Sabine Lisicki: Fräulein Bum Bum

Sabine Lisicki ist die letzte Deutsche in Wimbledon. „Das Mädchen hat Format”, lobt Boris Becker
Jörg Allmeroth |
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London -  Auf der Terrasse desFernsehzentrums hatte Sabine Lisicki gerade ihre Interviews für Amerikas Sportkanal ESPN und die BBC abgewickelt, da genoss die letzte Deutsche in Wimbledon für einige Minuten den erhabenen Blick auf die legendäre Grün-Anlage. Andächtig und still besah sich die Blondine das Theater der Tennisträume, die Menschenmassen rund um die Courts. Und dann brachte die 21-Jährige die Faszination dieses Fleckchens Erde in einem Satz auf den Punkt: „Das ist einfach der Platz, wo du gutes Tennis spielen willst.”

Eine Woche lang ist ihr das vortrefflich gelungen, und so ist die Geschichte der Wild-Card-Starterin auch eine der größten Geschichten überhaupt in diesem Wimbledon-Jahrgang. „Das Mädchen mit der Wucht eines Dampfhammers ist wieder da”, titelte die „Sun” über die aufschlagstarke Berlinerin. „Sabine Lisicki hat hier niemanden zu fürchten”, sagte die frühere Weltranglisten-Erste und Wimbledonsiegerin Lindsay Davenport nach dem 6:4, 6:2-Drittrundenerfolg von „Fräulein Bum Bum” gegen die Japanerin Misaki Doi. Am Montag trifft Lisicki nun auf die Tschechin Petra Cetkovska, selbst Überraschungsgast im Achtelfinale nach Siegen über Ana Ivanovic und Agnieszka Radwanska, die Nummer 14 der Setzliste.

Wo ihre strauchelnden Landsleute sich serienweise aus dem Turnier der Turnier verabschiedeten, nahm Lisicki Wimbledon als Chance, ihr erstaunliches Comeback im Wanderzirkus auf die Spitze zu treiben. Spielerinnen wie Andrea Petkovic und Julia Görges bekamen vorerst die Grenzen des sportlichen Wachstums aufgezeigt, Lisicki aber eröffnete sich allein schon mit dem Achtelfinaleinzug eine ganz neue Tour-Perspektive. „Das Mädchen hat Format. Sie spielt das stärkste Tennis in den kritischen Momenten. Das schaffen nicht viele”, sagte Altmeister Boris Becker.

Es schien in den ersten Tagen fast so, als sauge Lisicki das Wimbledon-Flair wie einen Krafttrunk in sich auf. Jedenfalls war in dieser Auftaktwoche zu bewundern, was die Berlinerin mehr als alle anderen Deutschen und mehr als die meisten Spielerinnen des Tourbetriebs auszeichnet: Eine Geisteshaltung, die keine Angst vor großen Namen kennt, eine Attitüde der kompletten Furchtlosigkeit. „Du stellst sie auf den Centre Court, und sie spielt richtig gutes Tennis”, sagte Barbara Rittner, die Fed-Cup-Teamchefin. Seine Tochter kümmere sich „überhaupt nicht darum, wer auf der anderen Seite des Netzes steht”, sagte Trainervater Richard Lisicki, der promovierte Sportwissenschaftler, „so kenne ich sie seit ihren Kindertagen im Tennis.”

Wer in Wimbledon erfolgreich sein wolle, der müsse das Turnier auch jenseits aller Ärgernisse lieben und schätzen lernen, hat Goran Ivanisevic einmal gesagt, der Mann, der nach einer Saga der Enttäuschungen schließlich 2001 als Wild-Card-Vertreter siegte und endgültig seinen Frieden mit London SW19 schloss. Genau so unbeugsam in ihrer Leidenschaft wie der Kroate machte sich auch Lisicki vorerst ans Handwerk, ließ sich ihren Wimbledon-Genuss auch nicht durch Regenpausen oder Matchverschiebungen verderben. Selbst als sie nach dem berauschenden Centre Court-Erlebnis gegen die French Open-Königin Li Na am Samstag auf den kleinen Außenplatz 14 verbannt wurde, war ihr die besondere Grand Slam-Freude anzumerken: „Auch Platz 14 ist immer noch Wimbledon”, sagte sie.

Wimbledon bleibt auch ein Fall für die Spezialisten, für die Meister und Experten des schnellen, reflexhaften und intuitiven Spiels auf Rasen. Die fabelhaften Vier im Herrenturnier – Federer, Nadal, Djokovic und Murray – zogen bisher unbedrängt ihre Kreise, Tommy Haas oder Florian Mayer etwa hatten keine Chance im Feld. Und auch die zurückgekehrten Williams-Sisters, Venus und Serena, gewannen allmählich ihre alte Kraft zurück. Einzig Lisicki schüttelte die Hierarchie durcheinander, mit dem Sieg über Chinas Star Li Na, aber die Deutsche zählt eben auch zu den erfahrenen Grasspielerinnen. Seit sie in Birmingham vor 14 Tagen an den Start ging und das Turnier dann als Titelheldin verließ, hat sie neun Rasenmatches gewonnen. Aber die Reise ist noch nicht beendet, findet Lisicki: „Ich will noch ein paar Tage in Wimbledon bleiben.”

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