Roddick: "Meine Frau hat mich zur Vernunft gebracht"

Lokalmatador Andy Roddick hat sich vom Flegel der Tennis-Szene zum Publikumsliebling gemausert. Und ist einer der heißen Titelanwärter beim Grand Slam-Turnier in New York.
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Gehört zu den Top-Favoriten der US Open 2009: Andy Roddick.
AP Gehört zu den Top-Favoriten der US Open 2009: Andy Roddick.

NEW YORK - Lokalmatador Andy Roddick hat sich vom Flegel der Tennis-Szene zum Publikumsliebling gemausert. Und ist einer der heißen Titelanwärter beim Grand Slam-Turnier in New York.

Als er vor sechs Jahren in New York die US Open gewann, da führte er sich noch auf, als hätte er hier höchstpersönlich das Hausrecht. Er, Andy Roddick, der stolze Erbe der goldenen amerikanischen Tennis-Generation, der König von Flushing Meadow. Dass die US Open-Macher die Terminpläne des Turniers in seinem Triumphjahr willkürlich für ihn zurechtbogen und selbst Grand Slam-Champions wie Roger Federer vor den Kopf stießen, brachte Lokalmatador Roddick nicht ins Grübeln: „Wir sind in Amerika“, gab Roddick selbstherrlich zu Protokoll, „dies ist nun mal mein Heimspiel im Tennis. Und dies ist unser Superbowl.“

24 Grand Slam-Turniere später ist Roddick aufs Neue eine große Nummer in New York, ein wiedererstarkter, besonnenerer, spielerisch aufregenderer Gladiator. Noch immer ist Roddick elektrisiert von der faszinierenden Atmosphäre dieses Spektakels, schöpft Kraft und Moral aus der Unterstützung seiner tennisverrückten Landsleute, doch von der anmaßenden Attitüde seiner Flegeljahre ist der Bursche mit den markanten Segelohren weit entfernt. Roddick, einst ein Marktschreier und Schwinger patriotischer Parolen, ist in harten, oft sogar entbehrungsreichen Berufsjahren zum nüchternen Realisten gereift – das macht ihn gerade in dieser Saison 2009, in der eine sportliche Renaissance feiert, sympathischer denn je.

„Wenn Tennis ein Herz hat, dann muss Roddick in New York gewinnen“, notierte die britische „Times“ über den 27-jährigen Aufschlag-Weltrekordler, dessen flexibleres Spiel fast eine Entsprechung seines veränderten Charakters ist – auf und neben dem Centre Court hat sich die leidige Eindimensionalität verflüchtigt. In der ersten Runde siegte Roddick zunächst problemlos gegen den Rheinländer Björn Phau, knallte dabei 81 Prozent seiner ersten Aufschläge ins Feld.

Noch immer kriegt Roddick auf Schritt und Tritt Beileidsbekundungen zu hören, die sich auf das unvergeßliche Wimbledon-Finale dieses Sommers beziehen – ein Endspiel scheinbar ohne alle Grenzen, in dem der Amerikaner im magischen fünften Satz mit 14:16 gegen Roger Federer verlor, gegen den lästigen eidgenössischen Plagegeist, der nichts weniger als der große Spielverderber in Roddicks Karriere ist. Aber Roddick hat auch die dritte Finalniederlage auf Wimbledons heiligem Grün gegen Grand Slam-Rekordhalter Federer längst weggesteckt, „besser als viele meiner Freunde und viele aus meiner Familie“: „Die schütteln mirheute immer noch die Hände mit einem Trauerblick, als wäre ich damals gestorben auf dem Court.“

"Wenn Tennis ein Herz hat, muss Roddick gewinnen"

Roddick habe zwar allen Grund gehabt, sich zu ärgern, stellt Altmeister Andre Agassi fest, „denn in Wimbledon hat er eine der fantastischsten Leistungen seiner Karriere gezeigt.“ Zugleich sei das Spiel aber auch „Raketentreibstoff fürs Ego“ gewesen, so Agassi, schließlich habe Roddick bewiesen, dass er wieder in Schlagdistanz für Grand Slam-Titel sei, in London genau so wie in Melbourne oder in New York: „Ich kann ihm nur empfehlen, den Kopf oben zu behalten.“ Was schwer genug ist, wenn man, wie Roddick, über die Ungande der falschen Geburt grübeln könnte, wenn man in einer Tennis-Epoche zusammen mit Federer am Werke ist – 19 von 21 Spielen hat der Basler ja gegen Roddick gewonnen, ihm die schönsten Titel reihenweise geklaut und ihn auch in New York vorübergehend richtig ins Abseits gestellt.

Roddick kann seinen nur sportlichen Erzrivalen aber nicht hassen oder verfluchen, denn dazu sei Federer „einfach ein zu netter Kerl, ein Typ, den man sich zum Freund wünscht.“ Wie groß der gegenseitige Respekt ist, das ist im Umkehrschluß auch an Federers Verhalten zu spüren: Gegen alle Kritik, dass Roddicks Spiel zu banal sei, zu wenig variantenreich, verteidigte der Schweizer den Weggefährten über die Jahre stets mit eiserner Hartnäckigkeit und warnte, „Andy abzuschreiben und aus den Augen zu verlieren.“

Dass dies mehr als nur nette, aufmunternde, aber letztlich doch nichtssagende Botschaften sind, bekam die ganze Welt in diesem Wimbledon-Jahr demonstriert – im Finale gegen Federer spielte Roddick vollständig auf Augenhöhe, ein Spieler, der in der Zusammenarbeit mit seinem gewieften neuen Trainer Larry Stefanki wirklich gewachsen ist. Roddicks Aufschlag ist zwar nach wie vor die stärkste, aber nicht mehr die einzig wirksame Waffe – das Ballermann-Tennis ist einem durchstrukturierten Spiel gewichen, in dem der Amerikaner seine Gegner mit Finten und Finessen überrascht. In Runde eins konnte Roddick das in New York aber noch gar nicht zeigen, da beherrschte er das Geschehen mit einem machtvollen Service, das permanent mit über 200 Stundenkilometer ins gegnerische Feld rauschte.

Die großen Vier im Tennis – Federer, Murray, Nadal und Djokovic – sind zwar oft das Maß aller Dinge. Aber in New York sollte sich niemand auf die Dominanz dieses Quartetts verlassen, vor allem nicht wegen Roddick. Am Super Saturday könnte es wieder einmal zum Rendevous mit Federer kommen, im Halbfinale. „Super“ fände Roddick das natürlich, „aber es wäre eine Riesendummheit, so weit nach vorne zu denken – schlicht unprofessionell.“ Auch das hört sich aus dem Mund des frisch verheirateten Roddick ganz anders an als 2003, im Jahr des ersten und einzigen Grand Slam-Sieges: „Wahrscheinlich“, grinst Roddick, „hat mich meine Frau Daphne zur Vernunft gebracht.“

Jörg Allmeroth

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