Rosi Mittermeier und Christian Neureuther im AZ-Doppelinterview
München - Rosi Mittermeier (68) holte bei Olympia 1976 zwei Mal Gold und einmal Silber, seit 1980 ist sie mit Slalom-Ass Neureuther (69) verheiratet, gemeinsam haben sie zwei Kinder – Ameli und Slalom-Vizeweltmeister Felix. AZ hat mit den beiden Ski-Legenden gesprochen.
AZ: Frau Mittermaier, Herr Neureuther, am Sonntag vor zwei Wochen feierte Ihr Enkelkind Matilda, die Tochter von Ihrem Felix und seiner Miriam, ersten Geburtstag. Wie haben Sie gefeiert?
CHRISTIAN NEUREUTHER: Wir sind untertags noch beim München-Marathon gelaufen, haben für unsere Kinder-Rheumastiftung viele Spenden einsammeln können. Dann mussten wir noch zum Wählen, gefeiert haben wir am Abend. Wir haben eine große selbst gebastelte Kerze angezündet, den hausgebackenen Kuchen hingestellt und "Alles Gute zum Geburtstag" gesungen. Die Matilda hat große Augen gemacht, als sie reingekommen ist, die läuft ja schon wie ein Wiesel, sie hat die Besonderheit des Anlasses genau gespürt.
ROSI MITTERMAIER: Es sind auch alle dagewesen. Der Felix ist vom Training im Pitztal gekommen, die Miri und ihre Eltern waren dabei, unsere Tochter Ameli und ihr Sohn Oskar. Die ganze Familie.
Rosi Mittermeier: "Wenn die Kinder uns brauchen, sind wir da"
Was gab’s als Geschenk?
ROSI: Ein Fotoalbum mit den Bildern ihres ersten Lebensjahres. Das hat sie fasziniert durchgeblättert, die größte Freude war, die Seiten umzuknicken. Aber ich glaube, das größte Geschenk, was wir ihnen geben können, ist wie schon bei unseren eigenen Kindern Zeit und Liebe.
Sind Sie recht eingespannt als Großeltern?
ROSI: Wenn die Kinder uns brauchen, sind wir da. Ob für die Matilda oder für den Oskar, der jetzt in der Vorschule ist. Wir haben im Garten Sandkasten, Schaukel, Trampolin und die Turnmatte, auf der unsere Kinder schon herumgehupft sind. Wir machen auch viel zusammen, der Oskar hilft mir bei den Blumen im Garten und kennt inzwischen auch viele Namen.
CHRISTIAN: Das Highlight bleibt aber das gemeinsame Rasenmähen. Nur um die Gänseblümchen müssen wir immer einen großen Bogen machen, weil sonst würde die Oma ja traurig werden, wenn wir sie abmähen, sagt er.
ROSI: Werte zu vermitteln und Wissen weiter zu geben, das sonst verlorenginge, das ist unsere Aufgabe. Wenn ich an die Oma vom Christian denke, die hat jede Blume beim lateinischen Namen gekannt.
Wenn Sie Ihre beiden Kinder und ihre unterschiedlichen Werdegänge betrachten, die Ameli als Modedesignerin, der Felix als Skirennfahrer, erfüllt es Sie mit Stolz, was aus den beiden geworden ist?
ROSI: Stolz auf gar keinen Fall. Wir freuen uns einfach, wenn wir sehen, was ihnen wirklich wichtig ist im Leben.
CHRISTIAN: Beim Felix heißt es ja immer, dass er so tolle Privilegien genießt als Skirennläufer. Das mag sein, aber diese Privilegien waren und sind völlig gleichgültig. Der Felix braucht nicht viel. Ihm ist wichtig, sich für andere zu engagieren, für sein Umfeld, seine Familie.
ROSI: Der Felix hat ein Helfersyndrom. Letzte Woche ist er zufällig mit dem Jean Baptiste Grange und Julien Lizeroux in München gelandet, doch anstatt gleich heimzufahren, hat er sich durch die Münchner Rush Hour gekämpft, weil er die beiden zum Müller-Wohlfahrt zur Behandlung gefahren hat. Das ist für den Felix völlig selbstverständlich.
Neureuther über den Klimawandel: "Die Entwicklung ist dramatisch"
Falls er fit ist, startet Ihr Sohn am Sonntag beim Saisonauftakt auf dem Gletscher in Sölden. Ist in Zeiten des Klimawandels ein Skirennen Ende Oktober auf einer schmalen Eiszunge nicht Irrsinn?
CHRISTIAN: Sölden hat in der Tat oft grandiose Schneebilder geliefert. Aber der Klimawandel muss uns alle beschäftigen, besonders uns Skifahrer. Mein Urgroßvater war im 19. Jahrhundert ein bekannter Glaziologe, der hat noch selbst alle Gletscher der Alpen vermessen. Heute würde er dort kaum mehr was finden. Die Entwicklung ist wirklich dramatisch und beängstigend. Ich drücke den Söldnern alle Daumen, dass sie die Rennen durchziehen können, Gott sei Dank schneit es oben gerade. Trotzdem muss man sich für die nächsten Jahre im Weltverband FIS Gedanken machen, wie man mit der Thematik umgeht und ob man nicht den Start einer Weltcup-Saison in den November schiebt. Es geht um Bilder mit natürlichem Schnee und Bergen, die zum Urlaub einladen. Sonst wäre so ein Auftakt keine Werbung für den Skisport. Auch die Rennläufer würden das übrigens sehr begrüßen.
