Schläge in der Nachspielzeit: Häusliche Gewalt nach Niederlagen

Ein knapp verlorenes Finale, eine unerwartete Schlappe gegen den Erzrivalen – und schon kann sich glühende Leidenschaft in gezielte Aggressivität verwandeln. Die Herzensangelegenheit wird zum Motor von handfestem Frust.
von  Abendzeitung
Jede Menge Aggressionspotential: Football-Spiel in New York
Jede Menge Aggressionspotential: Football-Spiel in New York © AP

BONN - Ein knapp verlorenes Finale, eine unerwartete Schlappe gegen den Erzrivalen – und schon kann sich glühende Leidenschaft in gezielte Aggressivität verwandeln. Die Herzensangelegenheit wird zum Motor von handfestem Frust.

Unmittelbar nach besonders schmerzlichen Niederlagen des favorisierten Teams nehmen Tätlichkeiten von Fans gegen die eigene Ehefrau oder Freundin um rund zehn Prozent zu. Das belegt eine dem Sport-Informations-Dienst (SID) exklusiv vorliegende Studie kalifornischer Wissenschaftler, die beim Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn erschienen ist.

Die Forscher David Card und Gordon Dahl von der University of California hatten die Ergebnisse von über 1000 Spielen der US-amerikanischen Football-Liga NFL gesammelt. Diese verknüpften sie mit detaillierten Polizeiberichten aus den jeweiligen Bezirken, in denen das unterlegene Team viele Anhänger unter den TV-Zuschauern hatte. Mit Hilfe der Wettquoten wurde zudem geprüft, wann die Pleiten besonders überraschend kamen.

Für das Wissenschaftler-Duo waren die Zusammenhänge zwischen den beiden Komponenten der Beleg dafür, dass sportliche Niederlagen zu den „emotionalen Auslösern“ für häusliche Gewalt zählen. Obwohl die ungewöhnliche Studie in den USA durchgeführt wurde und deshalb so nicht auf Deutschland übertragbar sei, hält IZA-Sprecher Mark Fallak die Ergebnisse für durchaus ernst zu nehmen. „Das Phänomen Gewalt ist übergreifend. Insofern sollte die Studie auch in Deutschland zum Nachdenken anregen“, sagte Fallak dem SID.

Der Bonner Experte warnt zwar davor, den Sport als „Ursache“ von Gewalt misszuverstehen, hält eine Diskussion aber für dringend notwendig: „Wir müssen die auslösenden Momente von Gewalt und Aggressivität genauer verstehen, um ihnen wirkungsvoll begegnen zu können.“ Hierzu seien auch die Sportverbände aufgerufen.

Die Nerven der Fans liegen aber offenbar nur so richtig blank, wenn sie eigentlich mit einem Sieg ihrer Mannschaft gerechnet hatten. Galt der Gegner als Favorit, blieb die negative Wirkung aus. Zudem wirkt sich offenbar auch die Brisanz der Spiele auf die Aggressionsbereitschaft aus.

Nach Niederlagen in entscheidenden Partien um Meisterschaften oder Duellen gegen den Erzrivalen kam es zu deutlich mehr Gewalttätigkeiten als bei weniger emotionsgeladenen Begegnungen. War der Spielverlauf außerdem besonders frustrierend, verdoppelte sich die Zunahme der Tätlichkeiten laut der IZA-Studie sogar auf 20 Prozent.

Dabei entladen sich die Aggressionen offenbar in den eigenen vier Wänden besonders stark. Auf eheliche Gewalt außerhalb des Hauses hatten die Sportereignisse keine messbare Auswirkung. Ebenfalls keinen Einfluss hatten die Football-Spiele auf Gewalttätigkeiten von Frauen gegen Männer, die immerhin rund 20 Prozent aller gemeldeten häuslichen Übergriffe ausmachen.

Im Vergleich zu anderen Einflussfaktoren häuslicher Gewalt, die beispielsweise auch bei heißem Wetter oder an Feiertagen spürbar zunimmt, sind die Auswüchse im Fan-Bereich für die Verhaltensökonomen Card und Dahl überraschend stark. „Der von uns beobachtete Anstieg von zehn Prozent ist enorm, wenn man bedenkt, dass er von einer verhältnismäßig kleinen Gruppe verursacht wird. Nämlich von den eingefleischten Football-Fans, die das Spiel gemeinsam mit der Partnerin vor dem Fernseher verfolgen“, sagten Card und Dahl unisono. (SID)

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