„Schön, dass du nicht tot bist“
Wie US-Skistar Scott Macartney seinen Horrorcrash im Vorjahr auf der Streif verarbeitet – und mit nun mit dem schwer gestürzten Daniel Albrecht fühlt.
Von Florian Kinast
AZ: Mr. Macartney, Kitzbühel bleibt Ihnen in diesem Jahr erspart. Sind Sie glücklich, dass Sie die Streif nicht fahren müssen?
SCOTT MACARTNEY: Nein, das ärgert mich. Ich war auf einem sehr guten Weg, wusste, dass ich endlich wieder schnell unterwegs bin, dass mein Gefühl für den Ski wieder stimmt. Und dann kommt dieses Missgeschick bei der Abfahrt von Wengen, wo ich mir die blöde Knieverletzung zuzog. Deswegen musste ich wieder heimfliegen nach Seattle. Das stinkt mir sehr. Ich wäre die Streif sehr, sehr gerne wieder gefahren.
Dort, wo Sie im letzten Jahr so schlimm verunglückten. In vollem Tempo beim letzten Sprung im Zielhang, wo es jetzt Daniel Albrecht erwischte.
Ich habe es nicht gesehen, nur gehört. Schrecklich. Ich empfinde sehr stark für Daniel und wünsche ihm von ganzem Herzen, dass er sich bald wieder erholt.
Was wissen Sie noch von Ihrem Sturz?
Nicht mehr viel. Nur dass ich in Rücklage geriet, hoch oben in der Luft stand und versuchte zu korrigieren. Aber das machte alles keinen Sinn. Wenn du einmal Aufwind hast, hast du keine Chance mehr. Dann kam der Filmriss. Irgendwann wachte ich im Krankenhaus wieder auf. Ich wusste schon, dass irgendwas passiert sein musste. Was, haben sie mir dann haarklein erzählt.
Sie erlitten ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und viele Prellungen und Schnittwunden. Wie lange litten Sie unter den Folgen?
Das hielt sich in Grenzen. In den ersten Tagen und Wochen brummte mir oft der Schädel, ich hatte ein Flirren im rechten Auge und Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis. Aber das hatte sich bis Ende Februar alles wieder gelegt.
Dachten Sie je ans Karriereende?
Nein, wieso?
Aus Angst vor einem neuen Sturz, bei dem Sie vielleicht nicht mehr aufwachen.
So habe ich nie gedacht. Skifahren ist mein Leben. Es gibt Autorennfahrer, die haben schwere Unfälle, und das erste, was sie machen, ist, dass sie wieder zurück auf die Strecke gehen und ins Auto steigen. Weil es auch zu ihrem Leben dazugehört. Und so ging es mir auch. Es ist alles gut gelaufen bei mir, es hätte mich auch erwischen können wie Matthias Lanzinger. Seinen Sturz in Norwegen habe ich damals gesehen, die ganzen Folgen mit seiner Unterschenkelamputation, das war wirklich schlimm und wirklich tragisch. Umso bewundernswerter, wie er sein Schicksal meisterte.
Haben Sie denn die Bilder von Ihrem Unfall jemals wieder gesehen?
Nein, das wollte ich nie, dafür bin ich nicht bereit. Ich denke auch nicht, dass mir das etwas bringt, irgendetwas aufzuarbeiten. Irgendein Trauma, oder wie Sie es nennen wollen. Für mich ist das Vergangenheit, für mich gibt es nur die Zukunft. Ich halte auch nichts davon, über die Verantwortung zu streiten, ob der Sprung jetzt gefährlich war oder nicht. Mein Rückenprotektor hat seinen Dienst getan, mein Helm, die Rettungskräfte waren schnell vor Ort, weshalb es gut war, dass mir das in Kitzbühel passiert ist, wo die Erstversorgung optimal war. Ich hatte großes Glück, nach 20 Minuten lag ich schon im Krankenhaus. Ich weiß nicht, wie das alles ausgegangen wäre, wäre ich etwa in Kvitfjell so schlimm gestürzt, wo es den Matthias erwischte. Da hat es ja Stunden gedauert.
Das klingt sehr stark und souverän, aber waren Sie wirklich immer so gefestigt im letzten Jahr oder brauchten Sie einen Psychologen?
Ja, den brauchte ich. Allerdings nicht um über den Sturz und die Folgen zu sprechen, sondern darum, wie ich das Thema in der Öffentlichkeit verarbeite. Wie es ist, wenn ich darauf angesprochen werde. So wie von Ihnen jetzt. Ich verstehe Ihr journalistisches Interesse, aber Sie dürfen mir glauben, dass es mir sehr schwer fällt und auch keinen Spaß macht, darüber zu reden. Ich war noch nie ein Mensch, der gerne in der Vergangenheit lebt. Für mich gibt es nur das Jetzt und das, was noch kommt.
Das ist nur verständlich, andererseits ist der Sturz natürlich für immer ein Teil Ihrer Vita und ganz los werden Sie ihn nicht.
Das weiß ich, aber ich muss ja nicht immer darüber reden. Oder muss ich?
Müssen Sie natürlich nicht.
Danke. Ich will nach vorne schauen, ich denke positiv, und ich hatte ja auch schon ein sehr schönes vergangenes Jahr.
Was haben Sie denn gemacht?
Ich war surfen, hatte eine sehr schöne Zeit mit meinen Freunden, habe meine Kollegen aus dem US-Team wieder getroffen, in Whistler, wo ich nächstes Jahr bei der Olympia-Abfahrt etwas zerreißen will. Das ist fast ein Heimrennen für mich, von meinem Zuhause sind das nur vier Autostunden weg. Und Weihnachten war auch sehr harmonisch. Da haben wir mit dem ganzen Team gefeiert, die Heimreise zwischen den Rennen in Europa lohnt sich da nie für uns.
Und Geburtstag gefeiert haben Sie auch. Vergangenen Montag wurden Sie 31.
Richtig.
Herzlichen Glückwunsch.
Danke.
Dürfen wir doch nochmal auf Ihren 30. Geburtstag zu sprechen kommen?
Na gut.
Sie rasten gerade in den Zielhang der Streif und Stadionsprecher Michael Horn stimmte mit den Zuschauern das Happy-Birthday-Ständchen an. Dann passierte es. Hatten Sie manchmal später das Gefühl, dass es vielleicht nicht Ihr 30. Geburtstag war, sondern Ihr zweiter, weil das Aufwachen aus dem Koma doch eine Art Wiedergeburt war?
Nein. Es war eher ein schlechter Geburtstag. Weil ich lieber ein gutes Ergebnis und dann am Abend meinen Geburtstag gefeiert hätte. War halt nicht so.
Haben Sie nachgefeiert?
Ja, daheim, als es mir besser ging. Mit der Familie und meinen Freunden. Das war ein schönes Fest, wissen Sie, welches Motto die Party hatte?
Nein.
Sie hatte das Motto: „Schön, dass du nicht tot bist.“ Das war schon wieder lustig.
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