Querschnittsgelähmte Kira Grünberg: Ich bin sehr weich gefallen - Dreieinhalb Jahre nach Trainingsunfall

Kira Grünberg, ehemals Österreichs beste Stabhochspringerin, hat dreieinhalb Jahre nach dem Unfall Frieden mit ihrem Schicksal geschlossen. Ein AZ-Besuch in ihrer Heimat bei Innsbruck.
von  Florian Kinast
Daheim in Kematen im Westen Innsbrucks: Kira Grünberg im Gespräch mit AZ-Autor Florian Kinast.
Daheim in Kematen im Westen Innsbrucks: Kira Grünberg im Gespräch mit AZ-Autor Florian Kinast. © AZ

Innsbruck - Es gibt Nächte, da ist Kira Grünberg wieder zu Fuß unterwegs. Wenn sie schläft. In ihren Träumen.
Manchmal läuft sie über eine Sommerwiese, eine saftig grüne Tiroler Bergweide, setzt sich hin für eine Pause, auf eine Holzbank, mit Blick auf schroffe Felskanten droben in der Höhe. Jenseits des Tals. Hört Kuhglocken bimmeln, wandert weiter. Spürt den Boden unter sich. Das weiche Gras. Die Erde. Bis zum Morgen.
"Wenn ich aufwache, dann fühle ich sofort, dass es nur ein Traum war. Eine Illusion."

Einst war sie Österreichs beste Stabhochspringerin, heute ist sie querschnittsgelähmt

Dann weiß sie, dass sie zurück ist in der Wirklichkeit. Nicht mehr aufstehen kann, nicht mehr laufen. Nicht mehr wie früher schnell aus dem Bett hüpfen, runter zum Frühstück, dann weiter zum Training. Dass es stattdessen ewig dauert und viel Kraft kostet, bis sie sich in den Rollstuhl gehangelt hat.

Daheim in Kematen im Westen Innsbrucks: Kira Grünberg im Gespräch mit AZ-Autor Florian Kinast.
Daheim in Kematen im Westen Innsbrucks: Kira Grünberg im Gespräch mit AZ-Autor Florian Kinast. © AZ

Kira Grünberg, einst Österreichs beste Stabhochspringerin, hat sich mit ihrer Behinderung abgefunden, dreieinhalb Jahre nach ihrem Trainingsunfall. Eine 25-jährige, fröhliche junge Frau, die Frieden geschlossen hat mit ihrem Schicksal, ihrer Querschnittslähmung. Kira Grünberg, die damals aus vier Metern Höhe mit Genick und Rücken voran auf den Boden krachte und sich den fünften Halswirbel brach, sagt: "Ich empfinde Dankbarkeit. Ich bin sehr weich gefallen."

Grünberg: Fortschritte sind gefühlte Millimeter

Kematen im Westen Innsbrucks, 3000 Einwohner, Heimat von Kira Grünberg. Treffen in einem geräumigen Café, moderner Neubau, viel Platz zwischen den Tischen. Hilft beim Manövrieren mit dem Rollstuhl.

Kira Grünberg sitzt vor einer heißen Schokolade, sie rührt mit einem Löffel um, dann führt sie den Löffel zum Mund. Vor zwei Jahren, sagt sie, hat sie das noch nicht geschafft, einer dieser kleinen Fortschritte, den Alltag zu meistern. Fingernägel lackieren. Haare föhnen. Solche Dinge.

Früher, als Sportlerin, ging es darum, sich zentimeterweise zu verbessern. "Heute", sagt sie, "sind die Fortschritte gefühlte Millimeter. Wenn überhaupt." Vor zwei Wochen formte sie beim Platzerlbacken erstmals wieder Vanillekipferl. Ein Erfolg, so winzig und so wichtig.

Die Erinnerungen an den Unfall sind immer noch frisch

Die Erinnerungen an den Unfall vom 30. Juli 2015 in Innsbruck sind noch immer frisch, oft hat sie sich den Film angeschaut. Ihre Mutter hatte die Kamera laufen lassen, fürs Videostudium. Acht Schritte Anlauf, die Höhe vier Meter, für sie, die im Jahr zuvor den bis heute gültigen Landesrekord von 4,45 Metern aufstellte, mehr etwas zum Warmhüpfen.

