Rupprath: "Wir sind nicht mehr die Top-Schwimmnation"
Auch nach dem 3. Tag der Schwimmwettbewerbe bei Olympia steht der Deutsche Schwimmverband (DSV) noch ohne Medaille da. Ex-Weltklasseschwimmer Thomas Rupprath äußerte sich gegenüber trainingsworld.com über die aktuelle Situation der deutschen Athleten und seine persönlichen Erfahrungen beim wichtigsten Sportevent der Welt.
Zunächst ein kurzer Blick auf den gestrigen Abend: Paul Biedermann hat im Finale über 200 Meter mit Platz 5 eine Medaille verpasst, bislang steht für den DSV noch kein Edelmetall zu Buche. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?
Thomas Rupprath:Aktuell haben wir noch keine Medaille gewonnen, das ist richtig. Wir hatten mit Helge Meeuw gestern einen weiteren Athleten im Finale, Paul Biedermann hat gestern das Maximum herausgeholt. Auch wenn es für ihn persönlich enttäuschend war – ich denke, er hätte gerne Bronze oder auch mehr gewonnen – hat er sich von Rennen zu Rennen gesteigert. Mehr war aber ganz einfach nicht möglich. Wir haben aber noch Hoffnung, mit der Staffel eine Medaille zu gewinnen und natürlich auch mit Britta Steffen.
Ist es nicht auffällig, dass andere Nationen regelmäßig Bestzeiten schwimmen, während die Deutschen ihre Topzeiten bei so wichtigen Events verpassen? Hat das spezielle Gründe und kann man vielleicht sogar sagen, dass hin und wieder falsch trainiert wird?
Über Trainingsmethoden oder die Trainingssituation möchte ich nicht urteilen – das kann ich auch gar nicht, weil ich bei keinem einzigen deutschen Schwimmer im Training dabei bin. Ich weiß nicht, mit welchen Umfängen und Intensitäten die deutschen Schwimmer trainieren. Ich gehe davon aus, dass sich jeder zu 100% vorbereitet und versucht, das Bestmögliche abzurufen. Und wenn es dann nicht klappt, dann klappt’s eben nicht. Hier schwimmt ja keiner freiwillig langsam, jeder will sein Bestes geben. Man muss einfach sehen: Wir sind nicht mehr die Top-Schwimmnation. Es gibt andere Nationen, die uns überholt haben – auch in Europa. Es ist einfach nicht mehr der deutsche Schwimmsport, den es einmal zu Zeiten von Michael Groß, Dagmar Hase oder Franziska van Almsick gab.
"Wenn Paul und Britta aufhören wird es schwierig"
Was kann der Deutsche Schwimmsport tun, um wieder an die alten Zeiten anzuknüpfen?
Das kann ich nicht beurteilen. Dennoch ist es so, dass wir eigentlich mit Paul und Britta nur zwei Sportler haben, die über lange Jahre internationale Weltspitze sind und die Fahne für den deutschen Schwimmsport in der Welt hoch halten. Davon brauchen wir wieder welche. Wir müssen versuchen, das wieder hin zu bekommen. Davon sind wir aber leider ein Stück entfernt. Ich sehe aktuell niemanden, der in diese Fußstapfen – mit Weltrekorden, mit Olympiasiegen, mit Weltmeistertiteln – treten kann. Wenn die beiden aufhören, sieht es im Schwimmsport zum jetzigen Zeitpunkt sehr schwierig aus.
Gibt es in Deutschland vielleicht auch ein Problem mit der öffentlichen Wahrnehmung wie zum Beispiel bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft? Sprich: Es zählen eigentlich nur noch Siege, alles andere wird schnell unter der Rubrik "gescheitert" verbucht?
Das ist komplett richtig, es zählt nur der Sieg. Selbst bei einem fünften Platz muss man dann lesen ‚Paul Biedermann geht baden, wird nur Fünfter‘. Das darf man gar nicht mehr alles lesen, weil die Medien und die Öffentlichkeit verlangen, dass man Medaillen gewinnt – und selbst da zählt oft nur der erste Platz. Ich bin bei den Olympischen Spielen in Athen 2010 im Einzelwettbewerb Vierter geworden. Aber das interessiert keinen. Das ist auch unser Problem, nicht nur im Schwimmsport, sondern allgemein, dass wir nur noch an Siegen gemessen werden. Das ist eine schwierige Situation.
"Ich kann mir vorstellen, das Britta Steffen über 50 und 100 m Freistil eine Medaille holt"
Die deutsche 4x200 Meter-Staffel hat sich im Vorlauf gut verkauft und hat heute Abend gute Chancen auf Bronze. Wo sehen Sie weitere Möglichkeiten für das DSV-Team, die Olympia-Bilanz noch zu verbessern?
Da kann ich nur eine Person nennen, und das ist Britta Steffen. Sie macht hier einen sehr lockeren Eindruck. Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie über 50 und über 100 Meter Freistil eine Medaille gewinnt, wenn Sie vom Start gut wegkommt. Wir müssen also einmal mehr hoffen, dass Britta für uns die Medaille noch holen kann.
Kleiner Schwenk zum Tischtennis: Nun hat sich auch mit Timo Boll einer der Top-Favoriten aus dem Olympischen Turnier verabschiedet. Fehlt vielleicht bei den deutschen Stars manchmal der letzte Kick, die letzte mentale Vorbereitung, um erfolgreich zu sein?
Es sind oft nur ganz kleine Nuancen, die ab und zu zwischen Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Gerade beim Tischtennis kann es nur ein Punkt sein… Oder bei Britta Heidemann im Fechtfinale: Sie hat sensationell Silber gewonnen, aber eben ganz, ganz knapp Gold verpasst. So war es auch bei Paul Biedermann. Wenn ein paar Dinge nicht stimmen, wird man kein Medaillengewinner. Hier bei Olympia möchte ich aber auch für alle Athleten sprechen: Kein Teilnehmer geht an den Start, um absichtlich schlecht abzuschneiden. Alle haben sich vier Jahre vorbereitet, um ihr Bestes abzurufen. Daher ist es von den Medien nicht richtig, dann auf die Sportler einzudreschen.
Noch eine Frage zu Ihrer eigenen Vergangenheit als Leistungssportler: Welche Erfahrungen nimmt man von einem Großereignis wie Olympia mit, ganz unabhängig von der Jagd nach Medaillen?
Olympische Spiele finden nur alle vier Jahre statt und sind natürlich schon allein deshalb etwas ganz Besonderes. Gerade wenn man die Masse an Zuschauern sieht, die eine Menge Geld investieren, um hier her zu reisen, um sich Tickets zu kaufen und um live die Events zu sehen. Als Sportler kann man zu anderen Sportarten gehen und sich beispielsweise einmal einen Usain Bolt anschauen oder das US-Team im Basketball. Das bekommt man so nirgendwo sonst zu sehen. Herzlichen Dank für das interessante Gespräch.
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