Russland bei Olympia: "Alle sperren! Das ist alternativlos"

Doping-Experte Pabst fordert den Ausschluss aller russischen Athleten von Olympia in Rio. "Man muss volle Kante zeigen, sonst verliert das IOC weiter an Ansehen".
Interview: Matthias Kerber |
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"Ich muss zugeben, ich war selber erschüttert und schockiert, wie skrupellos agiert wurde", sagt Experte Dr. Helmut Pabst angesichts der Enthüllungen über systematisches Staatsdoping in Russland.
dpa/AZ "Ich muss zugeben, ich war selber erschüttert und schockiert, wie skrupellos agiert wurde", sagt Experte Dr. Helmut Pabst angesichts der Enthüllungen über systematisches Staatsdoping in Russland.

München - Was wird aus Russland bei den Olympischen Spielen in Rio? Der McLaren-Bericht offenbarte, dass etliche russische Sportler gedopt waren. Doping-Experte Dr. Helmut Pabst hat eine klare Meinung zur Rolle Russlands bei den kommenden Spielen.

AZ: Herr Pabst, nach der Veröffentlichung des McLaren-Berichts, der systematisches Staatsdoping in Russland offenbart, zögert das IOC, das Internationale Olympische Komitee, immer noch, die russischen Athleten von den Spielen in gut zwei Wochen in Rio auszuschließen. Was sagt man als Doping-Experte zu dieser Diskussion?
DR. HELMUT PABST: Ich verstehe nicht, dass man sich jetzt beim IOC schon wieder so durchlaviert und hinter der Entscheidung des CAS, des Internationalen Sportgerichtshofs, verstecken will. Es ist auch IOC-Präsident Thomas Bach nicht verboten, eine eigene Meinung zu haben und diese auch zu äußern.

Für mich ist der Fall vollkommen klar und es gibt nur eine Entscheidung: Alle sperren! Das ist alternativlos. Alle russischen Athleten müssen von diesen Spielen verbannt werden. Vielleicht fängt dann doch einmal so etwas wie ein Umdenken an. Nicht so sehr bei den Athleten, sondern denen, die dahinterstehen. Den Trainern, den Funktionären, den Staatsangestellten, die jetzt versuchen, sich im Glanz von Medaillen und Erfolgen zu sonnen. Wenn dieser Glanz in Ächtung umschlägt, wird sich vielleicht etwas ändern. Vielleicht.

IOC-Boss Bach kündigte "härtestmögliche Sanktionen" an.
Ich habe das auch vernommen (lacht). Ich kann nur deutlich sagen: Man muss volle Kante zeigen, sonst verlieren das IOC und Bach noch mehr an Ansehen als eh schon.

Bach wird ja eine sehr große Nähe zu Russlands Präsident Wladimir Putin nachgesagt.
Spötter könnten fragen, ob da jetzt eine alte Freundschaft zerbricht (lacht).

Lesen Sie hier: Olympia - CAS und IOC vor historischen Entscheidungen

Ein Olympia-Ausschluss käme aber einer Sippenhaft sehr nahe, denn es würde auch saubere Athleten treffen.
Wir reden hier von systematischem Staatsdoping. Die Antidopingbehörde Russlands hat das Kontrollsystem pervertiert. Sie sollen Dopingvergehen aufdecken, sie haben vorsätzlich das Gegenteil betrieben und verhindert, dass die Kontrollmechanismen greifen.

Wir haben hier einen Fall, in dem systematisch und organisiert alles getan wurde, um massenhaft Athleten über Doping Erfolge zu ermöglichen. Für mich greift der Vorwurf der Sippenhaft im Falle von Staatsdoping nicht. Ich muss zugeben, ich war selber erschüttert und schockiert, wie skrupellos agiert wurde. Da fühlt man sich schon richtiggehend ver***cht.

Ist der Fall Russland nur die Spitze des Eisbergs?
Also Staatsdoping wird sicher nicht in jedem Land betrieben, Doping schon. Für das Staatsdoping war sicher die DDR das Vorbild, die haben es wahrscheinlich noch besser gemacht. Aber das jetzt hat schon eine andere Dimension als normale Dopingvergehen. Mir kann keiner erzählen, dass die Mächtigen in Russland nicht davon wussten. Der Inlandsgeheimdienst Russlands war schließlich in diese ganze Sache involviert, das passiert sicher nicht ohne das Wissen – oder den Segen – sehr mächtiger Menschen.

Ich führe ja jetzt selber keine Dopingkontrollen mehr durch, aber aus meiner aktiven Zeit kann ich sagen, dass es in Russland immer schon schwierig war, dass man uns unsere Arbeit – um es überfreundlich zu formulieren – nicht gerade leicht gemacht hat. Wir mussten immer schon sehr hart kämpfen, um etwa Blut- oder Urinproben außer Landes zu schaffen. Ich bin froh, dass ich da jetzt nicht mehr aktiv involviert bin, denn sonst würde ich mich so aufregen, dass es für die Gesundheit nicht gut wäre.

Nach Ihrer Experteneinschätzung: Wie viele der Athleten, die in Rio um Medaillen kämpfen, werden gedopt sein?
Das hängt von der Sportart ab. Es gibt Bewerbe, da gehe ich davon aus, dass nur ein, zwei Prozent der Athleten zu unerlaubten Mitteln greifen, in anderen Wettkämpfen bin ich mir sicher, dass wir bei 80 Prozent oder noch drüber liegen.

Eine erschütternde Annahme. Haben Sie überhaupt noch Spaß daran, großen Sportereignissen zuzuschauen?
Ja. Denn ich bin mir immer noch sicher, dass es saubere Athleten gibt. Ich bin sicher, dass es auch ohne Doping geht. Dazu braucht es das richtige Training, Talent und viel Ehrgeiz. Wenn das zusammenkommt, braucht man die ganzen Dopingmittel nicht. Wenn eines fehlt, dann oftmals schon.

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