Hält mit 4,45 Metern den Österreich-Rekord: Grünberg 2015.
Hält mit 4,45 Metern den Österreich-Rekord: Grünberg 2015. © dpa

Aber der Stab bog sich nach dem Einstich nicht, wie er sollte, auf 90 Grad, sondern nur auf etwa 75. Es fehlte der Schwung, um über die Höhe zu kommen, dahinter auf der Matte zu landen.

"Als ich ganz oben war, hab ich gemerkt, ich schaff’s nicht." Kira Grünberg fiel zurück, knallte mit dem Genick auf die Kante des Einstichkastens. Und wusste sofort, das war’s. "Mein Vater hat mir noch die Schuhe ausgezogen. Aber ich habe die Beine nicht mehr gespürt. Mir war klar: Jetzt bist du gelähmt."

Das Leben änderte sich mit einem Schlag. Mit einem Schlag auf den Boden.
Lange in der Klinik, lange in der Reha, groß war das Mitgefühl. Prominente Besucher kamen ans Bett, von Bundespräsident Heinz Fischer bis Diskus-Olympiasieger Robert Harting, sie erhielt in den Monaten danach Interviewanfragen aus 60 Ländern, schrieb ihre Autobiographie, berührte mit ihrem Schicksal. Bekam uneingeschränkte Sympathie.

2017 kandidierte Grünberg für die ÖVP

Bis 2017. Da ging Kira Grünberg in die Politik. Kandidierte bei der Nationalratswahl für die ÖVP von Sebastian Kurz, kam über die Tiroler Landesliste ins Parlament, als Behindertenbeauftragte der Partei. Aber schon bald wurde es ungemütlich. Wegen der Auto-Affäre, als sie nach der Wahl von Opel einen behindertengerechten Wagen geschenkt bekam, Wert 40 000 Euro. Auch wenn sie sich damals wie heute gegen die Vorwürfe wehrt: Nein, das Angebot von Opel kam schon 2015. Und ja, der Zeitpunkt der Übergabe war in der Tat unglücklich: Seitdem spürt sie auch rauen Gegenwind.

Seitdem verfolgen sie auch Österreichs Medien kritischer. Dass sie von Kurz wohl nur des Namens wegen auf die Liste gesetzt wurde, war zu lesen, um der ÖVP zu Stimmen zu verhelfen. Und ihm, dem Kurz, zur Kanzlerschaft. Kira Grünberg spricht vom harten Politikgeschäft und dass sie sich nicht unterkriegen lassen, lieber weiterkämpfen will für ihre Ziele.

In Wien, wohin sie einmal die Woche von Innsbruck aus fährt oder fliegt. Oder von zuhause aus. Mehr Betreuung und mehr Hilfe für ein selbstbestimmteres Leben von Behinderten, das will sie erreichen. Und dass die fünfjährige Wahlperiode keine Episode bleiben soll. "Langfristig sehe ich meine Zukunft in der Politik." Auch wenn sie entschieden abwinkt, bei der Frage nach einer möglichen Kanzlerin Kira.

Kira Grünberg will selbst Kinder haben

"Die Erfahrungen seit dem Unfall haben mein Leben bereichert" Und die Sache mit der Dankbarkeit? Wofür bitte? "Dafür", sagt sie, "dass all die Erfahrungen seit dem Unfall mein Leben bereichert haben." Außerdem hat es eh so kommen müssen, sagt sie, unweigerlich. Ihre Kakaotasse ist schon leer, da spricht Kira Grünberg von dem einen, der irgendwo die Fäden zieht auf dieser Welt. So wie in dem einen Film, der ihr sehr gut gefallen hat. "Der Plan", 2011, Matt Damon, Emily Blunt. Kernthese: Der Lebensverlauf eines jeden Menschen ist vorbestimmt. "Jeder bekommt ein Lebensbuch mit auf den Weg", sagt sie. "Und die Kapitel stehen von Anfang an fest." Ein entscheidendes Kapitel schlug Kira Grünberg am 30. Juli 2015 auf.

Kira Grünberg ist gespannt auf die nächsten Abschnitte in ihrem Buch, eines der nächsten Kapitel soll von einer eigenen Familie handeln. Irgendwann will sie selbst Kinder haben. Sie großziehen. Sie aufwachsen sehen. Und ihnen zuschauen, was für sie nur ein Traum bleiben wird.

Wie sie über Wiesen laufen.

 

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