Schuster: „Der Deutsche ist immer a bissl gefährdet“

Der Skisprung-Bundestrainer ist Österreicher.Zum Start der Vierschanzentournee ordnet er hier die Chancen von Schmitt & Co. ein – und erklärt, wie die Fans zum Problem werden können.
AZ: Herr Schuster, kann ein Skisprung-Bundestrainer Weihnachten überhaupt genießen?
WERNER SCHUSTER: Natürlich. Ich hatte es sehr ruhig, habe mit meiner Frau und den zwei Kindern daheim im Kleinwalsertal gefeiert. Warum sollte ich das nicht genießen?
Weil Oberstdorf nicht nur geographisch nah liegt, sondern auch zeitlich – und Sie an den Feiertagen in Gedanken vielleicht längst schon bei der Vierschanzentournee sind.
Da kann ich gut abschalten. Wir haben an den Tagen vor Weihnachten noch gut trainiert, haben unseren Rucksack sozusagen fertig gepackt. Über die Feiertage haben wir den Rucksack auf die Seite gestellt, jetzt müssen wir ihn wieder holen und mitnehmen.
In dem Rucksack ist aber doch sicher auch noch eine schwere Last drin. Die hohe Erwartung des Publikums, an die alten Glanzzeiten von Schmitt und Hannawald anzuknüpfen.
Ach, wir sind ganz zufrieden. Wir sind wieder dran an der erweiterten Weltspitze, der Michi Uhrmann bringt gute Leistungen, dann haben wir den jungen Pascal Bodmer, ein erfrischendes Element. Der Wermutstropfen ist einfach, dass wir zur Zeit keinen herausragenden Einzelkönner haben, der ums Podest mitspringt. Da fehlt es noch.
Offensichtlich auch noch bei Martin Schmitt.
Der Martin war letztes Jahr um die Zeit schon weiter, das stimmt. Bei ihm haben sich leider ein paar technische Fehler eingeschlichen, die muss er noch ausbaden. Es fehlt noch ein kleines Eckerl, damit er an das Vorjahr anknüpft. Da war er ja Vierter in der Tournee-Gesamtwertung.
Diese kleinen Eckerln sind sicher auch Kopfsache. Sie haben einst Sport und Psychologie studiert, wie sehr müssen Sie neben der Sprungtechnik auch auf Geist und Seele der Springer einwirken?
Sehr natürlich. Es ist ganz wichtig, das Selbstwertgefühl oben zu halten, das Denkmuster so zu steuern, dass sich keiner selbst aufgibt oder zerfleischt, wenn es mal nicht läuft. Vier, fünf Meter in der Weite, das liegt manchmal an winzigen Kleinigkeiten, macht aber gleich 15 Plätze aus. Da ist sehr viel Arbeit abseits der Schanze notwendig, der Trainer als Psychologe schon sehr gefragt. Wobei man auch das alles nicht zerreden darf. Nur wenn ich das Gefühl habe, da driftet einer in einen negativen Kreisel ab, muss ich da natürlich entgegensteuern.
Vor genau zehn Jahren sprach niemand von psychologischer Hilfe, da lief alles von selbst. RTL bekam die TV-Rechte, der Skisprung-Boom um Schmitt und Sven Hannawald erreichte ungeahnte Höhen. Leiden Sie heute am damaligen Fluch des Erfolgs?
Das ist müßig. Wir sollten dankbar sein über diese Zeit. Schon Weißflog in seiner Endphase, auch Thoma, dann Schmitt und Hannawald. Das waren ja kleine Popstars, haben aber auch grandiose Leistung gebracht. Natürlich, wenn es dann nicht mehr läuft, kommt das böse Erwachen und ist der Katzenjammer natürlich groß. Aber der Deutsche ist da überhaupt immer a bissl gefährdet.
Wie meinen Sie das?
Er stürzt sich immer extrem dort rein, was Identifikation mit Sporthelden angeht. In den Achtzigern Boris Becker im Tennis, in den Neunzigern Jan Ullrich bei der Tour de France. Und gerade im Skispringen hat es der Fan oft schwer, die Irrationalität des Sports zu begreifen, wo kleine Fehler oft große Wirkungen haben können. Der deutsche Fan ist extrem begeisterungsfähig, wendet sich aber auch schnell ab, wenn es nicht mehr so läuft.
Gehen Österreicher mit ihren Helden realistischer um?
Zumindest im Skisport, da ist das in Österreich vielleicht gewachsener, eine andere Kultur, so wie etwa auch in Skandinavien. Da ist das ganz anders gewachsen. In Deutschland gab es eben vor zehn Jahren diese enorme Euphorie, der man jetzt aber eben nicht nachweinen sollte. Sondern sich freuen, dass es überhaupt schon einmal so weit war. Es ist nur einfach falsch, wenn nur Siege zählen, man sollte nicht so fatalistisch sein und verzagen, wenn einer mal Sechster oder Neunter wird. Wir sind in einer Umbruchphase, wollen bei den Winterspielen im Februar eine Medaille und 2014 wieder um die Nummer eins mitkämpfen. Das ist unsere Vision. Und irgendwann wird auch wieder einer aufstehen und für Furore sorgen.
Aber eben: wann?
Man darf nicht die Geduld verlieren. Und auf den neuen Boris Becker warten wir im Tennis ja auch schon 20 Jahre.
Interview: Florian Kinast