Rafael Nadal: Meister aller Klassen
Rafael Nadal beendet das Tennis-Jahr als Nummer 1 – und erlebt damit bei der WM schon vor dem Finale die Krönung seines sensationellen Comebacks.
London - Abends gönnte sich der Matador zum Nachtisch an diesem großen Tag noch eine Portion Champions League. Auf dem Rückweg von der Tennis-WM in der 02-Arena eilte er herüber zur Stamford Bridge, zu Chelsea gegen Schalke. Livefußball als Entspannung nach getaner Arbeit. Nach einem der größten Tage in der Karriere Rafael Nadals, an dem eine Zaubersaison schon vor der letzten Titel-Entscheidung einen bestaunenswerten Krönungsmoment erlebte. Der bullige Mallorquiner, vor Jahresfrist noch von tiefen Selbstzweifeln über seine Tenniszukunft geplagt, grüßte nach seinem dramatischen 7:6, 7:6-Vorrundenkrimi mit Happy-End gegen den Schweizer Stanislas Wawrinka bereits als sicherer Gipfel-Wart der Saison 2013.
Eine Nummer-1-Auszeichnung zum Serienende war es, die er sich selbst und die wohl auch niemand sonst ihm zugetraut hatte, als er nach sieben Monaten Verletzungspause im Februar in Südamerika wieder die ersten Bälle professionell übers Netz schlug. „Ich fühle mich wie in einem Traum. Das alles ist so unglaublich, so unwirklich“, sagte Nadal gerührt, „dass ich nun wieder ganz oben stehe, zählt zu den wichtigsten Erfolgen in meinem Leben. Vielleicht wird es sogar einmal der größte Erfolg von allen sein.“
Er, der leidenschaftlichste aller Berufsspieler im Wanderzirkus, war schon vor der faktischen Bestätigung in London als Nummer 1 der Mann der Saison gewesen – dafür brauchte es eigentlich nicht die schwarz auf weiß ermittelten Zahlen der ATP-Weltrangliste. Er war am Ende der beständigste, erfolgreichste und effektivste aller Topstars. Und zwar nicht nur auf den geliebten Sandplätzen, sondern auch auf jenen Hartplätzen, von denen er sich sogar möglichst fernhalten wollte bei seinem Comeback. „Es ist alles anders gekommen, als ich gedacht habe“, sagte Nadal, „es war einfach eine völlig verrückte, aber sehr schöne Zeit.“
Geschichte hat er mit Platz eins zum Saisonende auch geschrieben, denn keiner außer ihm hat sich den Gipfelrang drei Mal in seiner Karriere erobert – 2008 war der Spanier zum ersten Mal die Führungsfigur, als er den Ewigen Federer als Maximo Leader ablöste. 2010 rückte er wieder auf Platz eins, inzwischen war aus dem Zweikampf um die Vormacht der Branche ein Dreikampf geworden, in dem auch Novak Djokovic eine gewichtige Rolle spielte. Jenen Djokovic löste Nadal auch in der laufenden Serie ab, obwohl der selbst ein weithin brillantes Jahr 2013 hatte. „Man kann nur den Hut ziehen vor dem, was Rafa da geschafft hat“, sagte Djokovic.
Meister aller Klassen wurde er auch wieder, weil er sein Spiel noch einmal neu modellierte und sich mehr Offensivdrang verordnete – anders wären seine bärenstarken Ergebnisse auf den Hartplätzen dieser Welt nicht zustande gekommen, nicht zuletzt der Triumph bei den US Open im Finale gegen Djokovic. Tatsächlich war Nadal bis zu jenem Erfolgsmoment kein einziges Mal auf einem Hartplatz geschlagen worden, ein Fakt, der ihn auch jetzt noch, in der Rückschau, nichts als verblüfft: „Wer mir das gesagt hätte zu Jahresbeginn, den hätte ich ausgelacht.“
Doch zuletzt lachte immer wieder er, der ungestüme und doch so ungemein kontrollierte Kämpfer, bei zwei Grand Slams, bei fünf Masters-Turnieren. Insgesamt zehn Mal hielt er 2013 Pokale und Trophäen in die Höhe, bei den French Open stellte er sogar einen historischen Rekord auf, als er als erster Spieler überhaupt zum nun schon achten Mal bei einem Major triumphierte. Rafa forever.
Nadal ist der Mann für die großen Augenblicke, vielleicht bald schon der erfolgreichste Grand-Slam-Spieler aller Zeiten. 13 Major-Pokale hat er schon gesammelt, vier noch bleiben bis zur Einstellung des Federer-Rekords. Keiner, so weist es die ATP-Bilanz auch 2013 aus, gewinnt häufiger gegen Top-Ten-Gegner als Nadal, der Spezialist für die Big Points. Trotzdem wird er sich zügeln müssen in seinem Ehrgeiz, schließlich ist der Kraftmeier ein körperlich labiler Zeitgenosse, man denke nur an das oft verletzte Knie. So wird er sich künftig rarer machen müssen, um im entscheidenden Augenblick machtvoll da zu sein. Und dafür wird er notfalls sogar auf das verzichten, was er gerade stolz erreicht hat: Platz 1 der Welt.