Sölden war ja vom Zeitpunkt immer als Marketing-Event für die Industrie gedacht, um schon mal den Skiverkauf für den Winter anzukurbeln.
CHRISTIAN; Wie gesagt, das ist in meinen Augen kein Argument mehr. Das hat mir übrigens auch ein Verkaufsleiter einer großen Firma neulich bestätigt. Der Kunde hat sich bereits auf später einsetzende Winter eingestellt. Es hilft dem Skisport nichts, wenn neben den Pisten nur Steine und Felsen zu sehen sind. ROSI: Der Skisport hat ja dann seinen Reiz, wenn ich wie in Wengen vor der Kulisse von Eiger, Mönch und Jungfrau grandiosen Rennsport zeige. Oder in St. Moritz, wo Piz Bernina und der weiße Biancograt den perfekten Background für Frauenskirennen liefern. Seit Jahren wird auch schon über Reformen bei den Disziplinen im alpinen Skisport nachgedacht, richtig viel getan hat sich aber nicht.
Was würden Sie ändern?
CHRISTIAN: Erinnern Sie sich an ein Interview, das wir beide vor 20 Jahren geführt haben?
Als Sie die Abschaffung der Kombination forderten?
CHRISTIAN: Genau. Und die gibt es immer noch. Es braucht sie aber nicht. Auch den Super-G könnte man streichen. Dafür als Ergänzung zu den Rennen in den Bergen mehr Events in Großstädten. Mehr Nachtrennen unter Flutlicht wie in Schladming. Da ist noch viel Potenzial.
Neureuther fordert neue Kriterien für Olympia-Vergabe
Viele Wintersportler sind bereits in Planung für die Winterspiele 2022, die aber in Peking stattfinden und nicht in München. Sie beide waren große Befürworter von Olympia in München, wie sehr schmerzt es noch, dass sich die Bürger mit ihrem Votum klar dagegen entschieden?
CHRISTIAN: Im Nachhinein hatten die Menschen ein gutes Gespür für die Situation rund um die Problematik von Olympischen Spielen. Wir hatten in unserer Euphorie an unsere zu idealistisch gedachten Vorstellungen geglaubt und gedacht, was die Spiele im Bezug auf Nachhaltigkeit für viele Generationen hinterlassen könnten, für den Breitensport, für die Region. Wir alle lieben doch Olympia, auch viele von denen, die dagegen gestimmt haben. Die Kriterien für eine Olympiavergabe müssen völlig neu aufgestellt werden und sich dem Thema Nachhaltigkeit in allen Bereichen unterordnen. Wenn ich jetzt die aktuellen Zahlen sehe: In Tokio werden die Spiele mit 23 Milliarden doppelt so teuer wie gedacht. Die leeren und unbrauchbaren Wettkampfstätten in Korea. Da kann ich verstehen, dass die hiesigen Bürger ihre Zweifel hatten.
ROSI: Wie sollte ein Münchner von Olympischen Spielen unter seinen derzeitigen Kriterien profitieren? Es ist ja alles vorhanden. 1972 kam die U-Bahn, die S-Bahn, der Mittlere Ring. Davon profitiert er heute noch. Aber was sollen ihm jetzt Olympische Spiele bringen, außer noch teurere Mieten und Immobilien?
CHRISTIAN: Und das vor dem Hintergrund von Korruption und Doping. Das ist dem Normalsterblichen nicht mehr zu vermitteln.
Gerade die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland sorgt für Fassungslosigkeit.
ROSI: Das alles ist so bitter. Allein dass Thomas Bach sagt, man könne Doping eh nicht verhindern und es werde ja überall gedopt. Unfassbar. Als würde die Polizei sagen, man kontrolliere keine Temposünder mehr, weil es fahren ja eh alle zu schnell. Wofür sind denn Gesetze da? Wer soll denn eine Instanz sein für Regeln, Gesetze und sauberen Sport, wenn nicht das IOC?
CHRISTIAN: Abgesehen davon, dass Doping so verheerende, lebenslange Folgen für die Gesundheit des Sportlers haben kann. Was ist das für ein Schlag ins Gesicht der vielen jungen Athleten, die sauber nach oben kommen wollen. Nicht mehr vermittelbar. Oder dass ein überführter Dopingsünder wie Justin Gatlin wieder bei Olympia starten darf. Das geht nicht. Das ist weit weg von den Werten des Sports.
ROSI: Und weit weg von den Werten, die wir der Ameli und dem Felix weitergegeben haben und unseren Enkeln weitergeben wollen. Weit weg von den Werten des Lebens.