Radstar non grata: Die Tour schämt sich für Armstrong

Tiefer als der US-Star kann man nicht fallen. Lance Armstrong musste alle sieben Titel abgeben, quält sich nun beim Bergsteigen – und lobt Jan Ullrich
Hartmut Scherzer |
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Paris  - Anlässlich ihres 100.Geburtstags 2003 hatte die Tour de France sich euphorisch gefeiert. Nach dem desaströsen Dopingskandal 1998 hatte Krebsbesieger Lance Armstrong die totgesagte Tour zu neuem Leben erweckt. Fast hymnisch dankte das Tour-Organ „L'Equipe” dem Wunder- und Supermann, dem „unendlich großen Sieger einer großartigen Tour de France”, wie Chefredakteur Claude Droussent schwärmte.

Jetzt zehn Jahre später, bei der 100. Frankreich-Rundfahrt, wird Armstrong so gut wie totgeschwiegen, maximal in kleinen Nebensätzen wird er erwähnt. Der Radstar non grata. Armstrong selbst, der ehemalige Tourminator, der siebenmalige (gefallene) Champion, scheint mit der Tour abgeschlossen zu haben. Nach einem Urlaub auf Hawaii, wo er – wie er sagte – mit seinem Sohn den Sonnenuntergang genoss, flog er diese Woche nach Colorado. Kaum angekommen, bestieg er den Berg Ajax (3417 Meter): „Ich wäre dabei fast krepiert!” Und der Asket gibt bei Twitter zu, dass er „dringend ein paar Pfund abnehmen” müsste. Zur Tour direkt hat er sich nicht mehr geäußert, den Radsport hat er nur nach Jan Ullrichs Blutdoping-Geständnis indirekt thematisiert: „Jan, ein warmherziger Mann. Ein erstaunlicher Athlet. Ein großer Wettkämpfer. Ich habe es geliebt, mit Dir den Ton anzugeben, mein Freund.”

Die Jubiläumstour 2003 war die seit Jahren spannendste, auch weil Ullrich den Dominator herausgefordert hatte wie keiner zuvor. Mit nur einer Minute und einer Sekunde Rückstand gab sich der Sieger von 1997 geschlagen. Damals war Armstrong mit seinem fünften Sieg in Folge im Klub der Legenden, der fünfmaligen Sieger Jacques Anquetil, Eddy Merckx, Bernard Hinault und Miguel Indurain, jubelnd im Kreis der Legenden willkommen geheißen.

Anlässlich ihres 100.Starts am Samstag in Porto-Vecchio muss sich die Tour schämen.

Zwischen den Hunderter-Jubiläen liegt eine Dekade der Dekadenz, der Doping-Diktatur des Dominators. Die Armstrong-Ära wurde als Lug und Trug entlarvt. Der größte Radsportler aller Zeiten gilt nach sieben aberkannten Tour-Siegen als größter Betrüger der Sportgeschichte. Aufgedeckt wurde es durch die vierjährige Recherchearbeit des Anwalts Travis Tygart, CEO der amerikanischen Anti-Doping-Agentur USADA. Tygart übergab dem Radsportverband UCI seinen Bericht, in dem das „höchstentwickelte, professionellste und erfolgreichste Dopingprogramm, das die Sportwelt jemals gesehen hat” dokumentiert wird. Die UCI entzog Armstrong alle nach dem 1.August 1998 gewonnenen Titel, sperrte ihn lebenslang.

Ein ewiger Schandfleck

Zu erdrückend war die Beweislage. Armstrong entschloss sich daher zum Geständnis und gab zu, dass er die Welt 14 Jahre lang belogen hatte. Als Beichtmutter wählte er die TV-Talkmasterin Oprah Winfrey. Auf die Frage, ob er je verbotene Substanzen genommen habe, antwortete Armstrong, wie er nie auf diese Frage geantwortet hatte – „Yes”. Am 19.Januar 2013 war das „Ja” endlich raus.

Seit der Jahrtausendwende ist die Zeitrechnung für die Tour ein Dilemma. In der Historie stehen keine 99 Sieger mehr. Die Siegerliste ist von der 86. bis zur 92. Tour blank. Ein ewiger Schandfleck.  Mit den Zweiten als nachrückende Erste dieser düsteren Epoche, mit Alex Zülle (1999), Jan Ullrich (2000, 2001, 2003), Joseba Beloki (2002), Andreas Klöden (2004) und Ivan Basso (2005), hätte die UCI andere Böcke zu Gärtnern gemacht. Die vermeintlichen Armstrong-Nachfolger, Ullrich und Basso, wurden wegen dringenden Verdachts, in den Dopingskandal „Operacion Puerto” um den Frauenarzt Eufemiano Fuentes verwickelt zu sein, am Tag vor dem Start zur 93.Tour 2006 ausgeschlossen. Allein die Sieger, Carlos Sastre (2008), Cadel Evans (2011) und Bradley Wiggins (2012), gelten – bisher – als rechtmäßig und makellos, alle anderen Sieger sind überführt oder geständig. Beim Rückblick auf die 13 Jahre dieses Jahrhunderts tut sich vor dem Start zur 100. Tour de France ein Abgrund des „Grand Boucle” auf. 

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