Putin spielt Risiko
München Es ist ein Wintermärchen in den Bergen von Sotschi. Es hat viel geschneit. Sollten Lawinen drohen, dann muss man die eben sprengen – am besten mit Dynamit. Aber nicht in Sotschi. Der Geheimdienst hat „Njet“ gesagt. Sprengstoff in dieser Region? Ausgeschlossen! Wenn der in falsche Hände gerät! Es sind Hochsicherheitsspiele, die am Freitag beginnen. Und es sind Hochrisiko-Spiele.
Für Präsident Wladimir Putin ist die Mission klar. Eine Großmacht zeigt, was sie kann. 40 bis 50 Milliarden Dollar, so viel wie noch nie, kosten die Olympischen Winterspiele am Schwarzen Meer. Futuristische Hallen und vier neue Skiorte wurden aus dem Boden gestampft. Aber sie stehen in einem der brisantesten Krisengebiete der Welt.
Gestern bestätigte das Österreichische Olympische Komitee Drohungen gegen zwei Sportlerinnen. In anonymen Briefen wird die Entführung der Slalom-Hoffnung Bernadette Schild und die Skeleton-Pilotin Janine Flock angekündigt. Beunruhigend genug. Aber im Umfeld von Sotschi klingen solche Drohungen besonders alarmierend.
In Polizeistationen und Grenzposten hängen die Bilder von „Sarema“, „Malika“ oder „Amina“. Das sind Kampfnamen unter Fotos von jungen Frauen im Schleier: Bekannt sind sie besser als „Schwarze Witwen“. Berüchtigt sind sie seit 2002, als sie mit einem Kommando ein Moskauer Theater überfielen. Bei der Geiselnahme und der anschließenden Stürmung mit Giftgaseinsatz der Sicherheitskräfte kamen 129 Geiseln und 40 bis 50 Terroristen aus dem Kaukasus ums Leben.
Gemeinsam ist den Frauen, dass sie aus den Kaukasusrepubliken stammen, in direkten Nachbarschaft zu Sotschi; dass sie Brüder oder Männer im Kampf gegen die verhassten russischen Besatzer verloren haben - und dass sie vor nichts zurückschrecken.
„Die Gefahr eines Terror-Anschlags ist gering“, beruhigt das russische Innenministerium. 70000 Sicherheitskräfte, darunter 30000 Soldaten und 10000 Spezialkräfte bewachen den Ort. Die Grenzen zu den Nachbarrepubliken sind geschlossen oder kaum passierbar. Es gibt einen 100 Kilometer langen Sicherheitskorridor entlang der Küste, der 40 Kilometer ins Landesinnere reicht. Funkverkehr und Bewegungsfreiheit sind kontrolliert und eingeschränkt.
Die Situation ist angespannt. Zumal vermutlich kaukasische Terroristen vor Jahreswechsel in Wolgograd 34 Menschen umbrachten. Die russischen Behörden geben eine Islamistengruppe aus Dagestan die Schuld. Handlungen von Einzelpersonen seien nicht auszuschließen. Der Extremistenführer Doku Umarow hat angekündigt, die Spiele „mit allen Mitteln verhindern“ zu wollen. In der „taz“ sagte der Terrorismus-Experte Andre Soldatow: „Die islamistischen Rebellen werden die Gelegenheit nicht verstreichen lassen“.
Die Gewalt in der Region hat Geschichte. Die russische Besatzung und die Brutalität, mit der Moskau jede Freiheitsbewegung im Kaukasus bekämpft, reicht in die Zarenzeit zurück. Die Kosaken, die als Folklore-Elemente in der Olympiastadt gut aussehen, sind eine Provokation. Sie haben schon vor hundert Jahren unter den Einheimischen gewütet. Sie sind ein Symbol russischer Dominanz.
Wie gefährlich ist die Lage für die Sportler? Die Österreicher, deren Sportlerinnen bedroht werden, haben eigens vier Sicherheitsleute mitgeschickt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière rät zur Gelassenheit: „Wir sind gut vorbereitet.“ Details müsse man „nicht öffentlich diskutieren“. Er sei „zuversichtlich, dass die russischen Behörden alles Mögliche und Verantwortbare tun, um die Sicherheit der Sportler zu gewährleisten“.
Andere machen sich mehr Sorgen. Die USA haben einen Flugzeugträger angeboten und zusätzliche Agenten losgeschickt. Die Offiziellen dort und in Großbritannien empfehlen ihren Athleten, nicht in Nationaltrikots öffentlich aufzutreten. Das Problem mit dem Sprengen der Lawinen haben die Organisatoren ohne Dynamit gelöst. Die Schneemassen sollen mit Gasexplosionen entschärft werden. Gas gibt es genug in der Region. mm