Schmerz, lass nach

Das 2:2 gegen die Weißrussen hat die Probleme der Löw-Elf nicht gelindert - im Gegenteil. Wo vor dem ersten Europameisterschafts-Spiel die größten Defizite liegen.
KAISERSLAUTERN Bundestrainer Joachim Löw versuchte einen Witz nach dem 2:2 gestern im vorletzten EM-Test der deutschen Fußballer gegen Weißrussland: „Ich muss mich halt auch durchbeißen.“ Er lächelte gequält dazu. Wegen seiner Zahnschmerzen, die ihn nach der Operation am Montag immer noch plagten. Wohl auch, weil ihm seine Mannschaft zwölf Tage vor dem Eurostart (8. Juni gegen Polen) noch Kopfweh bereitet. Schmerz, lass nach. Gleich an mehreren Stellen.
ABWEHR-SORGEN
Sparringspartner Weißrussland deckte grobe Mängel auf. Ex-Nationalspieler Günter Netzer erkannte als ARD-Experte „schwere Defizite im Abwehrverhalten, vor allem auf der linken Seite“. Da spielte Thomas Hitzlsperger als Ersatz für Marcell Jansen, der kurzfristig wegen muskulärer Probleme ausfiel. „Eine Notlösung, die einmalig bleibt“, meinte Löw. Per Mertesacker entschuldigte die Defensiv-Pannen: „Wir haben zuletzt intensiv trainiert, waren alle etwas müde. Da war es schwer, sich in der zweiten Halbzeit noch durchzusetzen.“
TORWART-PANNE
Auch die Leistung von Nummer-Eins-Keeper Jens Lehmann war nicht gerade schmerzlindernd für den Bundes-Jogi. Ein schwerer Patzer des 38-Jährigen ermöglichte den Weißrussen zwei Minuten vor Schluss den Ausgleich durch Bulyga, der Lehmann vorher schon mal überwunden hatte. „Ist doch normal, dass Lehmann, der bei Arsenal kaum noch gespielt hat, eine Einspielzeit braucht“, sagte Netzer. Doch Löw nahm seinen Torwart in Schutz: „Jens hat auch zwei, drei tolle Paraden gezeigt.“ Und gab ihm quasi die Job-Garantie: „Lehmann wird auch am Samstag beim letzten Test gegen Serbien im Tor stehen. Er braucht Spielpraxis, das hat man gesehen. Aber wir vertrauen ihm weiterhin.“
DIE SCHWIERIGE AUSWAHL
Wem Löw noch vertraut für sein erstes großes Turnier als Chefcoach, muss er heute, 12 Uhr, im Trainingslager auf Mallorca erklären. Highnoon in Palma, wohin der DFB-Tross gestern noch zurückflog: Drei von 26 Spielern fliegen noch raus bei Jogis Casting-Show. Nur 23 dürfen im EM-Kader stehen. Der nächste schmerzhafte Prozess für Löw. Die vermeintlichen Streichkandidaten durften gestern nochmal vorspielen. „Wir wollten sehen, was kann jeder umsetzen von dem, was wir im Trainingslager gefordert haben“, sagte Löw-Assistent Hansi Flick. Also durfte David Odonkor 79 Minuten ran. Der Sevilla-Profi war maßgeblich am 2:0 (das 1:0 schoss Klose) beteiligt, Korytko fälschte Odonkors Flanke ins eigene Tor ab.
Auch Marko Marin fiel auf. Der kleine Gladbacher (1,69 m) lieferte in der zweiten Halbzeit kecke Vorlagen und Dribblings. „Wenn er am Ball ist, tut sich was, er bringt Frische rein“, fand Netzer. Löw attestierte dem 19-Jährigen „sehr gute Ansätze“, körperlich müsse er aber zulegen. Marin sagte, er fiebere der Entscheidung entgegen.
Wie Ex-Bayer Piotr Trochowski (jetzt HSV), der Pech hatte mit einem Klasse-Freistoß und zwei Weitschüssen.
Wie Patrick Helmes, gerade von Köln zu Leverkusen gewechselt, der Wirbel machte im Weißrussen-Strafraum.
Wie Oliver Neuville, der ein paar schöne Dribbling zeigte. Der Gladbacher Routinier (35) hat laut Netzer zudem noch „einen Bonus“. Denn: „Neuville hat bei der WM 2006 ein ganz wichtiges Tor geschossen (das entscheidende 1:0 gegen Polen in der Nachspielzeit, d. Red.) – und er ist unproblematisch als Ersatzspieler.“
Für den grippekranken Neubayern Tim Borowski gab Löw gestern Entwarnung: „Er ist wieder voll belastbar.“
So gerät das Casting zur Qual. „Wir werden uns im Trainerstab nach der Rückkehr auf Mallorca am Abend zusammensetzen und in Ruhe alles besprechen“, sagte Löw. Um 12 Uhr wird dieser Schmerz dann ausgestanden sein. Und so quälende Spiele wie gestern soll es auch so bald nicht mehr geben. Löw versprach: „Wer immer die 23 EM-Fahrer sein werden, in zwölf Tagen, wenn die EM beginnt, werden alle in einer viel besseren Form sein.“ Um sich zum Titel durchzubeißen.
Franz Meier