Rasenpflege in Wimbledon: Acht Millimeter, ein Vogel

Greenkeeper Neil Stubley und Falke Rufus sind die heimlichen Stars von Wimbledon. Ein Besuch.
von  Patrick Strasser
Der Taubenschreck von Wimbledon: Falke Rufus.
Der Taubenschreck von Wimbledon: Falke Rufus. © Strasser

Wimbledon Rufus ist ein Vorarbeiter, einer mit besonderen Fähigkeiten. Er startet seinen Rundflug während der 13 Turniertage des wichtigsten Tennis-Turniers der Welt jeden Morgen bei Sonnenaufgang. Immer auf der Jagd nach Tauben, die auf dem heiligen Rasen ihr Picknick machen wollen. Rufus ist eine Berühmtheit, der Falke Wimbledons und wird in London „The real Hawk-Eye“ genannt – in Anlehnung an das computergestützte System zur Ermittlung, ob ein Ball auf oder neben der Linie war. Er hat sogar einen eigenen Twitter-Account: @RufusTheHawk.

Rufus, auf dessen Security-Ausweis „Vogelschreck“ steht, sieht alles. Bis ins Jahr 2000 hatten immer wieder Tauben und andere Vögel auf den Plätzen des „All England Lawn Tennis and Croquet Clubs“ von Wimbledon für Spielverzögerungen gesorgt und die Spieler genervt. Vorbei. Seitdem regiert Rufus.

Ab 9  Uhr ist Schluss mit Tauben-Bashing

Ab 5 Uhr wird der Falke für seine Patrouillen-Rundflüge von seiner Betreuerin losgelassen. Die zwei sind Frühaufsteher. Aus gutem Grund: Denn wenn ab 10.30 Uhr die ersten Zuschauer auf die Anlage gelassen werden, ist Schluss mit Tauben-Bashing. Rufus hat bereits um 9 Uhr Feierabend.

Wimbledons Greenkeeper Neil Stubley schätzt Rufus’ Arbeit. Seit 1995 ist der Brite „Head Groundsman“ des Turniers. Der 46-Jährige hat die Verantwortung dafür, dass die 19 Plätze immer bespielbar sind. Schon ab März jeden Jahres arbeiten knapp 30 Angestellte dafür. Regelmäßig werden Dichte, Härte und Feuchtigkeit des Untergrunds gemessen – mit in den Rasen eingeführten Detektoren. Für stets perfekte acht Millimeter Weidelgras. Besonders an der Aufschlaglinie verschwindet das Grün durch die Abnutzung von Turniertag zu Turniertag stetig, es werden mehr und mehr braune Stellen. „Wir haben eine ständige Auseinandersetzung mit den Grundlinien-Spielern“, sagt Stubley und lacht, „außerdem werden die Spieler immer größer, schneller, besser.“ Der Rasen leidet. Und Stubley mit ihm.

Feuchte Kälte wirkt bremsend auf Spiel und Bälle. Warmer, trockener Rasen macht die Partien schneller. Siehe die erste Woche des Turniers, als dem Deutschen Dustin Brown die größte Überraschung gelang, indem er den zweimaligen Champion Rafael Nadal in Runde zwei aus dem Turnier warf. Wenn die Sonne derart herunterbrennt wie in den ersten Turniertagen 2015 – der 1. Juli war der heißeste Tag in der Geschichte Wimbledons – müssen die Plätze am spielfreien Sonntag intensiv gewässert werden. Kein Spieler darf einen Court betreten und dennoch, so Stubley, ist es für ihn und seine Crew „der kritische Tag“. Intensive Rasenpflege mit allen erdenklichen technischen Messungen ist von Nöten. Endlich kann mit der Mär aufgeräumt werden, am „Middle Sunday“ werde entgegen aller anderen Grand-Slam-Turniere nur aus Tradition nicht gespielt.

Zehn Erdbeeren für 3,50 Euro: Guten Appetit

Denn Traditionen werden gepflegt in SW19, im Südwesten der Hauptstadt. Die Erdbeeren zum Beispiel, of course! Kein Wimbledon ohne „Strawberry & Cream“ – mit flüssiger Sahne? Aber bitte! Eine Pappschale gibt es für 2,50 Pfund, aktuell rund 3,50 Euro. Darin sind zehn Erdbeeren. Falls sie einmal kleiner ausfallen, dann sogar elf. Zu teuer? Der Preis ist seit sechs Jahren stabil, entgegnen die Hersteller. Und es gehe ja mehr um das Erlebnis, um Tradition – nicht ums Geld. Die Erdbeeren kommen aus der Grafschaft Kent. Jede „Wimbledon-Erdbeere“ darf nur zwischen zwölf und 13 Gramm wiegen. Rund 25 Arbeiter sind für die Schälchen eingeteilt. Während des Turniers genießen die Zuschauer bis zu 28 Tonnen der roten Früchte (rund 250 000 Schälchen) inklusive 7000 Liter Sahne. 2015 wird ein Rekordjahr. Klar: das heiße Wetter. Darauf ein Glas des Nationalgetränks „Pimm’s“, eisgekühlt: Gin, Wasser, Zucker und Zitronensaft.

Dieses Wochenende stehen die Finals im Damen- und Herren-Einzel an, in Deutschland überträgt TV-Sender „Sky“ exklusiv, insgesamt 350 Stunden. Noch zwei Mal im Programm im Anschluss an die Finals: Uli Potofskis Wimbledon-WG „London Calling“ mit Experte Patrik Kühnen.

Eine Mitgliedschaft im All England Tennis Club? Unerreichbar

Für die Gewinner geht es nicht nur ums Preisgeld von jeweils 1,88 Millionen Pfund (ca. 2,65 Millionen Euro). Sie sind auch privilegiert, eine Membership-Card zu erhalten. Als Mitglied darf man das ganze Jahr auf den Rasenplätzen – mit Ausnahme der beiden großen Stadioncourts – aufschlagen. Bis Freitag vor Turnierbeginn, natürlich nicht auf dem Centre Court und Court No.1. Dann sagt Stubley, der Rasenwächter: Stop! Mitglied im berühmtesten Tennis-Klub der Welt: unbezahlbar? Eher unerreichbar, denn der Jahresbeitrag beträgt lediglich 100 Pfund, aktuell 141 Euro. Boris Becker, Michael Stich, Steffi Graf sind im ehrenwerten Kreis der Mitglieder.

Ab Montag übrigens heißt es: Betreten verboten! Nach Ende des Turniers darf niemand, nicht mal die Mitglieder, für zehn Tage auf den Plätzen aufschlagen. Schonung ist angesagt. Dann hat auch Greenkeeper Stubley nach seinem 21. Turnier ein paar Tage frei. Zu Hause jedoch wartet Arbeit auf Wimbledons Rasenpfleger. „Seit drei Wochen habe ich nicht mehr den Rasen gemäht.“

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.