Schmitt & Co: Nostalgischer Absturz

Martin Schmitt blamiert sich zum Auftakt der Tournee mit Rang 23. Der Bundestrainer jammert: „Der schlechtmöglichste Auftakt.“ Doch die Fansin Oberstdorf feiern den Star von einst weiterhin.
OBERSTDORF Martin Schmitt blieb noch lange. In der Unbehaglichkeit des Allgäuer Schnürlregens hätte er sich auch gleich verziehen können, erst recht nach diesem desaströsen Ergebnis. Aber er schrieb noch Autogramme, winkte und lächelte ins feiernde Publikum, auch wenn es an diesem Dienstagabend eigentlich gar nicht lustig war und es auch nichts zu feiern gab. Beim Auftakt der Vierschanzen-Tournee, beim sagenhaften Debakel der deutschen Skispringer. Bei einem nostalgischen Absturz.
Wehmut kam bei manchen Fans auf, bei der Erinnerung an den 29. Dezember vor genau zehn Jahren. Als Schmitt hier triumphierte, als der deutsche Skisprung-Boom seinen Anfang nahm. Jetzt jubelten die Menschen schon, weil sich eben jener Schmitt als Lucky Loser, als einer der fünf besten Verlierer der direkten K. o.-Duelle, für das Finale der besten 30 qualifizierte. Auf Platz 23 kam Schmitt schließlich, zweitbester Deutscher hinter dem 18-jährigen Pascal Bodmer, der beim Sieg des Tirolers Andi Kofler zumindest Zwölfter wurde. Sonst kam gar kein Springer des Deutschen Ski-Verbandes in den zweiten Durchgang.
Der Anspruch ist inzwischen stark gesunken. Der Zuspruch der Fans nicht. Vor allem nicht gegenüber Martin Schmitt. Schon den ganzen Tag über war extrem sichtbar, dass der Altmeister immer noch das Idol ist.
So hatte der Sponsor von Martin Schmitt einen riesigen Verkaufsstand aufgestellt, mitten im Ort, zwischen Kirche und Kurhaus, der bald von vielen Menschen belagert war. Da gab es Kuhfleckenmützen für fünf Euro, Plüsch-Rindviecher für einen Zehner und für 25 Euro auch eine Jacke – im Retro-Stil.
Retro, das passte. Zur Tournee, zum Springen, zu Schmitt. Denn beim Auftakt auf der Schattenbergschanze in Oberstdorf lebte das alles vor allem von der Nostalgie, und so passte es auch, dass sie bei Schmitts erstem Sprung vom Band AC/DC spielten. Denn ein bisschen war es wie bei einer alten, vertrauten Rockband, die es zwar nicht mehr ganz so bringt wie früher, die man aber ewig bewundert, mehr als die jungen Pop-Stars, die inzwischen die Hitparade beherrschen.
Und so wie viele dann ihre verschlissenen Fan-Shirts zu den Konzerten auspacken, so hatten am Dienstag viele Zuschauer vergilbte Fanmützen auf, deren knalliges Lila mit den Jahren verloren ging und nicht erst vom Regen am Dienstag ausgewaschen wurde.
Natürlich sind auch die Fans gealtert. Längst stehen an der Schanze nicht mehr die kreischenden Teenager, die sich einst von Martin Schmitt Kinder wünschten. Das Publikum ist gesetzter, kommt von Skivereinen und Fanclubs aus dem Odenwald und dem Sauerland – und auf den Transparenten stehen einfach ganz brav „Herzliche Grüße an die Überflieger". Aber Überflieger sind die Deutschen eben lange nicht mehr.
Einzig der junge Bodmer springt halbwegs ordentlich und konstant unter die besten 15. Uhrmann und Neumayer, die beiden bayerischen Michis, sind nur noch ratlos über ihre Formkrise und auch Schmitt quält sich nur noch. „Es geht nicht mehr alles von alleine", sagte er, „ich muss mich auf alles einzeln konzentrieren. Und das kostet Kraft."
Viel Überwindung schien es auch Werner Schuster zu kosten, nach dem Springen das Ergebnis zu kommentieren. „Der schlechtmöglichste Auftakt“, sagte der Bundestrainer, „in Garmisch müssen wir es besser machen.“ Dann beim Neujahrsspringen, wo die Fans auch nicht kommen werden, um deutsche Erfolge zu sehen, sondern damit sie Schmitt noch einmal springen sehen können. Wer weiß, wie lange er sich das noch antut
In dem Lied, das sie am Dienstag von AC/DC spielten, ging es übrigens im Refrain immer um den „Runaway Train“. Der Zug ist für Martin Schmitt allmählich wirklich davon gefahren. Und ältere AC/DC-Kracher waren auch besser.
Florian Kinast