Post aus Wimbledon: Wetter-Bericht

AZ-Kolumnist Gunther Beth über das untypische Wimbledon-Wetter - und wie das neue Dach zweckentfremdet wird.
Regenschirm-Völker wie England sprechen über nichts anderes so viel und so gern wie über das Wetter - also tu ich‘s heute auch mal. Wie ich höre, versinkt München im Dauerregen - und hier soll heute wieder die 30 Grad-Marke geknackt werden... Die spinnen, die Briten, hat schon Asterix gesagt: „Immer alles anders als die anderen!“ Nach dem trockenen Auftakt-Wetter und der Vorhersage für diese 2. Woche hat man schon gedacht, dass das teure neue Dach über dem Centre Court völlig unnötig gewesen ist. Von wegen! Wie bereits am letzten Dienstag schliesst man es - nicht um den Rasen vor Regen zu schützen, sondern die Insassen der „Royal Box“ vor Sonnenbrand. Ab 31 Grad Fahrenheit bzw. 33 Grad Celsius wird zugezogen.
Meinen Lieben daheim kann ich zum Trost nur ein bisschen von der heroischen Gelassenheit wünschen, mit der man hier auf „Oberschiedsrichter“ Petrus reagiert. „Wir lassen uns von nichts und niemandem einschüchtern, auch nicht vom Regen“, hat Premierminister Gordon Brown vorletztes Jahr gesagt, als Wimbledion das feuchteste Turnier seiner 132jährigen Geschichte erlebte.
Na gut, ich muss gestehen, Mister Brown hat da nicht nur vom Centre Court gesprochen, im Sommer 2007 kam noch einiges hinzu: trotz jeder Menge Wild Cards ist kein einziger britischer Teilnehmer über die 2.Runde hinausgewachsen. Naja, und dann auch noch der Regierungswechsel, das öffentliche Rauchverbot und vor allem die terroristische Bedrohung, die auch den „All England Club“ aus dem so behüteten Dornröschenschlaf seiner edlen Traditionen herausgeschockt hatte. Nur: Wie man in London damit umgeht, das ist so anders, so viel unaufgeregter und sachlicher als bei uns - das fasziniert mich.
Kein Terror wird die britische Lebensart unterminieren“, stellte der neue Premierminister klar. Und entsprechend die Einsicht der 12 Millionen Menschen hier, dass die engmaschige Überwachung des öffentlichen Raums keinen Angriff des Staates auf die Integrität der Bürger darstellt, sondern, als kleineres Übel, dem Schutz dieser Integrität dient. Auch der scheinbar so privilegierte Mikrokosmos Wimbledon hatte sich darauf eingestellt - ebenso unaufgeregt und fair wie man im Garten Eden des Tennis mit den Siegern jubelt, die Verlierer aber ebenso achtet. Und so glaube ich, dass London die Olympischen Spiele 2012 souverän und würdig ausrichten wird.
Jetzt aber noch mal zu Petrus. Ich bin zum 15.Mal in Wimbledon und versichere Ihnen: Das Wetter hier ist eindeutig besser als sein Ruf und hat darüberhinaus interessante Kapriolen zu bieten: Wer im Juni nach London reist, hat nämlich alle vier Jahreszeiten inklusive: Morgens schaust du aus dem Fenster und freust dich über einen strahlend blauen Himmel. Du verlässt das Hotel - und springst zurück, weil wenige Schritte entfernt der Blitz eingeschlagen hat. Wassersturzfluten, soweit das Auge reicht.
Du holst also deinen Regenschirm, trittst wieder auf die Strasse - die Sonne lacht, die Vögel zwitschern. Draussen in Wimbledon heisst es dann: Herbstlich willkommen! Hagel, Sturm und Graupelschauer. Und das Abschneiden deiner Landsleute vermittelt dir manchmal schon winterliche Tristesse. Aber in der Nacht bricht dann im Hyde Park der Frühling wieder aus...
Alles easy, Man muss nur ein bisschen demütige Hingabe an das göttliche Geschehen mitbringen - so wie anno 2007. Aber wie Sie sehen: der Sommer ist noch gekommen, nur etwas später. Wie jetzt in München.