Interview

Rolf Aldag im AZ-Interview zum Giro: "Am Ende war es eine Punktlandung"

Rolf Aldag, Sportchef beim Raublinger Radrennstall bora-hansgrohe, spricht im AZ-Interview über die erfolgreiche Strategie seines Teams, Shooting Star Lennard Kämna und die Tour de France.
von  Martin Wimösterer
bora-hansgrohe-Fahrer Jai Hindley holt sich beim Giro d'Italia den Gesamtsieg.
bora-hansgrohe-Fahrer Jai Hindley holt sich beim Giro d'Italia den Gesamtsieg. © IMAGO/LaPresse

München - AZ-Interview mit Rolf Aldag (53): Der ehemalige Rad-Profi ist seit diesem Jahr der Sportliche Leiter beim deutschen Rennstall bora-hansgrohe.

Rolf Aldag, Sportchef beim Raublinger Radrennstall bora-hansgrohe.
Rolf Aldag, Sportchef beim Raublinger Radrennstall bora-hansgrohe.

Rolf Aldag: "Wir wollten über eine breite Spitze kommen - das ist aufgegangen"

AZ: Herr Aldag, Gratulation! Ihre Strategie ist beim Giro d'Italia voll aufgegangen. Ihr Fahrer Jai Hindley hat sich in einem packenden Finish den Gesamtsieg geholt.
ROLF ALDAG: Vielen Dank. Ja, es hat perfekt gepasst. Wir hatten uns im Winter zusammengesetzt und haben besprochen, wie wir es machen. Dass es aber so perfekt klappt, damit konnte man nicht rechnen.

Sie hatten also schon im Winter geplant, dass Sie sich mit mehreren Fahrern fürs Gesamtklassement aufstellen und den Giro holen?
Ja. Das war Ende letzten Jahres. Ralph Denk (Manager des Teams; die Redaktion) hat die neue Ausrichtung von bora-hansgrohe bekannt gegeben - dass wir nicht mehr nur auf Etappensiege fahren, sondern dass wir jetzt ein Klassement-Team sind. Der Giro ist dafür ein sehr guter Testballon: Er bietet schwere Etappen, steht aber nicht ganz so im Zentrum der Aufmerksamkeit wie die Tour de France. Wir wollten über eine breite Spitze kommen - das ist aufgegangen. Wobei man auch sagen muss: Wir waren im Vorfeld nicht die Favoriten. Als anderes Team hätte man uns vielleicht nicht so viel Spielraum gelassen. Am Ende war es eine Punktlandung!

"Kämna hat auch einen sehr guten Renninstinkt"

Hindley lag am Schlussanstieg der vorletzten Etappe gleichauf mit Olympiasieger Richard Carapaz von Ineos Grenadiers, der hauchdünn vor ihm im Gesamtklassement lag. Ihr Fahrer bekam dann Hilfe vom Lennard Kämna, einem Teamkollegen. Wie lief die Absprache, dass Kämna die Attacke fährt, die letztlich Hindley ins Rosa Trikot verhalf?
Enrico Gasparotto, der für uns im ersten Auto saß, hat lange mit Kämna gesprochen. Ich stand mit Gasparotto in Kontakt. Zum Rennfahrer selbst gibt es einen Rennfunk. Dazu kriegt man Informationen über den Tour-Funk. Und es gibt von zuhause Informationen, klassisch über WhatsApp, weil man da manchmal Sachen sieht, die man im Rennen nicht so auf dem Schirm hat. Was man auf keinen Fall unterschätzen darf: Kämna hat auch einen sehr guten Renninstinkt. Das ist wichtig - die Rennfahrer sind keine Roboter und der Giro ist kein Playstation-Spiel.

Kämna sorgte für Schlagzeilen: Er gewann eine Etappe selbst und hatte zwischenzeitlich das Bergtrikot an. Sie haben sich 2003 bei der Tour de France ja auch dieses Trikot überstreifen dürfen - was macht das mit einem jungen Fahrer?
Das war ein Gedanke: Gehen wir darauf oder nicht? Wir haben uns dagegen entschieden. Das wäre ein bisschen viel gewesen, manchmal brauchst du im Radsport auch einfach den Mut zur Lücke. Er hätte viel in den Spitzengruppen fahren müssen, was viel Kraft kostet. Der hat gewissermaßen sein Eigeninteresse hinter dem Team angestellt.

"Wenn man aufs Klassement fahren will, braucht man Geduld"

Er ist nun 25 Jahre alt. Wie sehen Sie Kämnas Weg für die kommenden Jahre?
Das ist eine Sache des Rennfahrers. Man kann seine Ideen haben, aber er muss daran glauben und dafür Feuer und Flamme sein. Er hat Etappen bei der Tour de France und dem Giro gewonnen, wo sieht er jetzt die nächsten Ziele? Im Gesamtklassement oder will er weiter mit einer taktischen Meisterleistung Tagessiege holen? Vom Potenzial her ist bei Lenny viel möglich. Es ist aber schwer zu sagen, wie es in den kommenden Jahren aussehen wird. Er hat einen großen Renninstinkt. So einen Jungen kann man nicht an der kurzen Leine halten. Er ist kein Hütehund, sondern eher ein Beagle. Wenn man aufs Klassement fahren will, braucht man Geduld.

Emanuel Buchmann wurde Gesamtsiebter, was das beste Abschneiden eines deutschen Fahrers seit 39 Jahren war.
Er ist sehr, sehr stark gefahren. Man muss noch berücksichtigen, dass Krankheiten dazwischen kamen. Buchmann ist bei der Baskenland-Rundfahrt im April deswegen noch ausgestiegen. Ich würde sagen, unser gesamtes Team ist während des Giros in Euphorie verfallen.

Was steht für die Fahrer nach drei anstrengenden Wochen Giro nun an?
Wir werden sie schon ein bisschen rausnehmen. Wir haben aber nun gleich wieder Highlights, zum Beispiel Dauphiné Libéré. Da sprechen wir in diesen Tagen darüber ab, ob nicht doch einer mitfährt. Bei Landesrundfahrten kommt man müde raus, aber in sehr guter Form. So schwer die drei Wochen sind, aber wenn ich mental fit bin, kann ich mir überlegen, ob ich da nicht noch für mich persönlich was mitnehme.

Rolf Aldag: "Wir sollten die Latte nicht so hochlegen"

In einem Monat beginnt die Tour de France. Steht Ihr Aufgebot schon?
Nein, die Selektion machen wir nach den Vorbereitungsrennen. Es kann noch viel passieren: Krankheiten, Stürze...

Hatten Sie sich im Winter, wie für den Giro, eine Strategie zurechtgelegt für die Tour de France?
Wir haben Sam Bennett, einen Sprinter, den man nur an den Etappensiegen messen kann. Und wir haben Alexandr Vlasov, der die Tour de Romandie und die Valencia-Rundfahrt gewonnen hat. Seine Ambitionen sollten schon sein, aufs Gesamtklassement zu fahren. Er hat das Potenzial für die ersten Fünf. Andererseits gibt es einige Teams, die sich voll auf den Gesamtsieg ausrichten. Wir wollen da den Mix haben. Wir sollten die Latte nicht so hochlegen.

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