Post aus Wimbledon: Spiel, Satz und - Grunz
LONDON - "Manchmal hat Michael Stich wirklich `n Stich. Ich glaube, er ist eigentlich ganz anders, aber er kommt zu selten dazu - und dann ziehen ihn die herumliegenden Fettnäpfchen geradezu magisch an", schreibt Gunther Beth. Teil 5 seine Kolumne.
So wie jetzt in der BBC, wo Stich in einer Analyse des Damen-Tennis das Gegrunze diverser einschlägiger Spielerinnen angeprangert hat und bei der 16-jährigen Portugiesin Michelle Larcher De Brito zum Schluss kam: „Da hilft nur eins: Erschiessen!“ Natürlich „war das nicht so gemeint, nicht mal im Scherz“, aber wie hat Johann Wolfgang von Goethe schon so richtig gesagt: „Getret‘ner Quark wird breit, nicht stark“.
Schon unkt die „Daily Mail“: „Vielleicht ein etwas krasser Vorschlag, aber wenn‘s hilft...“, und im Internet wird bereits über Stimmbandentfernung diskutiert. Und Stich fühlt sich mal wieder völlig unverstanden.
Dabei hat er ja völlig recht: Dieses Gegrunze ist wirklich abscheulich und nimmt immer fatalere Dimensionen an. Angefangen damit hat Monica Seles, die große Rivalin von Steffi Graf in den 90er Jahren. Und „salonfähig“ wurde es durch Maria Sharapova, den schönen russischen Schwan. Seitdem hat man das Gefühl, im Damen-Einzel regiert der Lendenschurz. Es wird gestöhnt, gekeucht und gequietscht, dass es zuweilen der Sau graust. Nun ist also das ehrwürdige Kommitee des „All England Club“ gefordert, dieser peinlichen Entgleisungen des „Weißen Sports“ Herr zu werden - vermutlich mit Strafmaßnahmen durch Punkteabzug. Und dazu bedurfte es immerhin des Wimbledon-Champions von 1991. Und so schließen sich dann wieder die Kreise und hoffentlich auch die Goschen der Mädels.
Michelle Larcher De Brito übrigens zeigt sich von all dem Brimborium völlig unbeeindruckt. Gestern grunzte sie die Tschechin Klara Zakopalova locker 6:2, 7:5 vom Platz und meinte: „Wem‘s nicht gefällt, der kann ja den Ton leiser stellen.“
Jetzt aber noch mal zu Michael Stich: Seinen Geburtstag werde ich nie vergessen können, genau so wenig wie den von Martina Navratilova - beide sind sie nämlich am gleichen Tag geboren wie ich (nicht am selben - jahrgangsmäßig sind wir schon noch getrennt). Und auch wenn es bis zum 18. Oktober ja noch ein Weilchen hin ist, werde ich in Wimbledon permanent daran erinnert: Wir Drei sind ja Stammgäste hier, und Martina und Michael gehören nun mal zu den Siegern der ganz besonderen Art.
„Der Spieler Stich“, wie Rivale Becker ihn mal im „Aktuellen Sport-Studio“ mit diffuser Hass-Liebe abkanzelte, hatte meines Erachtens als Tennisspieler das deutlich größere Potenzial. 1991, im Jahr seines Von-jetzt-auf-gleich-Wimbledon-Triumphes, hat er Turniere auf allen Belägen gewonnen: Rasen, Sand und Hartplatz. Er hatte Schläge drauf, mit denen er nicht nur Becker demütigen konnte, sondern auch McEnroe und Sampras. Aber: Er war launisch und ungeduldig wie alle Menschen, die im Sternzeichen der Waage geboren sind.
Und er war faul. Er mochte nicht trainieren. Und laufen schon gar nicht - höchstens mal Gassi mit dem Hund. Und er hat die Flinte viel zu früh ins Korn geworfen - hier in Wimbledon, im Juli `97, einen Tag nach Boris. Nur weil er unglücklich und völlig unnötig gegen Cedric Pioline verloren hat. Aber ich bin mir sicher: Im Finale hätte er Sampras gepackt! Naja, seitdem ist viel Gras über den Centre Court gewachsen und Michael ein zuverlässiger und erstaunlich eloquenter Diskutant, Unternehmer und Stifter geworden. Ich glaube, das Publikum hat ihn oft verkannt, als Tennis-Crack und in seinem Privat-Leben. Das wird sich in seiner zweiten Lebenshälfte bestimmt ändern. Ich hoffe, das Schicksal hat noch viel Gutes und Gerechtes mit ihm vor. Ich wünsche es ihm sehr - nicht nur zum 18.Oktober!
Tja, und nun noch mein Schlusswort zu Martina Navratilova, der Greta Garbo des Damentennis. Sie ist - und sie wird es immer bleiben - englische Queen von Wimbledon. 8 Mal hat sie hier im Einzel gewonnen, unzählige Male im Doppel und im Mixed. Als ich sie vor fünf Jahren kennengelernt habe, hat sie‘s noch mal gewagt, im Einzel anzutreten. Alle hatten ihr abgeraten, aber sie hat sich noch nie von irgendwem irgendwas vorschreiben lassen und in ihrem ganzen Leben immer nur Serve-and-Volley gespielt. Sie war 47 und ich hab sie gefragt, ob sie sich manchmal wirklich schon wie 47 fühlt? „Warum sollte ich?“ lachte sie ihr typisch hyperaktives Lachen, „Die Tennisbälle haben doch keine Ahnung, wie alt ich bin...“ Wimbledon und sie gehören zusammen wie Erdbeeren und Schlagsahne.
Und wenn das alles nicht ein Grund wäre, ihr ein Theaterstück zu widmen, dann wüsste ich nicht, warum ich Autor geworden bin. „Spiel - Satz - und Liebe“ heißt die Komödie, in der ich Martina Navratilova (im Stück heißt sie „Kris Edborg“) so auf die Bühne bringe, wie ich sie sehe und verehre. Demnächst in Ihrem Theater ?!...
Gunther Beth, Schauspieler & Komödien-Autor (u.a. „Der Neurosen-Kavalier“, „Trau keinem über 60!“), lebt in München. Seit 2004 ist er Wimbledon-Kolumnist der AZ.