strecke in der brasilianischen Metropole ist für Vettel ein Schicksalsort. Hier holte er in einem verrückten Rennen 2012 den Titel. Da wird Vettel doch kurz sentimental, wenn er darüber erzählt. "Normalerweise schaue ich eher nach vorne, aber es wird natürlich auch eine Zeit geben, in der ich mehr zurückschaue. Wenn es ruhiger wird. Die Jahre waren in der Hinsicht schon verrückt, mein ganzes Leben bis jetzt."
"Natürlich wäre es schön, wenn ich mein letztes Rennen gewinnen könnte. Aber wenn man realistisch ist, dann wird das sehr schwierig", sagt Vettel. Schon letzte Punkte, ein Angriff auf Platz sechs wären ein Erfolg - zuletzt hat er gut geliefert.
"Es gibt noch mehr als den Sport"
Wenn es nicht zum großen Abschied kommt, geschenkt. Er sagt: "Wer muss am Ende mit dem Rücktritt klarkommen? Das bin nur ich, ohne egoistisch sein zu wollen." Und, behauptet er, "ich bin damit im Reinen." Er, der sich zuletzt dem Klimaschutz verschrieben hat, habe mit den Jahren erkannt, dass es mehr als nur den Sport gebe und wie privilegiert er als Deutscher sei. "Deshalb fühle ich auch eine Art Verantwortung im Vergleich zu anderen Orten auf der Welt."
Ob er eines Tages mal in die Formel 1 zurückkehrt? "Ich glaube, in dem Moment, in dem man zurücktritt, tritt man zurück. Aber man kann ja nichts ausschließen." In ein, zwei Jahre könne man anders darüber denken. Ein Satz wie ein nicht abgegebener Ersatzschlüssel für die Hintertür zur alten Werkstatt. Niemals geht man so ganz. Nicht einmal als Formel-1-Champion.
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